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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Blumen für den Schmuck ihrer Häuser gemacht, damit der Festort doch auch wirklich festlich und freundlich aussehe.

Was so alle einzelnen Bewohner für den Schmuck der Häuser und Straßen, das hatte der Festausschuß für die würdige Herrichtung des Festplatzes gethan. La Chaux de Fonds liegt in der muldenförmigen Vertiefung des höchsten Kammes eines der Jurarücken. Zu beiden Seiten ziehen sich die Wände dieses Bergeinschnittes theils als Wiesen-, theils als Waldgrund in angenehmer, ja in malerischer Abwechslung nach den Höhen des Rückens hinauf, während auf der Grundfläche in der Richtung von Ost nach West der Ort selbst angesiedelt ist. Unmittelbar nun am Westende von La Chaux de Fonds und in nächster Nähe der beiden Bahnhöfe war der sehr geräumige Festplatz angelegt. Links, wenn man auf der großen Hauptstraße Leopold Robert heraustrat, befand sich die weite, geschmackvoll gebaute Festhalle mit den Küchengebäuden; dem Eingangsbogen gegenüber, am Westende des Festplatzes, stand der in maurischem Styl gehaltene Gabentempel, und rechts vom Eingang, der Festhalle gegenüber, waren die 120 Schießstände mit den dazu gehörigen Localitäten errichtet, so daß also die Flugbahn der Schießstände sich die nördliche Seitenwand des Thalbeckens hinauf zog. Auch das Polizei-, Telegraphen-, Post-, Schreib- und Zeitungsbüreau befand sich auf der den Schießständen angewiesenen Nordseite des Festplatzes.

Wenn ich mir das Bild des Frankfurter Festplatzes vergegenwärtige, so drängt sich meiner Erinnerung zunächst immer die schimmernd weiße Bildsäule der Germania auf, wie sie von der Spitze des Gabentempels mitten im Festplatz die Eintretenden grüßte und dem Sieger den Eichenkranz entgegenreichte. Die Schweizer hatten es unterlassen, einen so herrlichen decorativen Schmuck ihrem Gabentempel und dem Festplatz überhaupt zu verleihen. Statt der Helvetia grüßte die eidgenössische Bundesfahne von der Höhe des Gabentempels, unter dieser wiegten sich die deutsche und die italienische Flagge – die Ehrengaben der Schützenvereine beider Nationen – und vom Gesims des Daches hinab flatterten die Fahnen der eben beim Fest anwesenden Cantone. Die Fahnen der einzelnen Städte hatten nicht den Ehrenplatz auf dem Gabentempel, sie wurden in der Festhalle zu beiden Seiten des Mittelschiffes angebracht. Im Uebrigen aber war die Festhalle stattlich, geräumig und geschmackvoll hergerichtet; war sie doch nur wenig kleiner als die Frankfurter, so daß 4000 Personen bequem darin Platz finden konnten. Ueber dem Haupteingang war das Bild der Helvetia angebracht, darüber wehten die Fahnen der verschiedenen großen Culturnationen und zu alleroberst zwei deutsche Fahnen; die Fahnen der übrigen Völker hingen etwas tiefer, auch waren sie nur einfach, nicht doppelt wie die deutsche Fahne, vertreten. Dieselbe Auszeichnung war unserer Nation an der westlichen Seitenwand der Festhalle zu Theil geworden. Dort befand sich das Bild von Arnold von Winkelried – wie gegenüber an der östlichen Seitenwand das Bild von Wilhelm Tell mit seinem Knaben – und rechts und links davon war das schweizerische Wappen und der deutsche Reichsadler angebracht. Etwas tiefer aber hingen die Wappen von Bremen, Frankfurt und Hamburg und abermals das weiße schweizerische Kreuz im rothen Feld. Die Wappen der übrigen Nationen waren nicht angebracht. Rings um die Festhalle her, an der äußeren Seite unterhalb des Daches, standen die Namen der ruhmvollsten Schlachttage der Schweizer, wie Sempach, Murten, St. Jakob, und auch von der äußeren Wand der Schießstände unter den Haupteingängen grüßten ernst die einfachen und doch so viel sagenden Namen: St. Jakob, Morgarten, Murten, Grandson, gleichsam als stille Mahnung für die Schützen, daß sie der Thaten der Väter sich würdig erweisen sollten. Ringsum am Festplatz endlich, soweit nur der Raum reichen mochte, zogen sich die Buden der Krämer, der Carroussels, der Wachsfigurencabinete, Menageriebesitzer und all der sonstigen Speculanten auf die Neugierde und Schaulust der großen Menge.

