Seite:Die Gartenlaube (1863) 545.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der verhängnißvolle Ring.[1]
Ein Danziger Erlebniß,
mitgetheilt von W. v. R.

Wenn der weise Rabbi Ben Akiba behauptet, daß sich im Leben Alles wiederhole, so glaube ich doch, daß das unten mitgetheilte Ereigniß, welches hier sich wirklich zugetragen und von mehreren noch lebenden Augenzeugen bestätigt werden kann, schwerlich schon vorgekommen ist und sich wiederholen wird.

An einem heiteren Septembertage im Jahre 1811 waren die Bewohner der Stadt Danzig, zumal die ganze vornehme Welt, in großer Aufregung, und schon in den Morgenstunden sah man sämmtliche Fenster der Häuser des Langenmarkts, und zwar am meisten die der Südseite, dicht mit Zuschauern, größtentheils Damen, bis zu den Giebelfenstern besetzt. Der Grund dieser Aufregung war ein außerordentlicher: es sollte ein französischer Officier, der als Capitain in der Garnison stand und Ehrenlegionair war, öffentlich, im Beisein der Garnison, als Dieb gebrandmarkt werden.

Der Unglückliche war eine allgemein beliebte Persönlichkeit. Es wurde kein Fest, sowohl beim Militair, als auch beim Civil, ohne sein Gutachten angeordnet, kein Polterabend, der in den höheren Cirkeln stattfinden sollte, ohne seine Beihülfe vollzogen. Zu den öffentlichen Fastnachtsaufzügen, die abgehalten wurden, vertheilte er die Rollen unter den Garnisonsmitgliedern, und Jeder unterzog sich bereitwillig seinem Arrangement. Noch kam hinzu, daß er geläufig deutsch sprach, zur Guitarre deutsche und französische, meistens komische Lieder anmuthig sang, Kunststücke verschiedener Art zur Belustigung der Gesellschaft machte, graziös tanzte und oft an den Spielen der Kinder des Hauses Theil nahm. Er war ein schöner Mann von einigen 40 Jahren und hatte sich bei der Elite die Achtung dadurch mit erworben, daß er sich in der Gesellschaft stets anspruchslos bewegte und nirgends erschien, wo er nicht besonders eingeladen war.

Capitain Alswanger wohnte schon geraume Zeit bei einem Galanteriehändler, dessen Geschäft aber sehr gesunken und so zu sagen aus der Mode gekommen war. Der Eigner stand daher demselben nur allein vor, wurde vom Capitain, der mehr Freund als Einquartierter war, bei seinen Verkäufen als Dolmetscher unterstützt und oft von diesem in seiner Abwesenheit vertreten.

Später fand auf Beschwerde einiger Hauseigenthümer, die längere Zeit Officiere inne gehabt, eine Umquartierung statt, und der Capitain mußte auf Ordre ein anderes Logis beziehen, was den Wirth wie dessen Familie sehr schmerzte. Mit Thränen im Auge entließ man den geliebten Freund.

Kurze Zeit nach dem Abzuge vermißte der Besitzer einen Siegelring, fast das werthvollste Stück seines Lagers. Man konnte sich nicht erklären, auf welche Weise er verschwunden sei, da derselbe stets in einem Glaskasten mit anderen Goldsachen aufbewahrt wurde, und da kein Fremder, selbst das Hausmädchen nicht, den Laden betrat, so war das Verschwinden des Werthstücks um so unerklärlicher. Der Verdacht auf den Capitain wurde von der Familie mit Entrüstung verworfen, und man suchte endlich, da keine Spur zu finden war, den Verlust zu verschmerzen.

Einige Monate nach diesem Vorfalle besuchte der Kaufmann, wie sonntäglich, die Wachtparade auf dem Langenmarkt, um das stets glänzende Schauspiel mit anzusehen; dort traf er einen Bekannten, an dessen Finger er den vermißten Siegelring erblickte. „Herr, wo haben Sie diesen Ring her?“ frug er mit Heftigkeit, sogleich hinzusetzend: „Der ist mir gestohlen!“

Jener gab gleichgültig zur Antwort: „Den habe ich von einem französischen Officier für 5 Thaler gekauft.“

„Was war das?“ Mit dieser Frage trat ein Officier, der deutsch verstand, zu den beiden Herren heran, die höchlichst erschrocken sich entfernen wollten. Ein gebieterisches Halt! nöthigte sie wieder zurückzukommen. Eine Schreibetafel ziehend, fragte er sie nach Namen, Stand und Wohnung, die mit der Aeußerung notirt wurden, daß diese Aussage näher untersucht werden müsse, und ebenso fragte er den Ringinhaber, ob er den Officier kenne. Jener verneinte es und wurde aufgefordert, denselben zu beschreiben; doch kaum hatte derselbe Einiges erwähnt, so sprach der Bestohlene mit Entrüstung: „Das ist Capitain Alswanger!“ Der Examinator erschrak so heftig, daß es einer Weile bedurfte, ehe er sich erholte und mit gepreßter Stimme endlich die Frage tat: „Bleiben Sie beide bei Ihrer Aussage?“ und da gegenseitig ein kräftiges „Ja“ erfolgte, so verbot er denselben, bei Vermeidung von Unannehmlichkeiten, die Stelle zu verlassen. Den beiden Herren that es sehr leid, daß die Sache so schnell zur Publicität gekommen sei, und sie hätten es lieber gesehen, wenn das unangenehme Verhältniß unter der Hand ausgeglichen worden wäre. Aber es war zu spät, da selbst das umstehende Publicum die Unterhaltung mit angehört hatte und sich um die Kaufleute drängte, um den weiteren Erfolg des Drama’s abzuwarten.

Nur mit Mühe konnte ein Stabsofficier in Begleitung des Anklägers und des herbeigerufenen Capitains sich durch die Masse drängen. „Kennen Sie diese Herren?“ frug er den Capitain. Der Sturz aus seinem Himmel in die alltägliche Wirklichkeit war

  1. Die vorstehende nicht uninteressante Mittheilung verdanken wir einem hochgeachteten alten Herrn, dessen eigenthümliche Unebenheiten in der Darstellungsweise wir möglichst beibehalten zu müssen glaubten.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_545.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)