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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

übrig sei. Dieser Bitte bedurfte es jedoch nicht, wie die Beschenkten versicherten, als sie die Blumen an ihr Herz drückten. – Ein alter, biederer Bürger der Stadt, der im vorigen Jahre die Todesnachricht seines einzigen in Rußland gestorbenen Sohnes erhielt, hatte seinem liebenswürdigen Turngast, einem Hanseaten, das Geleit zum Bahnhofe gegeben, und als der Alte nun traurig heimkehrte, meinte er: „Mir ist, als wenn mir heute mein Sohn zum weiten Male gestorben.“

Wie erhebend war die Abschiedsfeier, welche am Abend des 5. August die Schleswig-Holsteiner und die Tyroler im Hotel de Prusse begingen! Der Kranz von Edelweiß, welchen die Söhne der Alpen ihren nordischen Freunden übergaben, möge den in der Heimath zurückgebliebenen Brüdern der letzteren ein Zeichen sein, wie gewaltig man bis zu den fernsten Grenzen Deutschlands von dem verhöhnten Rechte des verlassenen Bruderstammes überzeugt ist und wie sehnlich man die Zeit herbeiwünscht, wo man statt Blumen Waffenhülfe senden könnte.

An einem andern Orte der Stadt feierten wieder Schwaben, Oesterreicher, Preußen und Siebenbürgen ihr Abschiedsfest, und selbst im Theater fand an jenem Abend eine eigenthümliche Feier statt. Nachdem während des ganzen Festes zu Ehren der Festgäste in dem sinnig gschmückten Hause nur Stücke patriotischen Inhaltes aufgeführt und dieselben noch durch v. Meyer’s: „Heinrich von Schwerin“ abgeschlossen worden waren, erhob sich den stürmisch hervorgerufenen Künstlern gegenüber im Parterre ein Turner aus Berlin und brachte in fließenden Reimen der Bühne Leipzigs ein herzliches Gut Heil, welches einen nicht endenwollenden Wiederhall im ganzen Hause fand.

Schon am Mittwoch rief ein großer Maueranschlag in einfachen, aber tiefempfundenen Worten den Abschied und Dank der Turner aus Oesterreich den Bewohnern Leipzigs zu. Die Turner von Rostock und Schwerin, so wie die vom Mittelrhein folgten am nächsten Tag in ähnlicher Weise, und wochenlang brachten die Tagesblätter Leipzigs an jedem Morgen ganze Seiten voll Danksagungen aus allen Gegenden, überströmend von den innigsten Gefühlen.[1]

So war das herrliche Fest vorüber, begünstigt vom schönsten Wetter bis auf den letzten Tag, wo noch ein entsetzlicher Regenguß am Abend leider das Losbrennen des Feuerwerkes verhinderte. Wie stachen aber die darauf folgenden Tage mit ihrer wiederkehrenden Ruhe und Einförmigkeit von dem festliche Wogen und Treiben ab! Die Blätter der zahllosen Eichenlaubguirlanden waren verdorrt und rauschten unheimlich beim leisesten Lüftchen; dafür aber grünte in den Herzen Aller die erhebende Erinnerung an die köstlichen Tage, deren Segen unmöglich ausbleiben wird. Auge in Auge, Hand in Hand lernten sich die Söhne Deutschlands von den Alpen bis zur Nordsee, vom Riemen bis zu Mosel kennen, lieben und achten. Im Laufe des Festes stürzten mächtige Schranken zusammen, die bisher nur das Vorurtheil zwischen einzelnen Volksstämmen aufrecht erhalten hatte, und so geschah wieder ein gewaltiger Schritt zu dem uns immer deutlicher vorschwebenden herrlichen Ziele der Einheit. Das ist aber die große Bedeutung solcher Feste, daß sie uns in Liebe und in Frieden jener erhabenen Bestimmung näher führen. Und ist erst Deutschlands innere Feindschaft, der alte Hader glücklich überwunden, dann zeigt uns den äußeren Feind, den wir zu fürchten hätten!

Und somit Gut Heil Euch Allen, Ihr Festgenossen, die Ihr jetzt längst wieder in der Heimath weilt! Gedenkt noch manchmal der Stadt, die Euch so freudig begrüßte und die noch jetzt mit hoher Freude Euer gedenkt. Gut Heil dem Vaterlande!

A. B-l.



Aus jüngstvergangenen Tagen.
1. Die Frankfurter Kaiserdeputation im Jahre 1849.


„Kaiserstolz und Majestät
Zogen auf geschwinden Sohlen
Wir für’s deutsche Reich zu holen,
Wovon neue Sage geht.

