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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

des kleinen, aber stark bevölkerten Staates hatten über 5000 Festgäste gesandt; wenn man nun hierzu die Turner Leipzigs (2350) und die der nächsten Umgebung, unter dem Namen: Verband der Turnvereine des Leipziger Schlachtfeldes (2442) rechnet, so waren etwa 10,000 sächsische Turner bei dem Zuge. Hiernach war der dritte Kreis Mark und Pommern nebst dem größten Theile der preußischen Provinz Sachsen am stärksten und zwar durch 3800 Turner vertreten; der dreizehnte Kreis, Thüringen, hatte weit über 2000, und der funfzehnte, Oesterreich, fast 1300 Turner gesandt. Der auswärtigen Festgäste waren ungefähr 16,000, und wenn man die obenbezeichneten 4800 Turner Leipzigs und der Umgegend dazu rechnet, so stellt sich die Stärke des ganzen Zuges auf 21,000 Mann! Ein Festzug von gleicher Stärke war bisher wohl noch nie dagewesen, aber nicht nach seiner Größe, sondern nach seinem Wesen muß man ihn beurtheilen, und auch hierin dürfte er wohl unerreicht dastehen. Da war kein deutscher Stamm, kein einziger Staat des großen Bundes unvertreten, und alle waren in Liebe und Eintracht vereinigt.

Zur Aufstellung des riesigen Zuges war ein mächtiger Flächenraum erforderlich, und derselbe erstreckte sich nicht nur fast um die ganzen breiten Promenaden und Plätze, welche die innere Stadt umgeben, sondern einzelne Turnerkreise mußten sich bis in die Straßen der Vorstädte ausdehnen. Die Anordnung des Ganzen war jedoch so vortrefflich, daß bei dem Einrücken der verschiedenen Abtheilungen nicht die geringste Störung eintrat. Mit dem Schlage Zwölf setzte sich der Zug in Bewegung; das Geräusch in den Straßen, welche er zuerst berührte, verstummte plötzlich und machte einer fast lautlosen, erwartungsvollen Spannung Platz. Kaum hatte aber die Spitze des Zuges die Stadt betreten, so brach auch mit einem Male ein Jubel los, der keine Grenzen kannte. Von der Straße her, aus den dicht besetzten Fenstern rief man den Heranziehenden Willkommen und endlose Lebehochs zu. Die Männer schwenkten die Hüte, und Frauen und Mädchen wehten mit den Tüchern. Alle diese Freudenbezeigungen wurden aber von einem unaufhörlichen Blumenregen begleitet, der sich aus allen Fenstern herab und von den Zuschauern auf der Straße über den Zug ergoß. Kostbare Blumensträuße, prächtige Kränze wurden gespendet, und die Glücklichen, welche diese duftenden Liebesgaben auffingen, dankten mit jubelndem Gut Heil! Dieser turnerische Freudengruß brauste wie ein unaufhörlicher Donner von der Spitze des Zuges bis zu dessen Ende und ward in gleicher Weise von der zahllosen Menge der Zuschauer erwidert. Wenn man aber die Straßen, durch welche der Zug ging, hinauf oder hinab sah, so flatterte es ununterbrochen in der Luft von Blumen, als wollte man damit die dahinziehenden Festgäste überschütten. Noch lange nachher bezeichnete eine breite Bahn von zertretenen Blumen deutlich den Weg, den der Jubelzug genommen hatte. Viele der schönen Blumenspenderinnen hatten in ihrer Freigebigkeit nicht bedacht, daß dieser gewaltige Zug eine Länge von fast zwei Stunden einnahm, und mit innigem Bedauern sahen Manche den reichen Blütenvorrath doch bald erschöpft. Allein auch die Freude und Wonne kann erfinderisch sein, und so flatterte bald hier eine Bandschleife, da wieder die künstlichen Blumen des Kopfputzes auf die vorüberziehenden Turner herab, und jauchzend wurden diese Trophäen auf die Hüte gesteckt. Als in dem Geschäftslocal eines Thüringer Fabrikanten dessen Angehörige ihren Blumenvorrath zu Ende gehen sahen, öffneten sie, um nicht mit leeren Händen die braven Turner vorüberziehen zu sehen, eine Waarenkiste, und nun flogen bunte wollne Häubchen, Kinderstrümpfe, Shawls und dergleichen auf die Straße hinab, zum nicht geringen Ergötzen der Zugtheilnehmer und des Beifall rufenden Publicums.

In anderen Straßen wußte man sich auf eine nicht minder erfinderische Weise bei dem eintretenden Mangel an Blumen dadurch zu helfen, daß man die vor den Fenstern stehenden Blumenstöcke hinabtrug und sie den lieben Turngästen überreichte. Viele dieser duftenden Angedenken sind mit ihren neuen Eigenthümern in die ferne Heimath gewandert, und dort werden sie gewiß zur Erinnerung an das herrliche Fest sorgsam gepflegt.

