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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

erregt. Von dem Aufsehen dieses Buches in der damaligen Zeit, wo sich das ganze Interesse in Deutschland um das Theater, um Schauspieler, Sänger und Tänzer drehte, kann man sich heut schwerlich noch einen Begriff machen. In allen Kreisen war von nichts Anderem als von der „schönen Henriette“ die Rede; die höchsten Personen, Staatsmänner und fremde Diplomaten, der russische und englische Gesandte in Berlin, betrachteten diese vorübergehende literarische Erscheinung als eine höchst wichtige Angelegenheit. Dem Verfasser, der trotz seiner Anonymität nicht verborgen blieb, wurde der Proceß wegen Beleidigung der angebeteten Sängerin gemacht und eine längere Festungsstrafe ihm für seine Verwegenheit zuerkannt. Aber das Buch hatte seinen Ruf begründet, und bald wurde Rellstab Mitarbeiter der Vossischen Zeitung und das kritische Orakel der Residenz. Kein Berliner wagte ein Urtheil auszusprechen, bevor nicht Rellstab das seinige abgegeben. Ueberall, im Theater, im Concertsaal, an allen öffentlichen Orten, bei jeder Festlichkeit erblickte man den „Unvermeidlichen“ mit dem gutmüthigen Gesichte, das durch einen militärischen Schnurrbart martialisch geziert wurde, und mit der behaglich kräftigen Figur. Man konnte förmlich an Zauberei glauben, da man ihm immer wieder begegnete, und es wurde in allem Ernst behauptet, daß er die Kunst besitze, an zwei verschiedenen Orten zu gleicher Zeit tu sein. An einem Abend konnte man ihn im Opernhause, bei Kroll und in der Singakademie erblicken, stets mit der rothledernen Brieftasche in der Hand. Rellstab besaß in der That bis kurz vor seinem Tode eine bewunderungswerthe Arbeitskraft; er schrieb eingehende Kritiken, Reisebilder, Weihnachtswanderungen, Notizen, Berichte und redigirte den Artikel über Frankeich für die Zeitung. Außerdem erschienen von ihm Romane, darunter der viel gelesene und bewunderte Roman „1818“, Novellen und Erzählungen für verschiedene Taschenbücher und Kalender, Schauspiele und Operntexte für die Bühne und eine Unzahl von kleineren Aufsätzen, Gelegenheitsgedichten etc. Nebenbei war er später Verwaltungsrath einer Eisenbahn und bekleidete noch manche andere Posten; auch ertheilte er, wenn auch nur ausnahmsweise, Unterricht im Gesang und Generalbaß, da er eine ausgezeichnete musikalische Bildung und gediegene Kenntnisse in dieser Kunst besaß. Schon diese Vielseitigkeit beweist, daß Rellstab kein gewöhnlicher Mensch war, obgleich er vielfach im Leben angegriffen und besonders in letzter Zeit verspottet wurde, wozu allerdings eine gewisse breite Geschwätzigkeit und philisterhafte Gemüthlichkeit beitrug, die sich mit der veränderten Zeitrichtung und dem durch schärferes Gewürz verwöhnten Geschmack einer jüngeren Generation nicht mehr vertrug.

Gegenwärtig ist der Hauptredacteur der Vossischen Zeitung Dr. Lindner, ein classisch gebildeter Gelehrter, der auch als theoretischer Musiker einen ausgezeichneten ruf genießt. Ihm hauptsächlich verdankt die Zeitung ihre jetzige liberale Richtung und eine Reihe trefflich geschriebener politischer Leitarikel. Unter den Mitarbeitern befindet sich der geistreiche Nationalökonom Dr. Guido Weiß, der ehrwürdige Gubitz, der tüchtige Musiker Dr. Engel, der sanfte Lyriker Klette und Max Ring. – Die Abonnentenzahl schwankt zwischen 15–18,000, von denen der größere Theil auf Berlin selbst kommt. Die Haupteinnahme besteht jedoch in den Annoncen, welche der Zeitung so reichlich zufließen, daß sie sich zuweilen, besonders vor Weihnachten, genötigt sieht, 6–8 Beilagen zu geben.

