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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Ich nehme das Recht in Anspruch,“ sagte er, „vor Ihnen aufzutreten im Namen einer seit Jahrtausenden unterdrückten Classe, der ich angehöre durch die Geburt, und der ich – denn die persönliche religiöse Ueberzeugung gehört nicht hierher – ferner angehöre durch das Princip der Ehre, das es mich hat verschmähen lassen, durch einen Religionswechsel schnöde versagte Rechte zu erwerben. (Bravo!) Im Namen dieser unterdrückten Volksclasse gegen gehässige Schmähungen vor Ihnen das Wort zu ergreifen, dieses nehme ich in Anspruch. (Stimmen: Sehr gut!) Sie haben durch einen förmlichen Beschluß den nichtdeutschredenden Volksstämmen, die in Deutschland leben, Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit der Rechte, Gleichheit alles dessen, was dem Deutschen Deutschland theuer macht, zugesichert. Sollen wir Juden es für unser Unglück erachten, daß wir deutsch reden? Sollen wir darum schlechter behandelt, soll uns die Freiheit vorenthalten werden dürfen, weil wir nicht in die Kategorie nichtdeutschredender Volksstämme gehören? Soll die Geschichte von Ihnen sagen, daß Sie mächtige Volksstämme, die zerstörend in die Geschicke Deutschlands eingreifen könnten, die gewaffnet und gerüstet vor Ihnen stehen, durch Verleihung gleicher Rechte haben versöhnen wollen, daß Sie für die drohende Gewalt nur milde Worte hatten, einer schwachen Religionspartei dagegen, die in bürgerlicher Hinsicht nichts will, als in Deutschland aufgehen – denn nur nach Denjenigen, die klar denken und lebendig fühlen und ein deutliches Bewußtsein ihrer Lage haben, können Sie diese, wie jede Masse beurtheilen – einer Classe, die keine Nationalität haben will, die ihnen von ihren Feinden aufgebürdet wird, die deutsch denkt und fühlt, mit Mißhandlungen entgegengetreten, und zu ihrem Nachtheil Ausnahmsgesetze bestehen lassen, während Sie andererseits alle Ausnahmsgesetze vernichten?“

Ganz anderer Natur und doch ebenso seinem innersten Wesen, seinem tiefen und unbestechlichen Gefühl für Recht und Wahrheit entquollen, darum auch eben so eindrucksvoll in ihrer Art, war die Rede, welche Riesser nach den traurigen Ereignisen vom 18. September, dem Angriff einer wüsten Rotte auf die Paulskirche, dem blutigen Morde Auerswald’s und Lichnowsky’s hielt – bei Gelegenheit eines vom Reichsministerium in das Parlament gebrachten Gesetzentwurfs zum Schutz der Versammlung.

„Deutschland,“ rief er der Versammlung zu, „wird durch eine blutige Herrschaft unter dem Vorwande der Freiheit niemals, auch nur einen Augenblick, regiert werden können; es bedarf für jetzt und für immer einer mäßigen, einer gerechten, einer sittlichen Regierung. Die Städte von München bis Königsberg, von Triest bis Hamburg werden den Abgeordneten der Blutherrschaft ihre Thore nicht öffnen, wie es einst Lyon und Nantes gethan. (Sehr gut! Lebhafter Beifall auf der Rechten und im Centrum.) Die Anarchie würde die Einheit Deutschlands unmöglich machen, und die Reaction, die nach Wiederholung solcher Schrecknisse – ich erinnere Sie an das warnende Beispiel des jetzigen republikanischen Frankreichs – die Reaction, die dann unvermeidlich wäre, würde die Freiheit und Einheit Deutschlands auf lange, lange Zeit vernichten.“

Riesser selbst, wie der bei weitem größte Theil des Würtemberger Hofs hatte in der Frage des Malmoer Waffenstillstandes mit Dänemark – der bekanntlich den Anlaß und Vorwand zu dem Frankfurter Aufstande gegeben – gegen die Majorität, für Verwerfung des Waffenstillstandes und Fortsetzung des Krieges gestimmt. Aber er protestirte feierlich gegen jede Solidarität seiner Partei mit der Partei des Aufruhrs.

„Wir, meine Herren,“ sagte er, „die wir in der Waffenstillstandsfrage gegen die Majorität des Hauses gestimmt haben, und die wir diese Abstimmung nicht bereuen und sie wiederholen würden, wenn die Frage sich erneuern könnte – wir müssen das Bündniß mit jener, großentheils erkünstelten Aufregung zurückweisen, welche eine schlechte Absicht an dieses Waffenstillstandsvotum geknüpft hat. Wir können in dem unredlichen Vorwand keineswegs den wahren Grund der vorgefallenen Gräuel erkennen.“

Eine dritte größere Rede Riesser’s – sowohl dem Umfange nach, als nach der Wichtigkeit des Gegenstandes wohl die bedeutendste unter allen – war sein Schlußwort als Referent über die Frage des Reichsoberhauptes. Sie ward, obschon sie fast zwei Stunden dauerte, mit gespannter Aufmerksamkeit angehört und von der Mehrheit des Hauses mit einem wahren Beifallssturm belohnt. Einzelnes daraus hier wiederzugeben, müssen wir uns versagen.

