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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

dem Seitengange angelangt, wies Schulz auf eine in Mannshöhe festgemauerte Steinplatte, welche die zu Eingang dieses Aufsatzes stehende Inschrift trägt. „Dies hier,“ begann der Prediger, „ist der Denkstein von dem Grabe eines sehr gefürchteten und verhaßten Mannes. Es scheint fast, als sollte er im Grabe keine Ruhe finden für Alles, so er verschuldet. Dort, wo das Crucifix steht, also mitten in der Kirche, liegt sein Leichnam. Aber man hat ihn nicht respectirt, sondern 1722 bei Reparatur der Kirche tiefer in das Gewölbe gesenkt und darüber hinweg die neuen Quadern gelegt. Die Votivtafel ist fortgenommen und hier eingemauert worden, weil die Flügelthüren, welche sie bedeckten, hinderlich waren.“

„Schwarzenberg?“ rief der Prinz, der die Inschrift gelesen hatte. „Sonderbar. Wie kommt Schwarzenberg’s Leiche in die Nicolaikirche zu Spandau?“

„Je nun,“ lächelte die Prinzessin, „weil sie jedenfalls hier beigesetzt wurde. Was ist da zu verwundern?“

„Ich habe zur Verwunderung meinen besondern Grund,“ entgegnete der Prinz. „Unser Bruder, der König, schreibt ausdrücklich in seinen Mémoires de Brandebourg, daß der Minister Graf Schwarzenberg vor seinem Ableben nach Wien gegangen und dort gestorben sei. Sollte sich diese Abreise nach der Kaiserstadt nicht feststellen lassen? und hat der König nie seine Aufmerksamkeit dieser Tafel zugewendet? Hier ist ein Räthsel.“

„Vieles ist räthselhaft in dieser ganzen Sache,“ bemerkte Schulz. „So dürfte Ew. königlichen Hoheit vielleicht auch noch das Gerücht unbekannt sein, welches behauptet, Schwarzenberg sei auf Befehl des großen Kurfürsten geköpft worden und liege hier mit zerhauenem Halse in der Gruft.“

„Und hat man nie einen Versuch gemacht, hinter die Wahrheit zu kommen? die Gruft zu öffnen?“

„Nein. Denn erstens bedürfte es dazu höherer Erlaubniß, dann aber bringt man die Eröffnung mit einer anderen Sage in Verbindung, nach welcher dem Grafen dereinst prophezeit worden sein soll, er werde im Sarge keine Ruhe finden. Seitdem nun die erste Störung der Leiche im Jahre 1722 erfolgt ist, soll der Minister in seinem ehemaligen Hause spuken.“

„Wo ist die Gruft?“ fragte der Prinz.

„Dort am Taufsteine.“

Alle Drei traten auf die bezeichnete Stelle. „Hu!“ rief die Prinzessin, „fort von hier. Es ist, als zöge ein Schauer herauf aus den Gewölben.“

„Die Sache ist höchst interessant,“ bemerkte Prinz August. „Noch heute muß ich dem Könige davon Anzeige machen.“

Noch an demselben Abende um 11 Uhr erschien in Spandau ein Läufer des Königs. Er ließ durch den Küster sich die Kirche öffnen, mit einer Laterne die Votivtafel beleuchten, copirte genau die Inschrift und überbrachte sie dem Könige nach Charlottenburg.

Zwei Tage darauf erschallen die Wölbungen der Kirche von den Schlägen der Hämmer arbeitender Maurer. Die Quadern sind hinweggeräumt. Die Uebermauerung des Gewölbes liegt bloß. Nur wenige Steine sind hinweg zu nehmen, endlich fallen diese auch hinunter, durch die Oeffnung gewahrt man einen Sarg mit Handgriffen. Modergeruch dringt den die Gruft Umstehenden entgegen, eine kalte, eisige Luft haucht sie an. Erwartungsvoll schauen der Prinz August, sein Adjutant, der Oberprediger und der kecke Page Fritz von Dequede in die Höhlung. Birgt der Sarg wirklich den Todten, oder ist es nur eine Scheinbeerdigung gewesen? Die Handwerker, Zimmergesellen und Maurer, sind ebenso geschäftig als neugierig. Dergleichen Arbeiten haben sie selten vor. Schon sind zwei Gesellen in die Gruft gesprungen, jetzt naht der Augenblick, der Deckel kreischt beim Abheben, Myriaden von Gewürm flüchten nach allen Seiten, Staub wirbelt in grauen Wolken auf und füllt gleich einem Nebel die Höhlung. Als er sich verzogen, gewahrt die Versammlung die langgestreckte, mit Flittertand bekleidete Leiche. Ernst, ruhig, fast drohend liegt sie da.