Aber auch Erfrischungen wurden den in der glühenden Mittagshitze dahinziehenden Turnern in Menge gereicht. Auf der Straße drängten sich oft Männer und Frauen durch die Reihen der Zuschauer und brachten bald Wein, bald Bier als Labetrunk herbei; andre vertheilten ganze Batterien von Flaschen mit kohlensaurem Wasser. Einer der eifrigsten Wohlthäter hatte sich sogar mit einer großen Tonne Bier dicht am Wege postirt und füllte die im Zuge befindlichen großen Trinkhörner so lange, bis er traurig gestehen mußte, daß sein Vorrath zu Ende sei. Dort wurde wieder perlender Rheinwein kredenzt, und oft genug sah man aus den Fenstern an langen Schnuren Flaschen mit Wein auf die Straße hinabschweben, die unten von den Turnern jubelnd in Empfang genommen und auf das Wohl der Geber und der gastfreundlichen Stadt geleert wurden.

Auch die Kinder stimmten in den Jubel ein, und rührend war es, von ihren klaren, hellen Stimmen das freudige Gut Heil! ertönen zu hören. Manche von ihnen wollten aber nicht blos unthätige Zuschauer bleiben, und mehr als einmal sah man, daß sie ihr Liebstes, buntes Spielzeug, opferten und dies den Turnern hinabwarfen, da sie glaubten, daß diese darüber eine ganz besondere Freude haben müßten.

Großen Enthusiasmus erregte es, als ein junges, reizendes Mädchen, mit oder ohne Absicht (ich glaube an das erstere!), ihr Taschentuch in den Zug hinabwarf. Ein gewandter Fahnenträger fing das Tuch geschickt auf und befestigte es sofort an der Spitze seiner Fahne, wo es, wie er laut versicherte, für immer seinen Ehrenplatz behalten sollte. Aber das Tuch war auch dieses Ehrenplatzes würdig, denn es hatte Thränen der Freude und Begeisterung von den schönen Augen einer deutschen Jungfrau getrocknet. Wie Mancher trüge ein solches Kleinod nicht voll Entzücken auf dem Herzen!

Die Thränen im Auge jener lieblichen Jungfrau waren jedoch nicht die einzigen, welche dem Zuge geweiht wurden. Ich möchte im Gegentheil behaupten, daß nur wenig Augen ganz trocken geblieben sind. Der Eindruck dieses Triumphzuges heißersehnter Eintracht war so überwältigend, daß sich wohl Niemand ihm ganz entziehen konnte. Selbst Solche, die noch kurz vorher das Fest ignorirt oder ihm eine nachhaltige Bedeutung abgesprochen hatten, fühlten ihren Spott besiegt, und ihre Gleichgültigkeit wurde in Theilnahme verwandelt. Ja, es war etwas Erhabenes, einundzwanzigtausend Söhne eines großen, ehrwürdigen, wenn auch zersplitterten Reiches, von reinster Vaterlandsliebe begeistert, unbekümmert um den ehrgeizigen Hader der Cabinete, sich die deutsche Bruderhand reichen zu sehen. Wo war hier, zwischen den Söhnen des Volkes, jene Kluft zu sehen, welche die Staatsweisheit wie eine häßliche, todbringende Wunde künstlich offen zu erhalten sucht?

Den Zug eröffneten die Mitglieder des Fünfzehnerausschusses und der zahlreiche Festausschuß, dem in Anerkennung seiner rastlosen Bestrebungen und Mühen mancher Kranz unter donnernden Lebehochs zugeworfen ward. – Ehe noch die 15 Turnkreise Deutschlands folgten, hatte man den Turnern des Auslands den Ehrenplatz angewiesen; doch konnte man sie nicht alle als eigentliche Ausländer betrachten, denn die Mehrzahl der Schweizer sind durch die heiligen Bande gleicher Sprache und Sitten unsere Bundesbrüder, und im ganzen großen Zuge gab es sicher nicht aufrichtigere Deutschgesinnte, als jene braven fünf Siebenbürgen, die von Kronstadt gekommen waren, um am Feste Theil zu nehmen. Sonst war noch Italien durch Pisa, Holland durch Rotterdam (10 Mann), England durch London (12 Mann), Rußland durch Dorpat und Reval, Amerika durch St. Louis und Hoboken und Australien durch Melbourne vertreten. Die Londoner hatten ihre prachtvolle Fahne mit über den Canal gebracht; Amerika wußte sich auf andere Weise zu helfen. Als der Zug nämlich durch eine der ersten Straßen passirte, sah man an einem Fenster auch eine amerikanische Flagge, welche einer Ruderbootgesellschaft junger Leute gehörte und zum Schmuck vom Boote in die Stadt verpflanzt war. Als die Amerikaner dies sahen, eilten sie aus dem Zuge hinauf in jenes Haus, erbaten sich und erhielten die Fahne, und nun wehte auch das Banner der Union im Zuge. Wohl hatte sie ein Recht auf diesen Platz, denn wie vielen bedrängten Deutschen wurden die amerikanischen Freistaaten das zweite Vaterland, und Tausende unserer Landsleute haben diese große Schuld jetzt durch ihr im Kampfe für die gerechte Sache des Nordens vergossenes Blut abgetragen.

Bei der Verloosung der Zugreihenfolge hatte der vierte Kreis (Norden) den ersten Platz erhalten, und so gingen wie ein Mahnruf für ganz Deutschland die Schleswig-Holsteiner voran. Dieselben Männer und Jünglinge wären mit gleicher Freude auch in den heiligen Kampf für ihr mit Füßen getretenes Vaterland gezogen, und wo ist der Deutsche, der sich ihnen nicht begeistert anschließen

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