Minder günstig situirt ist die Spener’sche Zeitung, welche von ihrer alten Concurrentin längst überflügelt ist. Die Hauptschuld trägt die schwankende Haltung der Ersteren in der Politik seit dem Jahre 1848, indem die sonst mit großer Umsicht geleitete Redaction kein scharf ausgesprochenes, festes Princip verfolgt, obgleich auch sie im Grunde einem allerdings so sehr gemäßigten Liberalismus huldigt, daß man ihn zuweilen fast gar nicht merkt. In früheren Jahren wurde die Zeitung von dem Dr. Spieker, auch „Lord Spieker“ genannt, nicht ohne Geschick geleitet. Den Beinamen hatte der etwas steife, aber verdienstvolle Gelehrte seiner Vorliebe für England, englische Sitten und Literatur zu verdanken. Als interessante Mitarbeiter aus früherer Zeit nennen wir vor Allen den liebenswürdigen Holtei, während seines Berliner Aufenthalts, und den berühmten Spuck-Schulz, einen eben so ausgezeichneten als originellen Kritiker, den Goethe durch seine Anerkennung geehrt hat. Den Namen Spuck-Schulz verdankte er der sonderbaren und gerade nicht sehr angenehmen Gewohnheit, den Leuten, mit denen er sprach, sprudelnd in’s Gesicht zu spucken. Außerdem war er in seiner vernachlässtgten Kleidung und seinen sonstigen Gewohnheiten ein ausgemachter Cyniker, obgleich er bei den Damen des Theaters gern den Galanten spielte und wirklich in dem Wahne lebte, daß er unwiderstehlich sei. Als er einst eine Redoute in Berlin besuchen wollte und die berühmte Bethmann um ihren Rath fragte, welche Maske er wählen sollte, um nicht erkannt zu werden, sagte die berühmte Künstlerin, auf seine bekannte Wasserscheu anspielend: „Lieber Schulz, wenn Sie sich das Gesicht waschen, wird Sie gewiß kein Mensch erkennen.“

Gegenwärtig wird die Spener’sche Zeitung von dem Dr. Alexis Schmidt, einem früheren Theologen, redigirt. Die Theaterkritiken schreibt der bekannte Aesthetiker Professor Hötscher, der leider augenblicklich an einer Lähmung schwer erkrankt ist. Seine Kritiken zeichneten sich durch ihre Gediegenheit und Anständigkeit aus, wenn auch ihre Unparteilichleit unter seinen immer liebenswürdigen und menschlichen Schwächen zuweilen litt. Vorzugsweise wird das Blatt in den gebildeten Beamtenkeisen gelesen, da seine artistischen und literarischen Beigaben von jeher das beste Lob wegen ihrer Vollständigkeit und sorgsamen Auswahl verdienten.


Aus dem Insectenleben. So reich auch die Insectenwelt an Arten und Individuen ist, so entzieht sich doch meist das eigentliche Leben und Treiben dieser Thiere unserer genaueren Beobachtung. Nur bei einigen wenigen in nächster Nähe des Menschen angesiedelten Arten sind die Verhältnisse etwas günstiger, während wir bei der weit überwiegenden Mehrzahl uns begnügen müssen, die erlangten Exemplare der vollkommenen Insecten an Nadeln aufzuspießen und ihre Puppen und Larven in Spiritus aufzubewahren oder sie mit Wachs auszuspritzen. Eben deshalb dürften auch Mittheilungen von ganz bescheidenem Inhalt, sobald sie sich auf das Leben der Thiere selbst beziehen, nicht ganz unwillkommen sein.

Ende Juli d. J. hatte ich mich an einem besonders warmen Tage in einen mir zugänglichen Garten begeben, um daselbst bei einer Tasse Kaffee Siesta zu halten. Zu diesem Zwecke stellte ich einen Gartentisch in den tiefen Schatten einer großen, aber etwas kernfaulen Eiche, nahm ein Buch in die Hand und versuchte, mich so behaglich, als die Hitze zuließ, in die Lectüre zu vertiefen. Bald wurde indessen meine Aufmerksamkeit durch ein eigenthümliches Geräusch abgezogen. Aus den unteren Zweigen der Eiche ließ sich in kurzen Zwischenräumen ein leises, aber dennoch deutlich unterscheidbares Knacken oder Knirschen vernehmen, als ob kleine, dürre Zweige zerbrochen würden. Kurz darauf fiel ein schwärzlicher Gegenstand vom Baume herab in das Gebüsch. Nach längerem Suchen entdeckte ich den Gefallenen. Es war ein Hirschkäfer, Baumschröter oder Feuerschröter der größten Art, der jetzt, so rasch es ihm möglich war, an der rauhen Eichenrinde wieder empor klomm. Da inzwischen das Knirschen und Krachen fort und fort ertönte, so richtete ich meine Blicke dahin, woher es kam, d. h. nach oben.

Am Stamme selbst und etwa 15 Fuß vom Boden bemerkte ich eine eigenthümliche bräunliche Masse, auf welcher der Sonnenstrahl in höchst seltsamem Wechsel reflectirte. Bei meiner Kurzsichtigkeit vermochte ich zunächst nichts Näheres zu unterscheiden. Inzwischen fiel bald ein zweiter und dritter Hirschkäfer herab.

In Zeit einer Viertelstunde hatte ich 11 Stück von allen Größen, Männchen und Weibchen, auf dem Tische gesammelt, die wirr neben einander herumkrochen. Das leise Knirschen tönte inzwischen immer noch vom Baume herab. Ich beschloß deshalb die Sache näher zu untersuchen, holte eine kurze Leiter herbei und stieg hinan. Hier bot sich mir ein seltsames Bild.