Das ist in flüchtigen Umrissen ein Bild des Schauplatzes, auf dem sich das großartigste und bewegteste Schützenfest abspielte, das die Schweiz bis dahin gesehen. Die Farben zu diesen Umrissen lieferte vor allem ein fortwährend heiterer sonniger Himmel und sodann das bunte Menschengewühl, das sich Tag für Tag über den Festplatz und durch die Festhalle ergoß. So laut und geräuschvoll wie in Frankfurt war freilich das Treiben auf dem Festplatze nicht. Es bewegten sich zwar im Laufe eines jeden Tages immerhin 20,000 Menschen in den Schießständen, in der Halle, in den Buden und auf dem freien Platz, allein so ganz aus sich heraus geht der Schweizer nicht so leicht wie wir Deutschen; das hatten wir schon in Basel bei unserem Einzug und in La Chaux de Fonds beim Festzug bemerkt. Der Schweizer ist eben im öffentlichen Auftreten viel zurückhaltender, er ist mit einem Wort ernsthafter als wir. Erst im Laufe des Festes, als immer mehr Cantone angezogen kamen, als den Schützen mit den gewonnenen Bechern auch der Muth und der Frohsinn wuchs, kam das Treiben auf dem Festplatz und namentlich in der Festhalle so recht in den gemächlichen Fluß. Viel trugen dazu die Aufzüge der Schützen bei, die mit ihren Preisbechern von dem Gabentempel, meist auf den Schultern ihrer Cameraden, unter Vorantritt eines Musikcorps in die Festhalle gezogen kamen. Da entschädigte man sich dann für alle Geduld, Aufregung und Entsagung, die in den Schießständen geübt worden war. „Zwanzig Flaschen Champagner!“ commandirten einmal zwei Züricher, die so mit ihren Bechern in die Festhalle kamen, und dies Quantum wurde auch richtig unter Jubel und Standreden und hellem Gesang leergetrunken. Noch großartiger aber war der Champagnerfluß, als die Italiener mit ihren ersten sieben Bechern und die Deutschen mit ihren sechs Bechern sich legitimiren konnten. Des Jubels der Italiener, Schweizer und Deutschen wollte kein Ende werden, deutsche, französische und italienische Reden klangen durcheinander, und auf zehn Schritt im Umkreis war Niemand vor den Champagnergläsern der überseligen Schützen sicher.

Besondere Vorbereitungen zur Belebung des Festes waren vom Comité von La Chaux de Fonds erst für die letzten Tage getroffen worden, nämlich die bengalische Beleuchtung des Sees von Brenets und ein glänzendes Feuerwerk. Beide Festlichkeiten galten offenbar den Mitgliedern des Bundesrathes, die zuletzt noch erschienen waren. Im Uebrigen überließ man das festliche Treiben ganz sich selbst und der eigenen Wucht an Leben und Lebenslust, die einer gleichzeitig versammelten Menge von mehreren Tausenden immer innewohnt. Nur die Musikcorps schmetterten unablässig in der Festhalle ihre Tänze und Lieder, und die deutsch-schweizerischen Gesangvereine von La Chaux de Fonds und Locle trugen wiederholt des Abends ihre vierstimmigen deutschen Lieder vor. Bei der reichen, zuletzt fast ermüdenden Abwechselung, welche die Aufzüge der einzelnen ankommenden und abziehenden Cantone Tag für Tag boten, waren besondere Vorbereitungen auch wahrlich nicht nöthig. Ein jeder Canton zog feierlich mit Musik vor dem Gabentempel auf, überreichte dort dem Comité seine Fahne, wurde in aller Form willkommen geheißen und, wenn er wieder abzog, in derselben feierlichen Weise wieder entlassen. Da gab es denn den ganzen Tag zu sehen und zu hören genug. Aber auch zu trinken gab es genug, denn der Ehrentrunk kreiste selbstverständlich in den silbernen Schützenbechern bei jeder dieser Ceremonien. Einen besondern Humor entwickelten bei diesen an sich ganz ernsten Begrüßungsacten die Schaffhausener und die Berner, die Schaffhausener mit ihrem Steinbock, die Berner mit ihrem „Mutz“. Der „Mutz“ ist der Berner Bär, von dem die Stadt ihren Namen hat und den sie im Wappen führt. Der „Mutz“, der ja noch bis auf diesen Tag in mehreren Exemplaren im Stadtgraben von Bern auf Staatskosten gefüttert wird, ist aber im ganzen Canton Bern, ja in der ganzen Schweiz, eine populäre Figur geworden. Man hat den „Mutz“ gern, ja die Berner heißen und nennen sich selbst, ihrem Bären zu lieb, „Mutze“. Ohne den „Mutz“ nimmt die Stadt Bern nicht leicht einen öffentlichen Act vor, und so muß denn auch seit alter Zeit der „Mutz“ mit marschiren, wenn die Berner Schützen auf das eidgenössische Bundesschießen ziehen. Natürlich ist es kein Bär, den sie mitnehmen, sondern nur ein Bärenfell. Das Fleisch und Blut darin gehört irgend einem muthwilligen jungen Berner an, dem es nicht darauf ankommt, einmal zu Ehren seiner Vaterstadt einen Tag lang in ein Bärenfell eingenäht zu sein. So kam denn auch diesmal der „Mutz“ mit angezogen. Er ging dem Zug voran dicht hinter der Musik, die Zähne grimmig fletschend, sonst aber ganz friedlich und gemüthlich mit Schwert und Hellebarde und einer breiten schwarz-rothen Feldbinde angethan. Wir Deutsche haben über diesen alten gesunden Volkswitz laut und herzlich mitlachen müssen, und wirklich war es ein komisches Bild, den „Mutz“, der mit seinen Bärenaugen denn doch seiner Sache nicht so ganz sicher war, vor dem Zuge der Berner gravitätisch ein hertrollen zu sehen. Es gehört schon Etwas dazu, sich bei

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_520.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)