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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Martha.
Erzählung aus dem Leben.
Von A. Diezmann.
(Schluß.)

Im Hause Michel Gerber’s war dieses Pfingsten kein „liebliches Fest“. Martha’s Befürchtungen hatten sich nur zu bald verwirklicht. Eines Tages nämlich theilte ihr der Vater höchst vergnügt und in seiner besten Laune die, wie er meinte, für sie höchst erfreuliche Nachricht mit, daß sie bald – Braut sein werde. Er habe, erzählte er weiter, ohne auf das Erschrecken der Tochter zu achten, einen Mann für sie gefunden, den einzigen Sohn eines Bauern in einem zwei Stunden entfernten Dorfe, der beinahe so reich sei wie er, Michel Gerber, selbst. Alles sei zwischen ihnen, den Vätern, bald abgemacht gewesen, aber weil ihm, Michel, das Wohnhaus in jenem Gute nicht gefallen, habe er die Bedingung gestellt, daß dieses erst groß und schon neuaufgebaut sein müsse, ehe er seine Martha da einziehen lassen könne. Der Andere habe zwar Anfangs die Forderung zu hoch gefunden, aber doch nachgegeben, sobald er gemerkt, daß aus der Heirath nichts werde, wenn er jene Bedingung nicht eingehe. Gleich nach den Feiertagen werde denn angefangen das Haus einzureißen, und zum Ernte- und Hochzeitsfeste müsse das neue zum Beziehen fertig sein. Am zweiten Feiertage werde der Alte mit dem Sohne zur „Brautschau“ kommen.

„Stellen Sie sich vor,“ sagte Michel Gerber zu mir am ersten Feiertage, als nach dem Mittagsessen das Gesinde sich aus der Wohnstube entfernt hatte, in Martha’s Beisein, „kreideweiß im Gesicht stand das Mädchen vor mir, als ich ihr das sagte, an allen Gliedern zitterte sie, mir vor die Füße fiel sie und auf meine Kniee legte sie den Kopf, den sie nicht still halten konnte. So lag sie eine lange Weile, und ich wußte nicht, was es zu bedeuten haben sollte. Dann umklammerte sie meine Kniee mit ihren beiden zitternden Armen und fing an zu weinen, wie ich sie nur einmal weinen gesehen habe, – als ihre Mutter starb. Ich erschrak, denn ich glaubte, sie sei krank geworden. Aber nein! Eigensinn war’s, Trotz, Ungehorsam! Sie erklärte mir rund heraus, sie könne und werde den Mann nicht heirathen, den ich, ihr Vater, wohlbedächtig für sie gewählt habe. Verstehen Sie das?“

Ich war in so peinlicher Verlegenheit als Martha selbst, die todtenbleich da stand und die zitternden Hände auf die Lehne meines Stuhles stützte.

„Reden Sie ihr in das Gewissen,“ fuhr Michel fort. „Ich weiß, daß sie große Stücke auf Sie hält.“

Das Verhältniß zwischen Martha und mir war allerdings ein rein freundschaftliches, keineswegs ein Liebesverhältniß; man hätte aber recht wohl ein solches vermuthen können. Daß ein Liebesverhältniß zwischen uns hätte bestehen und die Ursache der Weigerung Martha’s sein können, kam dem stolzen Bauer gar nicht in den Sinn, weil er es geradezu für unmöglich hielt, daß ein junger Mensch wie ich die Augen zu der Tochter des reichen Michel Gerber zu erheben oder gar nach dem Besitze derselben zu streben wagen könne.

Den alleinigen und natürlichen Grund der Weigerung Martha’s mochte ich jetzt, im Beisein des Mädchens, nicht aussprechen, weil dies zu einer langen und weitläufigen Auseinandersetzung hätte führen müssen, die den hartnäckigen Bauer doch nicht überzeugt haben würde. Ich hielt es daher für das Beste, vor allem, wo möglich, Zeit zu gewinnen, und ich begann deshalb:

„Martha ist durch die für sie so wichtige Nachricht erschreckt worden, weil sie gar nicht darauf vorbereitet war.“

„Das ist nichts,“ fiel Gerber ein. „Die Kinder müssen jeden Augenblick bereit sein, den Eltern in Allem zu gehorchen, was von ihnen verlangt wird.“

„Auch ist sie ja so jung noch,“ bemerke ich.

„Jung soll sie heirathen, damit Alle sehen, wie gesucht die Tochter des reichen Michel Gerber ist. Wenn ich sie lange warten ließe, meinten die Leute wohl gar, es könne mit meinem Reichthum doch nicht so weit her sein.“

„Lassen Sie Martha nur noch einige Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen.“

„Ah, alle Mädchen wollen heirathen, und je jünger, desto lieber. Sie brauchen sich also an den Gedanken daran nicht erst zu gewöhnen. Was das Heirathen eigentlich ist, wissen sie freilich nicht und sie können’s nicht wissen. Darum eben sollen die Eltern die Kinder verheirathen. Die haben die Erfahrung und meinen es auch gut. Nur die Mädchen in der Stadt glauben klüger zu sein als ihre Eltern und wollen darum bei dem Heirathen ihren eigenen Willen haben. Daher kommt’s, daß die Mädchen in der Stadt, wie man so oft hört, sogar beim Heirathen den Eltern ungehorsam sind. Das ist, Gott sei Dank! bei uns Bauern anders und besser, denn die Töchter der Bauern – und die Töchter der Fürsten, wie ich mir habe sagen lassen – nehmen gehorsam den Mann, den die Eltern für sie ausgesucht haben. Martha ist die Tochter eines Bauern, eines reichen Bauern, darum muß und wird sie gehorchen.“

„Vater! Lieber Vater...!“ fiel Martha flehendlich ein.

„Weißt Du,“ unterbrach sie Michel, „weißt Du, warum Dein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 529. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_529.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)