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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Martha.
Erzählung aus dem Leben.
Von A. Diezmann.

Ich war noch sehr jung, als ich eine kleine Reise benutzte, um einen befreundeten ehemaligen Mitschüler zu besuchen, der sich in dem Hause eines sehr reichen Altenburger Bauern als Lehrer des einzigen Sohnes befand.

Dieser Bauer, Michel Gerber mit Namen, war ein Mann eigener Art und Besitzer eines ererbten, durch Kauf und Heirath vergrößerten Gutes, das sich mit manchem großen Rittergute messen konnte. Seine zahlreichen Knechte, Mägde und andern Arbeitsleute behandelte er im Ganzen mit tyrannischer Strenge, bisweilen aber auch, wenn er mit ihren Leistungen sehr zufrieden war, mit einer gewissen herablassenden Milde, wie etwa ein Patriarch in der Bibel seine Sclaven behandelt haben mag, und Michel Gerber glaubte in der That so hoch über seinen Untergebenen zu stehen wie ein Herr über seinen Leibeigenen. Dies ging soweit, daß er sich sehr selten herbeiließ, persönlich mit Einem der Knechte zu sprechen – mit den Mägden sprach er nie selbst. Er ertheilte vielmehr seine Befehle und seine Vorwürfe dem Ersten der Knechte, welcher sie an die Betroffenen weiter zu befördern hatte. Sein Stolz waren seine großen starken feisten Pferde, „auf denen kein Tropfen Wasser stehn blieb,“ seine wohlgenährten Rinder, die alle genau von einer Farbe, schwarz mit einem weißen „Stern“ auf der breiten Stirn, und stets von dem kleinsten Schmuzfleck frei sein mußten, seine Heerde hochfeiner Merino-Schafe und endlich sein Geflügelhof, in dem es von Hühnern, Gänsen, Enten und Tauben der verschiedensten, zum Theil seltensten und theuersten Arten wimmelte. Wenn der breitschulterige stattliche Mann in der Thür seines Hauses stand, die schwer mit Silber beschlagene Meerschaumpfeife im Munde, den kleinen runden hinten leichtaufgekrempten Hut auf dem Kopfe, in der kurzen Jacke vom feinsten grünen Tuche, in den weitbauschigen kurzen Hosen und den langen engen Stiefeln von weichem Leder, die Daumen beider Hände auf der Brust unter die Hosenträger gesteckt, und so wohlgefällig seinen wimmelnden Hof überschaute, sah er allerdings wie ein Bauernfürst aus.

Diesen Hof umgaben auf drei Seiten die verschiedenen zum Theil neu aufgeführten, sämmtlich wohl unterhaltenen Wirthschaftsgebäude, während die vierte Seite das stattliche Wohnhaus nebst dem großen Einfahrtsthore einnahm und in der Mitte ein Taubenhaus in der Form eines riesigen Pilzes stand. Im Erdgeschosse des Wohnhauses befanden sich die Milch- und Vorrathskammern, die große Küche mit dem stets blitzendblank gescheuerten Zinn-, Messing- und Kupfergeschirr, des Herrn geheimes Cabinet, in dem er namentlich sein Mittagsschläfchen zu halten pflegte und das Niemand betreten durfte, und endlich die große allgemeine Wohn- und Eßstube, denn so stolz Michel war, hielt er doch fest und streng an dem Herkommen, welches verlangte, daß „der Herr“ mit seinem „Gesinde“ die Mittags- und Abendmahlzeiten gemeinschaftlich einnehme. Freilich stand der kleine Familientisch oben quer vor der langen Tafel und war mit einem blendendweißen feinen Tischtuche geschmückt, während sich die Tafel mit einem groben begnügen mußte; auch kamen auf den Tisch meist andere Speisen als auf die Gesindetafel, welche letztere indeß stets sehr reichlich, ja verhältnißmäßig reich besetzt wurde. „Die Leute“ mußten jedesmal, ehe sie sich zum Essen niedersetzten, an der Tafel stehend ein stilles Gebet verrichten, und dies that der Herr mit seiner Familie gleichzeitig ebenfalls. Lautes Gespräch oder gar Späße während des Essens duldete er nicht, und wenn es einigermaßen laut an der Tafel wurde, brauchte er nur leicht mit dem Messer auf seinen Teller zu klopfen, um sofort eine wahrhaft andächtige Stille herbeizuführen.

Dies Alles geschah freilich wohl auch ähnlich oder genau so in den andern großen Bauerhöfen, Michel Gerber aber hatte eine Eigenthümlichkeit, die ihn von allen seinen Standesgenossen unterschied. Er war allerdings ein echter Bauer von altem Schrot und Korn, er wollte ein Bauer sein und war stolz, daß er es war, aber er wußte auch wohl, daß die andern Stände an Bildung über den Bauern standen und deshalb bisweilen mit einer gewissen Geringschätzung auf dieselben herabsahen. Das wurmte ihn, wie es sein großer Aerger war, daß er in den Gesetzen, Verordnungen, gerichtlichen Bekanntmachungen, Advocatenschreiben und Zeitungen Vieles nicht verstand. Das verhehlte er weder sich noch Andern und darum nahm er sich vor, daß es seinen Kindern nicht ebenso ergehen solle und daß sie mehr, viel mehr lernen müßten, als er selbst gelernt und zu lernen Gelegenheit gehabt hatte.

„Die Leute in der Stadt und die Adeligen auf dem Lande,“ pflegte er zu sagen, „reden immer davon, daß sie größere Bildung hätten, und sie haben Recht. Warum sollen aber unsere Kinder nicht eine gleiche Bildung erhalten können? Weil es Geld kostet, viel Geld? Ich habe Geld, mehr Geld als mancher „Herr von“; darum sollen meine Kinder dieselbe Bildung erhalten wie die jungen Herrn und Fräuleins, und wenn es mich tausend Thaler und mehr kostet. Ich hab’s. Nichts, gar nichts sollen anderer Leute Kinder vor den meinigen voraushaben, denn ich kann’s bezahlen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 513. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_513.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)