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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

siegreichen Austrage zu bringen gedenkt, während dessen geht von den Kämpfern jener früheren Zeit, von den ersten Urhebern und Vertheidigern der Reichsverfassung von 1849, Einer nach dem Andern dorthin, von wannen Niemand wiederkehrt, einem jüngeren Geschlecht die Erbschaft ihrer Anstrengungen, ihrer Hoffnungen und Enttäuschungen hinterlassend, sammt der Pflicht dankbarer Erinnerung an das, was Jene gethan, gelitten, erstrebt – wenn auch leider nicht erreicht haben.

Vor Kurzem ist wieder jener Aelteren einer, und wahrlich keiner der mindest Bedeutenden, geschieden. Es giebt Namen von stärkerem, weiterhin tönendem Klange, aber sicherlich keinen von reinerem, als den Namen Gabriel Riesser. Sei es denn Einem, der dem Verstorbenen längere Zeit und in einer der wichtigsten Epochen seines Lebens als Kampf- und Gesinnungsgenosse so nahe gestanden, wie Wenige, vergönnt, zu Riesser’s Ehrengedächtniß hier ein kurzes Lebens- und Charakterbild desselben zu entrollen! G. Riesser war geb. zu Hamburg am 1. April 1806. Aus jüdischer Familie stammend und viel zu ehrenhaft, um seinen Glauben eines äußeren Vortheils wegen zu wechseln (wie sehr auch seine aufgeklärte Gesinnung ihn über eine beschränkte Auffassung jenes Glaubens erhob) sah er sich alle Wege zu einer öffentlichen Wirksamkeit, wie sie seiner hohen geistigen Bildung entsprochen haben würde, versperrt. Um so eifriger warf er sich zum Verfechter eben der Sache auf, welche er nicht blos als seine eigene, auch nicht einmal blos als die seiner Glaubensgenossen, vielmehr als eine allgemeine Sache der Humanität, der Gerechtigkeit, des Fortschritts betrachtete, der Sache der Emancipation. Durch zahlreiche Schriften in dieser Richtung, in denen eben so sehr die edle Hoheit seines Charakters, wie die Schärfe seines Verstandes und die Macht seiner Beredsamkeit glänzend zu Tage trat, erwarb er sich einen wohlbegründeten Ruf als Schriftsteller, und unter seinen Glaubensgenossen weitverbreitete verehrungsvolle Sympathien.

Auf diese schriftstellerische Wirksamkeit für die Sache der Emancipation und daneben für andere, mehr oder minder damit im Zusammenhang stehende Fragen des Rechts und der Politik blieb die Thätigkeit Riesser’s im Wesentlichen bis zum Jahre 1848 beschränkt. Die denkwürdige Bewegung dieses Jahres rief ihn endlich auf einen größeren Schauplatz, wie er seinen Fähigkeiten und seinem von früh auf regen patriotischen Thatendrange entsprach. Riesser erschien beim Vorparlament zu Frankfurt und fand dort alsbald Gelegenheit, ebenso wohl für die bisher von ihm so beharrlich verfochtene Sache seiner Glaubensgenossen, wie für ein großes und wichtiges allgemeines Princip in Betreff der politischen Neugestaltung Deutschlands beredt und siegreich aufzutreten. Als die Versammlung darüber verhandelte, ob und wie weit die Wahlordnung für das zu berufende deutsche Parlament sofort festzustellen, oder was davon etwa den Einzelgesetzgebungen zu überlassen sei, ergriff Riesser das Wort und sprach die wenigen, aber gewichtigen Sätze, welche, indem sie den Kern der Sache trafen, für den Redner, der so scharf, klar und von dem höchsten Standpunkte aus diese Fragen angriff, sogleich allgemein die günstigste Meinung erweckten.

„Wir wollen,“ sagte Riesser, „der Localität überlassen, was der Form angehört, aber für Deutschland reserviren, was dem Geist angehört. Ich glaube, daß die Frage des directen oder indirecten Wahlmodus der Form angehört, und daß es dem Geiste keinen Abbruch thut, wenn die Staaten, denen es die Verhältnisse nicht möglich machen, daß direct gewählt wird, den indirecten Modus beibehalten; aber daß kein Census, keine Bedingung des Vermögens, des Standes, des Religionsbekenntnisses obwalte, ist Sache des Princips, des Geistes, und diese Frage dürfen wir der Localität nicht überlassen. Meine Herren, die Einheit Deutschlands soll nicht eine bloße Form sein, diese Einheit soll eindringen in die Gesinnung. Lassen Sie die aufgegangene Sonne Deutschlands leuchten durch alle Winkel und düsteren Schluchten, lassen Sie allenthalben jeden Unterdrückten, in seinem Rechte Zurückgesetzten fühlen, daß er in der Vertretung einer Nation von vierzig Millionen eine Stütze habe! Nach diesem Grundsatze mache ich den Vorschlag, daß die genaue Festsetzung des Wahlmodus den einzelnen Staaten überlassen bleibe, daß aber der Wahlmodus auf dem Grundsatze beruhen müsse, daß jeder volljährige Deutsche ohne eine Bedingung des Standes, Vermögens und Glaubensbekenntnisses Wähler und wählbar sei.“