Nur über Riesser’s Verhalten in den letzten Wochen des Parlaments, nach erfolgter definitiver Ablehnung der Kaiserkrone von Berlin aus, sei noch Einiges bemerkt, weil gerade darin sich wieder sein ganzes Wesen ausprägt.

Ein wie großer Feind jedes ungesetzlichen, zerstörerischen Treibens Riesser war, haben wir aus seiner Rede über die Septemberereignisse ersehen. Aber nicht minder empörte sein sittliches und sein Rechtsgefühl der Gedanke, daß durch den bloßen einseitigen Widerstand einiger Regierungen oder Dynastien – gegenüber den dringlichen Wünschen der großen Mehrheit des deutschen Volkes und angesichts der drohenden allgemeinen Weltlage – das Werk der einheitlichen und freiheitlichen Neugestaltung Deutschlands vereitelt werden sollte. Die Ueberzeugung von der politischen Nothwendigkeit einer solchen Neugestaltung, von dem Rechte der Nation darauf, und von der sittlichen Verwerflichkeit einer Verkümmerung dieses Rechts war bei ihm so stark und lebendig, daß er zur Erreichung jenes höchsten Zieles selbst äußerste Maßregeln nicht schlechthin zurückweisen zu dürfen glaubte, und er that in dieser Richtung mehrfache Schritte, um Heinrich v. Gagern und die diesem anhängende große Partei des Parlaments zu gewinnen. Nur dann, als alle jene Bemühungen scheiterten, als die große conservativ-liberale Mehrheit des Parlaments, statt sich zu einem bestimmten Entschlusse des Handelns aufzuraffen, in Masse austrat, während auf der andern Seite die localen Aufstände in der Pfalz, in Baden und Sachsen, indem sie über die Reichsverfassung hinausgingen, die Lage vollends unrettbar verwirrten, erst da gab Riesser die Sache der Reichsverfassung und die Thätigkeit des Parlamentes verloren. Aber auch da nicht ohne die härtesten Seelenkämpfe und das tiefinnerste Widerstreben seines ganzen Selbst gegen einen solchen Gedanken. So tief ergriff der Schmerz darüber und der innere Widerstreit der Gefühle das Gemüth Riesser’s, daß sogar seine physische Natur in diesem Kampfe fast erlag, und er, von täglichen Krankheitsfällen erfaßt und zur Betreibung parlamentarischer Geschäfte unfähig gemacht, zuletzt sich genöthigt sah, die Versammlung zu verlassen und in einer Reise an den Rhein erst wieder neue Kräfte zu sammeln.

Auch jetzt noch wollte er den Faden nicht gänzlich abreißen, der seine letzten, wie auch immer schwachen Hoffnungen an das ihm so theure Verfassungswerk knüpfte: er behielt sein Mandat bei und somit sich die Rückkehr in das Parlament vor, indem er nur einem seiner vertrautesten Freunde und Parteigenossen die Vollmacht hinterließ, für den Fall, daß dieser sich veranlaßt fände auszutreten, auch seinen Austritt mit zu erklären.

Mit wieder gestärkter Kraft, wenn auch mit schwacher Hoffnung, fand sich Riesser auf dem Unionsparlamente zu Erfurt ein, diesmal von seiner Vaterstadt Hamburg entsendet. Er betrachtete es als eine schwere, aber nicht abzulehnende Pflichterfüllung gegen das Vaterland, auch zu diesem letzten Versuche der Herstellung einer nationalen Einheit die Hand zu bieten, wie sehr er auch von vornherein nicht blos die Möglichkeit des Gelingens, sondern selbst die Aufrichtigkeit des Wollens auf Seiten der Urheber dieses Experimentes bezweifelte.

Damit war Riesser’s parlamentarische Thätigkeit auf größerem Schauplatze zu Ende. Nicht so sein Interesse für die allgemeinen Angelegenheiten des Vaterlandes. Wo immer er mit Rath oder That denselben förderlich sein konnte, da fehlte er nie. So hat er namentlich der schleswig-holsteinschen Sache und der von ihrem Rückschlage Betroffenen sich jederzeit auf das Wärmste und Thatkräftigste angenommen.

Im Uebrigen lebte er jetzt wieder zurückgezogen dem engern Kreise der Pflichten seines Berufs und der Zwecke seiner persönlichen Ausbildung, an welcher fort und fort zu arbeiten, er niemals müde ward. Wie er schon vor 1848 in fast alljährlichen Reisen von mehr oder minder großer Ausdehnung nicht blos Deutschland nach allen Seiten, sondern auch die meisten andern europäischen Länder, insbesondere England, Frankreich, Italien, genau kennen gelernt, mit den Anschauungen ihrer politischen und socialen Zustände sich bereichert, mit vielen ihrer bedeutendsten Persönlichkeiten fruchtbare Bekanntschaften angeknüpft hatte, so unternahm er im Jahre 1857 zu dem gleichem Zwecke eine Reise nach den Vereinigten Staaten von Nordamerika, wo er längere Zeit verweilte und auch von der deutschen Emigration in Newyork in ihren bedeutendsten Vertretern (selbst solche nicht ausgeschlossen, denen er daheim auf der politischen Arena feindlich gegenübergestanden) durch ein großes Festmahl geehrt ward. Die Resultate seiner amerikanischen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 535. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_535.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)