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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Eine weitere Folge dieser Treibhausvornehmheit war die Unproductivität ihres Praktikanten. Unter dem Vorwande, daß er seine poetische Kraft nicht versplittern dürfe, um einen großen Roman, an dem er arbeite, in einer Vollendung zu geben, wie die Welt noch nichts gesehen, entnahm er von Verlegern, die sich mit ihm eingelassen, Geld, ohne etwas dafür zu liefern. Dergleichen Verfahren hält nie lange aus. – Der Segen seiner Ehe war indeß rasch auf fünf kleine Häupter gestiegen. Noch während meiner Anwesenheit in Leipzig erfuhr ich belustigende Geschichten über die Art, wie er sich Geld zu verschaffen suchte, ohne zu arbeiten. So hatte er eines Tages eine nicht geringe Anzahl namhafter junger Männer, Schriftsteller, Schauspieler, Buchhändler etc. zur Geburtstagsfeier seiner Frau zusammen gebeten und tractirte sie sogar mit Chierwein. Einige Tage später erhielt jeder der Theilnehmer eine hohe Rechnung mit dem Bemerken des Festgebers, er erwarte von der Generosität seiner Gäste, daß seiner Casse nicht die Zumuthung gemacht werde, die Kosten eines so schönen Festes allein zu tragen. Natürlich beeilte sich Jeder, dem noblen Festgeber den Betrag der Rechnung einzuhändigen.

Die Familie verfiel bald genug in drückende Noth, und es geschahen wirksame Schritte zu ihrer Unterstützung. Vorzüglich war es der bekannte vielseitige Schriftsteller Adolph Wagner, ein in jeder Hinsicht trefflicher Mann, der sich ihrer thätig annahm, obgleich ihm G.’s anmaßliches Wesen, wie ich aus seinem eignen Munde wußte, sehr zuwider war.

Wagner war in Bezug auf G.’s Verhältnisse mit dem ihm befreundeten Ludwig Tieck in Dresden in irgend welche Unterhandlung getreten, und, wie ich glaube, in Folge derselben wurde G. veranlaßt, nach Dresden zu ziehen. Die nähern Umstände dieser Uebersiedlung sind mir freilich nicht bekannt.

Wenn sich Tieck hatte bestimmen lassen, helfend und fördernd auf G.’s Schicksal zu wirken, so bekam ihm diese Menschenfreundlichkeit in der That sehr übel; denn er sah sich bald in die moralische Nothwendigkeit versetzt, ganz und gar für die Existenz der Familie G. zu sorgen. Da nun der von seiner hohen Poetenbestimmung über und über erfüllte Familienvater zu nichts zu bringen und zu verwenden war, womit er sein und der Seinigen Leben hätte gewinnen können, so versuchte es Tieck in stiller Verzweiflung mit der Familienmutter. Wahrscheinlich ließ ihn nur die tägliche Sorge für den Unterhalt einer zahlreichen Familie zu der Ueberzeugung gelangen, die kleine niedliche Frau G. habe Talent für die Bühne und müsse bei Fleiß und Uebung eine gute Soubrette werden. Er nahm sie in die Schule und studirte ihr Rollen ein. Aber es ist bekannt, daß Tieck in dieser Richtung entschiedenes Unglück gehabt hat. Außer der Rettig hat er keine dramatische Größe gebildet, mit wie vielen er es auch versucht hat. In Bezug auf das theatralische Talent seiner Schüler befand er sich in einer steten merkwürdigen Selbsttäuschung. So erging’s ihm auch mit Frau G. Die kleine Frau hatte wenigstens guten Willen, einen bessern als ihr Mann. Es war ihr ein heiliger Ernst, ihn, von dessen hohem Dichterberufe sie eben so überzeugt war, als er selbst, von der drückenden und störenden Sorge für das materielle Leben zu befreien und ihre Kinder anständig zu ernähren.

Zu jener Zeit war Franz Eltzholz aus Berlin, der sich durch eine beliebte dramatische Kleinigkeit „Komm her!“ und durch ein Lustspiel „Die Hofdame“ einen schnell vorübergehenden Namen gemacht hatte, Intendant des eigentlich erst in der Entstehung begriffnen herzoglichen Hoftheaters zu Coburg, und wahrscheinlich war er als solcher nobilitirt worden. Durch seine dramatischen Leistungen war Herr von Eltzholz in Verbindung mit seinem Landsmanne Tieck gekommen, und dieser suchte ihn nun zu bestimmen, Frau G. an dem neuen Hoftheater zu placiren. Nach der glänzenden Schilderung, welche Tieck dem jüngern Berliner Freunde von dem Talente seiner Schülerin machte, ging dieser mit Freuden auf den Plan des berühmten Dichters und Dramaturgen ein, freilich unter dem natürlichen Vorbehalt, „wenn die angehende Künstlerin dem Herzoge gefiele.“

Das G.’sche Ehepaar reiste nach Coburg mit den schönsten Hoffnungen und ließ seine Sprossen, unter Obhut einer Schwester der Frau und der treuen Vatersorge Tieck’s anheimgegeben, in Dresden zurück. Aber die Kinder nicht allein, auch ein artiges Sümmchen Schulden, so daß jene gewissermaßen als lebendige Pfänder in Versatz blieben. Wenn ich mich recht erinnere, nahm ein Wohlthätigkeitsverein die armen Geschöpfe in Atzung und Pflege, um sie dem doch wahrlich auch nicht in glänzenden Umständen sich befindenden Tieck nicht über dem Halse liegen zu lassen; es starb aber doch nach einigen Monaten eins der Geschwister, ein Knabe, fern von den Eltern.

