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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

2½ Bataillone Preobraschensk vorgehen, um das hartbedrängte Regiment Semenow zu degagiren, und andererseits eilten die Regimenter Czernigoff und Tobolsk dem General Helfreich zu Hülfe. Hier gewann das Gefecht rings um die Juchten-Capelle her einen wahrhaft schauerlichen Anstrich. Von allen Seiten gedrängt, zog sich nach und nach die Schaar der Vertheidiger in eine große Masse zusammen, die nach Umständen vor- und zurückwogte und Truppen von der Garde und von der Linie umfaßte. Man konnte dieses ganze wüthende Handgemenge eine wahrhafte Metzelei nennen, in welcher die Truppen beider Theile mit Löwenmuth fochten, in der aber einzelne Thaten im Gewühl des ganzen großen Hergangs verschwanden.

Während sich nun zur Linken das Gefecht eine Weile im Gleichgewicht hielt, versuchte der Feind, auch im Centrum vorzudringen, und griff Priesten mit großer Uebermacht an. Die Schützen wurden daraus verdrängt, als der Feind aber diesseits des Dorfes zum Vorschein kam, prallte er unter dem Feuer der Batterien zurück, und der tapfere Fürst Schachowskoy trieb ihn darauf mit dem 4. Jägerregiment, dem Regiment Reval und dem Ueberreste von Minsk wieder aus dem Dorfe.

Unmittelbar nach diesem Vortheil ließ ich die Batterieen von Baikoff und Czeremissinow links von Priesten dergestalt vorrücken und durch den Obersten Wachten aufstellen, daß sie, selbst durch das Terrain gegen das feindliche Kanonenfeuer geschützt, mit ungemeiner Wirkung die französischen Colonnen bestrichen, welche am Saume des Waldes die fechtenden russischen Truppen zu umfassen strebten. Auf diese Weise wurde hier (in derselben Art, wie es früher bei Reichenbach am 22. Mai glückte) der Feind im Schach gehalten, an Umgehung gehindert und auf die Thatkraft seiner Colonnenspitzen verwiesen, welche trotz aller Tapferkeit und Anstrengung nicht hinreichten, um den ihnen entgegengesetzten Damm zu durchbrechen. Nochmals verdoppelte jedoch der Feind trotz der ungeheuersten Verluste seine Streitkräfte, trieb die 8 im Kampf begriffenen Gardebataillone und die 9 schwachen Bataillone unter General Helfreich vor sich her und war, des Kartätschenfeuers nicht achtend, eben im Begriff, sich meiner beiden Batterien zu bemächtigen, als ich unter diesen dringenden Umständen und in dieser äußersten Gefahr den zunächst stehenden General Krapowitzky mit dem Garderegiment Ismailow zu Hülfe rief. Man konnte wohl dem General Yermolow bei dieser Gelegenheit einen Scrupel nicht verargen, denn es galt fast seine letzte Reserve; auch rief er meinem an ihn gesandten Adjutanten Helldorf zu: „Der Prinz ist allzuverschwenderisch mit dem Blute der kaiserlichen Garden!“ – Aber General Krapowitzky hatte keine Zeit zum Bedenken gewährt und augenblicklich der ihm durch meinen Adjutanten gewordenen Aufforderung genügt. Aufbruch, Angriff und Sieg war das Resultat eines Augenblicks; – gleich darauf sah man das Schlachtfeld mit feindlichen Leichen bedeckt, die nächsten feindlichen Colonnen flüchtend, unsere ganze Linie im erneuerten Vorrücken und die Batterien wieder in vollständigster Wirkung. Es war eine wahrhafte Heldenthat, die zugleich aber auch dem tapferen Regimente große Opfer kostete. General Krapowitzky und Oberst Martünow wurden schwer verwundet.“