Klang und Sage überall,
Soweit deutsche Zungen klingen:
Einen Kaiser heimzubringen
Rief der Völker Jubelschall.

Ach! wie sollten Dorn und Stein
An der Wandrer Sohlen reißen!
Zu den Scheinen, die nur gleißen,
Warf man unsern Kaiserschein.

Kaiserschein, du höchster Schein,
Bleibst du denn in Staub begraben?
Schrei’n umsonst Prophetenraben
Um den Barbarossastein?

Nein! und nein! und aber nein!
Nein! Kyffhäusers Fels wird springen,
Durch die Lande wird es klingen:
Frankfurt holt den Kaiser ein.

(E. M. Arndt: „Die Ausfahrt zur Heimholung des deutschen Kaisers“, Frankfurt 17. Mai 1849)


Zweihundertneunzig Stimmen in der deutschen Nationalversammlung hatten am 28. März 1849 den König von Preußen Friedrich Wilhelm IV. zum Kaiser von Deutschland gewählt. Der Präsident der Versammlung, Simson, hatte das Ergebniß der Wahl mit bewegter und erhobener Stimme verkündigt, und unter Bezugnahme auf die schönen Worte Goethe’s in „Hermann und Dorothea“:

Nicht dem Deutschen geziemt es, die unheilvolle Bewegung
Endlos fort zu leiten, zu schwanken hierhin und dorthin.
Dies ist unser! So laßt uns sagen und so es behaupten!

mit dem patriotischen Gebete geschlossen: „Gott sei mit Deutschland und seinem neugewählten Kaiser!“ Ein dreifaches stürmisches Hoch aus der Versammlung und von den dicht gedrängten Gallerien hatte diesen Wunsch bekräftigt, während von draußen herein das festliche Geläute der Glocken von allen Thürmen der Stadt, untermischt mit Kanonensalven, erschallte, und auf den Straßen und öffentlichen Plätzen zahlreiche Gruppen von Menschen sich erfreut zuriefen, daß endlich nun vorüber sei

Die kaiserlose, die schreckliche Zeit,
Und ein Richter wieder auf Erden.

Noch vor Vollziehung der Wahl hatte die Nationalversammlung den Beschluß gefaßt, „der erwählte Kaiser solle durch eine Deputation der Nationalversammlung eingeladen werden, die auf ihn gefallene Wahl auf Grundlage der Reichsverfassung anzunehmen.“ Zugleich hatte die Versammlung „das feste Vertrauen ausgesprochen, daß die Fürsten und Volksstämme Deutschlands, großherzig und patriotisch, in Uebereinstimmung mit der Nationalversammlung, die Verwirklichung der von ihr gefaßten Beschlüsse mit aller Kraft fördern würden.“

In der Frühe des 30. März brach die große, von dem Bureau der Nationalversammlung gewählte Deputation auf. Die verschiedenen Staaten und Stämme Deutschlands – mit Ausnahme Oesterreichs – waren in derselben möglichst verhältnißmäßig vertreten: Preußen durch die Rheinländer Arndt und Zell, den Westphalen von Hartmann, Göden aus Posen, von Deetz und Löwe (Calbe) aus der Provinz Sachsen, Fr. von Raumer aus Berlin, Stenzel aus Breslau, endlich den Präsidenten der Nationalversammlung, der als solcher auch das Haupt der Deputation war, Simson aus Königsberg – Baiern durch Barth, Bauer, Krafft, Sachsen durch Biedermann und Stieber, Hannover durch Freudentheil und Zachariä, Würtemberg durch Federer und

  1. Auch der Redaction der Gartenlaube sind von vielen Seiten Briefe heimgekehrter Festtheilnehmer zugekommen, welche von den freudigen Rückerinnerungen berichten und von den dankbarsten Gesinnungen gegen die Feststadt überfließen. Das Schreiben eines Schleswig-Holsteiners, der im Namen seiner Landsleute auf wahrhaft rührende Weise für die gastliche Aufnahme und das herzliche Entgegenkommen sowohl einzelner, namentlich angeführter Bürger, als auch der ganzen Bevölkerung Leipzigs dankt, ist ein neuer Beweis (wenn es dessen überhaupt noch bedürfte) von der treuen Liebe, mit welcher jener brave Volksstamm am deutschen Vaterlande festhielt. Aber wir können diese Dankesergießungen nicht annehmen ohne den Gegendank für die herrlichen unvergeßlichen Tage, welche die Stadt ja eben nur dem Erscheinen so vieler von treuester Vaterlandsliebe durchdrungener Festgenossen zuschreiben kann. Ja, wo die Gäste und die Gastgeber gleichen Genuß hatten, da muß die Festfreude gewiß eine reine, erhebende gewesen sein!
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 569. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_569.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)