Frau G. betrat in Coburg die Breter, die die Welt bedeuten, und mißfiel zum unwilligen Erstaunen ihres Gemahls, der von ihrem eminenten dramatischen Genie eben so fest überzeugt war, wie sie von seinem poetischen, so entschieden, daß sie mit einem Geschenk entlassen wurde. Herr G. erklärte die Coburger sammt ihrem Herzog für Böotier und begab sich mit seiner Gattin nach Nürnberg, wo es ihm ebenfalls gelang ihr Auftreten zu erwirken. Aber in der fast republikanischen Stadt war der Erfolg noch schlimmer, und die Kritik der Tageblätter fiel unbarmherzig über die arme angehende Künstlerin her, und Herr G. beging die Dummheit, in einem Aufsatze, dessen Druck in ein Tageblatt er bezahlen mußte, die Nürnberger in hochfahrender impertinenter Weise über das Kunstgenie seiner Frau aufklären zu wollen. Es gab einen Scandal; Jedermann war empört über die empfangene Beleidigung, und es fehlte nicht viel, daß Herr G. öffentlich Schläge erhalten hätte. Er entging schlimmen Erfahrungen nur durch eine eilige Flucht bei Nacht und Nebel aus der Stadt am Stecken, ohne Geld, ohne Aussicht, wiederum mit Hinterlassung einiger angebundenen Bären und der unglücklichen Frau als lebendiges Pfand. Jetzt waren die Kinder in Dresden verpfändet und die Frau in Nürnberg, und wie die Dresdener an jenen, so übten die Nürnberger an dieser Barmherzigkeit. Er aber wanderte bettelnd nach Stuttgart, um mich dort aufzusuchen und meine Hülfe in Anspruch zu nehmen, der ich damals selbst nicht auf Rosen gebettet war. Dies war im Sommer 1829.

Ich war nicht wenig bestürzt, als G. mir bald nach seiner Ankunft sein ganzes Elend enthüllte und mich versicherte, er habe sein Heil einzig und allein auf mich gesetzt. Zu Uhland zu gehen, der ihn doch fünf Jahre früher so gut aufgenommen, verweigerte er geradezu.

Die Sache machte mir großen Kummer, und ich überlegte lange, was zu thun sei, um dem einst so übermüthigen, nun so sehr herabgekommenen Manne gründlich zu helfen. Zuerst gab ich ihm, was ich entbehren konnte, um die bedauernswerthe Frau in Nürnberg aus der ärgsten Bedrängniß zu reißen. Das Resultat aller meiner Lucubrationen war, ihm ein festes Engagement bei der Cotta’schen Buchhandlung zu verschaffen. Dazu konnte Cotta der Sohn, der sich mir wohlwollend gezeigt, nichts thun. So lange der Vater lebte, war er nicht beim Geschäft betheiligt. Aber Frau von Cotta, die zweite Gemahlin des alten Herrn, eine geborne Freiin von Hügel und von Geist und Herz gleich ausgezeichnet, hatte viel moralischen Einfluß und war eigentlich die Seele der Redaction des Morgenblatts. Gelang es mir, diese fein gebildete Dame für G. zu gewinnen, so durfte ich mich der Hoffnung hingeben, daß seine Lage gesichert sei. Ich hatte mich schon früher dieser trefflichen Frau vorstellen lassen und war schon im Begriff zu ihr zu gehen, um für G. zu sprechen. Herr von Cotta, der Vater, war nämlich damals auf längere Zeit von Stuttgart abwesend. Nun wußte ich aus der besten Quelle, wie hoch Uhland von Frau von Cotta als Dichter und Mensch geschätzt wurde, und daß Einer, den er ihr empfahl, bestens empfohlen war. Um also ganz sicher zu gehen, entschloß ich mich, mich zuerst Uhland zu entdecken und ihn um seine Mitwirkung zu bitten. Schon hatte ich den Hut in der Hand, um zu ihm zu gehen, als mir beikam, es sei besser ihm zu schreiben, dann könne er meinen Brief Frau von Cotta vorlegen, wodurch die Sache sehr abgekürzt werde. Ich schrieb ihm also und schilderte G.’s Lage ausführlich. Der Gegenstand mochte meiner Darstellung eine lebhafte Färbung gegeben haben. Der Brief war noch keine Viertelstunde fort, als mir Uhland’s Dienstmädchen eine Geldrolle mit einem Briefe überbringt, worin er mir kurz schreibt: „Ich schicke Ihnen Alles, was ich eben habe; es hilft wenigstens der brennendsten Noth ab. Mit Frau von Cotta spreche ich heute noch. Herr G. soll guten Muthes sein. Es wird und muß glücken.“

In der Rolle waren 56 Gulden. – Ich war erschüttert von dieser edlen und großmüthigen Handlungsweise, so daß mir Thränen aus den Augen stürzten. Herr G. lächelte selbstgefällig; er schien in Uhland’s Liebesgabe nur die seiner eignen Dichtergröße gebührende Huldigung zu sehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 553. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_553.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)