Wenn auch Plotho in seinem bekannten Geschichtswerke sich über diese Heldenthat ausspricht: „Dieser hartnäckige und ungleiche Kampf der auserlesenen Kriegerschaar erinnert an die Vertheidigung von Thermopylä, an der Schweizer geringe Zahl, wenn sie mit eben so viel Heldenmuth ihre Gebirgspässe vertheidigten, – und es wird der Kampf in der Geschichte fortleben, gleich jenen, zum Vorbild künftiger Zeiten;“ – so wird sich wohl Niemand einer gerechten Entrüstung erwehren können, wenn er vernimmt, daß über diese heroischen Waffenthaten innerhalb der letzten acht Tage, deren sich das zweite Corps unter Eugen’s Befehlen rühmen konnte, in den russischen Berichten auch nicht ein einziges Wort zu lesen ist. Mit gleichem Löwenmuthe kämpfte Eugen in der Schlacht von Culm, am 30. August, wo er mit seinem Corps das Centrum der verbündeten Armee bildete, auf Barclay’s Befehl die Culmer Höhen erstürmte, 21 Kanonen erbeutete und den General Vandamme gefangen nahm. Es ist zwar bekannt, daß diese Schlacht durch das glückliche Eintreffen des preußischen Generals von Kleist im Rücken der Franzosen entschieden wurde, aber die stürmische Tapferkeit des Prinzen und seiner Treuen trug nicht minder zu dem glänzenden Erfolge dieses Tages bei. Auch bei dieser Gelegenheit blieb der Name Eugen’s in dem Armeebericht vom 31. gänzlich unerwähnt. Wer wird es daher dem Tiefgekränkten verdenken, wenn er im gerechten Unwillen, in einem Briefe an den Kaiser, um seine Entlassung aus dem russischen Kriegsdienste bat? Der Kaiser Alexander, dessen Prinz Eugen immer und allezeit mit den liebevollsten Worten gedenkt, ertheilte ihm zwar auf dem Schlachtfelde den St. Wladimirorden 1. Classe, wie es in dem später erfolgten Rescripte heißt, „für ausgezeichnete Thaten und umsichtige Anordnungen bei Vernichtung eines Corps französischer Truppen am 29. und 30. August 1813“; trotzdem that er aber nichts, um dem Schwerverletzten eine billige Genugthuung zu verschaffen, und der hochherzige Prinz vergaß seinen Groll und hielt sein Entlassungsschreiben zurück, als kurze Zeit darauf, bei seinem Zusammentreffen mit Alexander, dieser, sein Unrecht fühlend, den jungen Helden mit den Worten anredete: „Ich weiß Alles, was wir Ihnen verdanken! Die Selbstverleugnung ist die schönste Tugend!“ Kann man noch fragen, wer bei diesem Zusammentreffen sich am edelsten benommen? Noch tiefer mußte es aber den Prinzen schmerzen, als nach 22 Jahren, wo doch füglich die Stimmen persönlichen Neides und gemeiner Intrigue verstummen konnten und mußten, die entscheidende Betheiligung am Siege bei Culm mit Stillschweigen übergangen wurde. Im bitteren, aber wohlbegründeten Unwillen äußert sich der Prinz über diese Thatsache in seinen nachgelassenen Memoiren: „Ueberaus empörend ist die neue Erfahrung, welche ich 22 Jahre später erprobte, und von der folgende Documente ein Zeugniß reden, vor dem die Nachwelt im Namen der Theilnehmer zu erröthen haben wird. Ich weiß in der That unter diesen Umständen nicht, was ich neuerdings für bemerkenswerther halten muß, die Größe des erkämpften Resultats oder die beispiellose Undankbarkeit der Zeitgenossen.“

Am 29. September 1835 bei der Grundsteimlegung des russischen Denkmals bei Priesten trat Fürst Metternich in Gegenwart der drei Monarchen von Oesterreich, Rußland und Preußen mit folgender, später von jenen drei Souveränen unterzeichneten Erklärung vor: „An dieser Stelle, wo die ausgezeichnete Tapferkeit und heldenmüthige Ausdauer einer Abtheilung der kaiserlich russischen Garde, unter dem Befehle des Grafen Ostermann-Tolstoy, dem Eindringen eines französischen Armeecorps unter Anführung des General Vandamme, der Vorhut des großen französischen Heeres, am 29. August 1813 ein Ziel setzte und durch diese Waffenthat den glorreichen Sieg der verbündeten Heere bei Culm am 30. August 1813 vorbereitete, errichtet nach der Absicht des verewigten Vaters, Kaiser Franz I. glorreichen Andenkens, der Sohn Kaiser Ferdinand I., dieses Denkmal. Den Grundstein haben gelegt und gegenwärtige Urkunde eigenhändig unterfertigt:

Kaiser Ferdinand I. von Oesterreich.
Kaiser Nicolaus I. von Rußland.
König Friedrich Wilhelm III. von Preußen.“

In solcher Weise versuchte der kaiserlich österreichische Haus-, Hof- und Staatskanzler die Geschichte zu fälschen, sie ist aber das Weltgericht und ihr Endurtheil unterliegt keiner Verjährung.

In dem blutigen Gemälde der großartigsten aller Schlachten, der Völkerschlacht von Leipzig, das wir jetzt unseren Lesern entrollen müssen, tritt das Bild des Prinzen Eugen von Würtemberg strahlend und in antiker Größe aus dem Vordergrunde heraus, jenes der übrigen Heerführer und Generale fast verdunkelnd.

Nachdem am Morgen des 16. Octobers, der erhaltenen Disposition gemäß, Prinz Eugen im Centrum der Verbündeten, unterstützt von der preußischen Brigade Klüx, nördlich von Güldengossa, Wachau gegenüber, Stellung genommen hatte, erdröhnte früh 8 Uhr von der zum Corps des Prinzen gehörigen Batterie Nikitin der erste Kanonendonner, den Beginn des entsetzlichen Kampfes verkündend. Bald waren die wenigen gegenüberstehenden Geschütze der Franzosen zum Schweigen gebracht, bald hatte der russische Oberst v. Reibnitz Wachau besetzt, die wenigen dort postirenden Franzosen vor sich hertreibend, und schon frohlockte nur allzuvoreilig General Wittgenstein über das Zurückweichen des Feindes, allein Prinz Eugen war anderer Ansicht und erkannte vorahnend, aber klar, die Bedeutung des anbrechenden Tages, wie die folgenschwere Wichtigkeit seiner Stellung. Urplötzlich zeigte sich auch auf dem ganzen Höhenzuge von Wachau bis Liebertwolkwitz eine Unmasse feindlicher Geschütze, mehr als hundert an der Zahl, die sofort aus ihren düsteren Schlünden tausendfachen Tod auf die russischen Heeresmassen schleuderten. Der Donner krachte, die Erde zitterte; Rauch und Flammen, Blut und Tod rings um uns her – so beschrieb

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