Auf einer Fläche von etwa einem Quadratfuße war an der Eichenborke ein süßlicher Baumsaft herabgeflossen. Zu diesem leckern Male nun hatte sich eine sehr gemischte Gesellschaft von Insecten zu Gaste geladen. Große Ameisen kletterten geschäftig hinauf, nahmen ihre Mahlzeit und stiegen dann wieder zu Thal; genäschige Fliegen aller Art saßen dicht beisammen, und auch die große jähzornige Hornisse schwärmte grimmig summend um den Stamm. Die auffallendsten Gäste aber, sowohl nach der Zahl, als nach ihrer sonstigen Bedeutung waren unzweifelhaft die Hirschkäfer. Obwohl der Käfer hier nicht so selten ist, als an manchen anderen Orten, so habe ich doch nie eine so große Zahl an einem Flecke beisammen gesehen. Ich zählte in wenig Minuten und auf einer kleinen Fläche 24 Stück, die in meiner Gewalt befindlichen Gefangenen ungerechnet. Sie spielten auch offenbar die wichtigste Rolle bei diesem Gastmahle, schienen aber trotz der süßen Speise nicht besonders guter Laune zu sein. Selbst die gewaltigen Hornissen scheuten sich, den plumpen, aber gefährlichen Gesellen und ihren gewaltigen Kiefern zu nahe zu kommen, und hielten sich deshalb in respectvoller Entfernung.

Um so wüthendere Zweikämpfe fochten die Käfer unter einander aus, und zwar rangen mindestens zwei Drittheile der Versammelten zusammen. Da auch die Weibchen mit ihren kurzen, kräftigen Kiefern sich zornig verbissen hatten, so lag das Motiv wohl nicht in der Eifersucht, sondern in dem wenig idealen Futterneide. Besonders interessant waren indessen nur die Kämpfe der Männchen. Die geweihartigen Kiefern bis an das Ende schief übereinander geschoben, so daß sie über den Kopf und das Halsschild des Gegners hinwegragten und die Köpfe selbst sich dicht berührten, zum Theil hoch aufgebäumt, rangen sie erbittert mit einander, bis den einen Streiter die Kräfte verließen und er hinab zur Erde stürzte. Hin und wieder gelang es auch wohl einem geschickteren Fechter, den Gegner um die Taille zu fassen. In diesem Falle richtete sich der Kopf des Siegers stolz auf und ließ den Gefangenen einige Zeit in der Luft schweben. Dann folgte stets der unvermeidliche Sturz in die Tiefe. Das Knirschen, welches ich gleich anfangs gehört hatte, rührte nur von dem trägen, aber kräftigen Schließen der Kiefern her. Von den gebogenen seitlichen Wulsten des Kopfschildes in die mittlere Einbiegung abgleitend, verursachten sie jenes leise bis auf mehrere Schritt Entfernung hörbare Knacken. Uebrigens sah der Kampf gefahrvoller aus, als er in Wirklichkeit war. Ich habe wenigstens keinen einzigen Käfer gefunden, welcher ernstlich verwundet gewesen wäre. Der dicke Panzer schützte die Ergrimmten sowohl gegen die feindlichen Waffen, als gegen den Sturz. Nur bei einem Einzigen zeigte sich eine leichte Verletzung der Kiefern.

Fast noch interessanter als jene Zweikämpfe war mir ein anderer Umstand. Die Thiere schienen meine Annäherung im Allgemeinen nicht zu bemerken, die Kämpfer kämpften fort, die Sieger leckten begierig den süßen Saft oder gingen den Liebesfreuden nach. Nur wenn mein Athem sie direct berührte, zeigten sie sich beunruhigt. Dagegen wirkte das leiseste Geräusch, z. B. das Knacken eines brechenden Zweiges, rasch auf die ganze Gesellschaft. Sie richteten sich sämmtlich rasch und hoch auf und schienen eine Weile zu lauschen. Aehnliches geschah, sobald einer der Gefallenen von unten heraufsteigend sich dem Kampfplatze näherte. Auch in diesem Falle richteten sich die Männchen auf und gingen dann dem Gegner etwa eine Spanne lang mit weit ausgebreiteten Kiefern kampfbegierig entgegen. Unwillkürlich fiel mir dabei das Bild eines zornigen Stieres ein, der dem Nebenbuhler begegnet.

Die Kämpfe waren in den Nachmittagsstunden am heftigsten. Gegen Abend summte allmählich der größere Theil der Käfer davon, augenscheinlich nur um sich nach den Tafelfreuden eine kleine Motion zu machen. An Serenaden, verliebte Stelldicheins und dergleichen romantische und idyllische Dinge glaube ich nicht; das konnten sie ja näher und bequemer haben. Oder suchten sie etwa auch ein pikanteres Glück außer dem Hause?

Als ich endlich nach 8 Uhr Abends den Garten verließ, tönte noch immer aus den Zweigen der Eiche das verhängnisvolle Knacken herab, wenn auch seltener und schwächer.

Sondershausen.

Karl Chop.
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