„Herr Graf von Schwarzenberg, Sie sind also in der Mark geblieben. – Sie haben dem Mächtigsten nicht entrinnen können. – Sie konnten nicht ruhen in der Gruft Ihrer Väter. – Sie blieben unter Ihren Feinden, und jetzt – jetzt sind Sie eine willkommene Beute für die Neugierde. Sie bereiten einen interessanten Tag – gestatten müssen Sie es, daß Ihre Gebeine untersucht werden. Ihre gewaltige Macht kann Nichts mehr hindern.“

Die Leiche lag in einem mit violettem Sammet ausgeschlagenen Sarge, der reich mit goldenen Tressen besetzt war. Die Kissen trugen Ueberzüge aus weißem Taffet. Eine prächtige spanische Kleidung, ganz aus Drap d’Argent bestehend, hüllte die Leiche ein. An der linken Seite ruhele ein stählerner Degen, den eine goldene Schleife zierte. Ein schwarzsammtener, mit goldener Stückschnur umwickelter Hut, Strümpfe von fleischfarbener Seide und dicke schwarzlederne Schuhe. Alles sehr wohl erhalten, bildeten den übrigen Theil der Grabestoilette.

„Zurücktreten!“ befahl der Prinz. Alle Handwerker entfernten sich. August, sein Adjutant und der Page traten dicht an die Gruft. Der Prinz stützte sich auf seinen Stock und betrachtete schweigend die noch kenntlichen Züge des Todten, der, als böser Engel eines hohenzollerschen Fürsten verrufen, nun vor dem Nachkommen lag, eine morsche, zerbrechliche Masse. – Unter solchen Gedanken hatte der Prinz nicht bemerkt, daß der Page Dequede in die Gruft gesprungen war und den Sarg durchsuchte. Als er es gewahrte, rief er:

„Dequede, kommen Sie herauf.“

„Hoheit, lassen Sie mich noch einen Augenblick weilen. Es ist höchst interessant.“

Es war ein eigenthümliches Bild. Die über hundert Jahre alte Leiche des Ministers, daneben der frische, kecke Knabe in der reichen Uniform der königlichen Leibpagen, das von Gesundheit strotzende Gesichtchen unter einer fein gepuderten Perrücke trotzig in die Luft streckend, ganz unempfindlich gegen die Miasmen der Leichenhöhle.

Und wer war dieser Knabe? Ein von Dequede. – Sonderbares Spiel des Zufalls! – Der Urgroßvater dieses Pagen war einer der Wenigen gewesen, welche das Ende des Ministers gesehen. – Der kurfürstliche Rath von Dequede hatte die letzten Seufzer Schwarzenberg’s vernommen, hatte sein Auge brechen sehen – der Urenkel durchsuchte die Leiche, befühlte mit jugendlichem Uebermuthe die Stoffe der Kleider und faßte plötzlich – das Haupt des einst Allmächtigen. Die morschen Knochen sprangen auseinander, die trockenen Bänder ließen nach, die Leiche ruckte ein wenig und in den Händen des Pagen lag das Todtenhaupt des Grafen von Schwarzenberg.

„Sehen Sie, Hoheit, hier ist der alte Herr. Er beißt nicht,“ rief der Knabe mit muthwilligem Gelächter und hielt den Schädel empor.

„Pfui, Fritz! Abscheulich!“ rief der Prinz. „Legen Sie das sogleich wieder hinein und dann vorwärts. Wir haben genug gesehen.“

„Nun, so lieg Du da,“ rief der Knabe, setzte den Kopf auf die Brust der Leiche und sprang mit einem lauten „Hopp“ aus der Grube.

Prinz August war beim Heimfahren sehr still und ernst. „ Wissen Ew. Hoheit.“ begann plötzlich der Adjutant, Herr von Hagen, „was mir recht lebhaft vor den Sinn gekommen ist, als wir heute an der Gruft standen und Dequede mit dem Schädel spielte?“

„Nun?“

„Im Jahre 1741 war ich in London bei der Gesandtschaft, da gaben sie ein Komödienspiel, worin ein Prinz vorkommt, der am Grabe Unterhaltungen mit einem Todtengräber führt, auch Schädel betastete und sehr gute Dinge über die Vergänglichkeit des Irdischen vorbrachte.“

„Ich kenne das Stück“ sagte der Prinz. „Es heißt Hamlet, von dem Dichter Shakespeare.“

„Richtig, Hoheit! Hamlet. – Na, das Stück fiel mir ein. Den Dichter habe ich vergessen, denn wir behalten nur gut die Namen von Generalen oder Schlachttagen, aber der Schauspieler, der den Prinzen spielte, war der berühmte Komödiant Garrick. Er spielte das sehr schön, als er sagte, wie lumpig doch eigentlich der ganze zurückbleibende Plunder bestellt ist, und damit einen meinte, den er früher gekannt hatte. Der Herr von Helmborn, der neben mir saß, verdeutschte es mir, und heute fiel mir Alles wieder ein.“

„Hamlet hat sehr Recht,“ antwortete der Prinz. Schweigend fuhren sie weiter. – Als der Prinz und seine Begleiter die Kirche verlassen hatten, eilten die Arbeiter an die Gruft. Mit Staunen betrachteten sie die gräfliche Leiche.

„Na,“ schrie plötzlich ein junger Maurer, „da haben wir’s ja. Es ist keine Redensart, daß Schwarzenberg geköpft worden ist. Da liegt der heruntergehauene Kopf auf der Brust, wie es immer gemacht wird.“

„Richtig,“ riefen die Anderen, „da liegt er.“

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