Die Versammlung erhob diesen Vorschlag zum Beschlusse. Trotz dieses so glänzenden parlamentarischen Debüts Riesser’s beim Vorparlamente schien es gleichwohl, als sollte dem Parlamente eine so bedeutende Kraft entzogen bleiben. Obschon Riesser, im Bewußtsein seines uneigennützigen, nur auf das Gemeininteresse Deutschlands gerichteten Strebens, zugleich im Bewußtsein seiner Pflicht als berufener Anwalt seiner Glaubensgenossen, die von der zu schaffenden nahen Ordnung der Dinge auch für sich Gerechtigkeit hofften, sich nicht scheute, als Wahlcandidat für das Parlament öffentlich aufzutreten, hatten doch seine und seiner Freunde Bemühungen eine Zeit lang wenig Aussicht auf Erfolg. In Hamburg selbst durfte er, bei der socialen Stellung, die er dort einnahm, auf eine Wahl ins Parlament zur Zeit noch nicht rechnen. Auch gehörte Riesser nicht zu denen, die vor einer lebhafter erregten Wählerversammlung (wie es damals die meisten waren) mit tönenden Schlagwörtern und großen Versprechungen rasche Erfolge zu erzielen im Stande waren. Gewissenhaft bis zum Peinlichen, hätte er es nie über sich vermocht, Hoffnungen zu erwecken, die er nach seinen eigenen Kräften und nach den gegebenen Verhältnissen, wie er sie erkannte, nicht mit Sicherheit zu erfüllen sich getraute, oder Behauptungen zu verfechten, die er nicht mit vollster, genauest erwogener Ueberzeugung vertreten konnte. Ebenso war er persönlich zu bescheiden, um nicht da, wo er mit einem ihm politisch halbwegs Gleichgesinnten hätte concurriren müssen, lieber freiwillig zurückzutreten, als es auf den Rücktritt des Andern oder auf die Entscheidung der Wähler ankommen zu lassen. Doch erhielt er endlich ein Mandat von den Wählern des Herzogthums Lauenburg.

Im Parlament schloß Riesser sich dem linken Centrum, dem sogenannten Würtemberger Hof, an. Er gehörte zu dem Theile dieser Fraktion, der nach dem Septemberaufstand sich als besonderer Club im Augsburger Hofe constituirte. Sowohl in diesen engeren Kreisen, als in der Versammlung selbst nahm Riesser bald eine geachtete und hervorragende Stellung ein. Die Lauterkeit seiner Gesinnungen, die Wärme seines patriotischen und seines Rechtsgefühls, die aus seinem ganzen Wesen hervorleuchtete, gewannen ihm schnell allgemeines Vertrauen, während die Schärfe und Klarheit seines Denkens selbst denen imponirte, welche an praktisch politischer und parlamentarischer Erfahrung ihm überlegen waren. Er ward in den wichtigsten Ausschuß des Parlaments, den Verfassungsausschuß, gewählt und von diesem unter Anderm mit der ebenso schwierigen, als bedeutsamen Berichterstattung über den Abschnitt der Verfassung „vom Reichsoberhaupte“ betraut. Er war eine Zeit lang Mitglied des Bureau’s als zweiter Vizepräsident. Seine Stimme wurde stets mit besonderer Aufmerksamkeit gehört und hatte ein nachdrückliches Gewicht in jenen kleinen Versammlungen von Mitgliedern der verschiedenen Fraktionen der Mehrheit, welche bei besondern Veranlassungen, z. B. bei der österreichischen und der Oberhauptsfrage, theils nur unter sich, theils auch im Verein mit den gesinnungsverwandten Männern des Reichsministeriums, die Lage der Verhältnisse und die jeweilig einzuschlagenden Wege beriethen. Endlich war er auch Mitglied der großen Deputation des Parlamentes, welche dem König Friedrich Wilhelm IV. von Preußen die auf ihn gefallene Wahl zum deutschen Kaiser anzeigen und ihn zur Annahme der Krone auf Grund der Reichsverfassung vom 28. März 1849 einladen sollte. Als nach der abschlägigen Antwort des Königs die Deputation beschloß, demselben das Unheilvolle dieses Schrittes und die Unmöglichkeit einer Abänderung der einmal beschlossenen Reichsverfassung nochmals vorzustellen, war es Riesser, der nebst zwei andern Mitgliedern mit der Abfassung einer solchen Erklärung beauftragt ward.

Als Redner ist Riesser im Parlament nur selten, aber dann immer mit bedeutendem Erfolge aufgetreten. Nachdem er zuerst in einer rein formellen Frage, wobei er Gelegenheit hatte, seinen logischen Scharfsinn zu zeigen, die Aufmerksamkeit der Versammlung auf sich gelenkt, überraschte er dieselbe mit einer glänzenden Improvisation, worin er einen fanatischen Angriff des sonst freisinnigen, aber in diesem Punkte äußerst voreingenommenen Würtembergers Moritz Mohl auf die Ideen mit einer ebenso sachlich eingehenden, als von den höchsten Ideen durchwehten Beweisführung siegreich, unter dem lauten Beifall einer ungeheuren Mehrheit des Hauses, widerlegte.

Diese Rede kennzeichnet so ganz nicht blos den Standpunkt Riesser’s in der Judenfrage, sondern sein Wesen überhaupt und die Art seiner Beredsamkeit, daß wenigstens die Hauptsätze derselben hier eine Stelle finden mögen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 534. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_534.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)