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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zugleich angehört hatte. Auch jetzt brach sie dies Schweigen nicht, da Moritz Krahn mit bedeutungsvollem Blick ihre Hand faßte und sie tiefer in’s Haus führte.

„Sprich nicht mit dem Weibe, Mutter, aber achte auf Alles, was sie thut!“ flüsterte er der völlig Unschlüssigen zu. „Die unerwartete Ankunft dieser Fremden hat etwas zu bedeuten! Daß ihr das Augenlicht fehlt, erleichtert uns die Beobachtung. Ich gehe, um den Schiffer aufzusuchen, der draußen am Deich auf sie warten soll.“

Der Capitain verließ Haus und Baumhof, umging den weitläufigen Zaun und näherte sich der Deichstiege, auf deren Höhe er sogleich des Mannes ansichtig ward, der die Fremde begleitet hatte. Es war ein brummiger Gesell, offenbar ein Knecht, der phlegmatisch sein Priemchen kaute.

„Guten Tag, Freund!“ redete Moritz Krahn ihn an, sich ebenfalls auf das Geländer der Stiege lehnend. „Woher kommt die Frau, die Osten sprechen will?“

„Ich hab’ sie von der Lühemündung in meiner Jolle heraufgerudert.“

„Kennst Du sie?“

„Geht mich nichts an.“

„Aber Heinz Osten kennst Du?“

Der Schifferknecht nickte.

„Du bist kein Ohllander?“

„Aus Hadeln, Herr.“

„Und dienst wem?“

„Dem Hirschkrüger. Seine Smak liegt unten in der Elbe. Wartet auf Rückfracht.“

„Hast also Zeit?“

„Ueberflüssig.“

Der Capitain nahm einen Drittel-Species aus seiner Börse und drückte das Geldstück dem Knechte in die Hand.

„Geh’ und trinke auf meine Gesundheit,“ sprach er. „Da unten, wo die Windmühlen den Hauptschmuck der Hauswände bilden, giebt es vortreffliches Getränk. Vor Abend kommt die Blinde nicht wieder.“

Der Schiffer steckte, den Mund zu einem breiten Lächeln verziehend, das erhaltene Geldstück ein, kehrte sich auf dem Absatze seiner plumpen Schuhe um, hakte das Gitterthor auf und schlug die Richtung nach dem Hause ein, das ihm der Capitain so deutlich bezeichnet hatte.

Inzwischen war den Kindern Osten’s die Ankunft der sonderbaren Fremden von der Mutter selbst mitgetheilt und dadurch die Entfernung derselben aus dem Hause ohne Bewilligung der sie beobachtenden Bewohner unmöglich geworden. Sie hatte, anscheinend in tiefen Gedanken, stier vor sich hin gesehen, manchmal schwer aufgeseufzt und einige Male, als rede sie nur mit sich selbst, gesprechen: „Der arme Mensch! Um meinetwegen!“

Capitain Krahn zweifelte nicht, daß Osten die Fremde kenne, und wäre ihm nicht mehr daran gelegen gewesen, sie still zu beobachten, so würde er sie zu erforschen gesucht haben. Absichtlich verhielten sich sämmtliche Bewohner des Baumhofes auf Krahn’s Vorschlag und Wunsch so ruhig, daß die Blinde nach einiger Zeit glauben mußte, sie sei ganz allein im Hause. Das gerade hatte der Capitain beabsichtigt, der an der Seite des bekümmerten Dortchen dem kleinen Fenster gegenüber saß, das aus dem vorderen Zimmer einen Blick auf die Hausflur gewährte.

Plötzlich bewegte sich die Blinde vernehmbar, ihr Stab berührte vorsichtig, aber doch hörbar, den Fußboden, und gleich darauf zeigte sich ihre tastende Hand erst an der schmalen Fensterscheibe, dann an der mit Kacheln belegten Wand.

Sie blieb gerade vor dem Fenster stehen und ließ den Kopf etwas vornüber sinken.

„Fort!“ sprach sie dann leise und riß die blinden Augen weit auf. „Fort! Es ist richtig! Heinz Osten allein kann helfen. Ich muß ihn darum angehen!“

Hinter dem Deiche oder irgendwo in der Nähe des Hauses krachte ein Schuß. Dortchen schrie laut auf und umschlang mit weichen Armen den Geliebten. Die Blinde duckte sich erschrocken und schlich zurück zu ihrem Sitz am Fenster. Hinter dem Hause wurden Männerstimmen laut, die sich schnell dem Baumhofe näherten. Capitain Krahn ging den Ankömmlingen, die sich in so ungewohnter Weise meldeten, Arm in Arm mit Dortchen entgegen.


(Schluß folgt.)



Ein deutsches Heldenmädchen.

Einen Monat vor den Tagen, wo in der Literatur- und Handels-Metropole Mitteldeutschlands, in dem alt- und weltberühmten Leipzig, das fünfzigjährige Jubiläum der größten Volksbefreiungs-Schlacht der Neuzeit von Tausenden patriotisch gesinnter Söhne Deutschlands wird gefeiert werden, gerade einen Monat früher als dies stattfindet, wird man in einem Winkel des nordwestlichen Deutschlands ein Fest, gleichfalls einer Siegesthat desselben deutschen Freiheitskrieges gewidmet, mit allen Ehren und mit all dem Festschmucke begehen, welchen eine kleinere Zahl noch überlebender Mitkämpfer jener Tage im Verein mit gleichgesinnten Vaterlandssöhnen wird aufbieten können. Es ist die funfzigjährige Gedenkfeier des Treffens bei der Göhrde, welche die kleine hannoversche Landstadt Dannenberg am 16. Sept. d. J. festlich begeht. Und wie dieses siegreiche Gefecht als eines der einleitenden, ermuthigenden Vorspiele zu dem letzten großen Entscheidungsschlage bei Leipzig zu betrachten ist: so werden auch alle im September das Erinnerungsfest des Göhrde-Treffens Feiernden dadurch mit Geist und Sinn schon dem großen Nationalfeste sich zugewendet fühlen, das in den Tagen des 16.-20. Octobers Tausende ihrer deutschen Brüder unter den von der deutschen Fahne überragten Landesbannern aller deutschen Einzelstaaten in und um Leipzig vereinen soll.

Jener Sieg bei dem[WS 1] Göhrde-Walde in der hannoverschen Provinz Lüneburg wurde zwar, der Mehrzahl der Kämpfer nach, von hannoverschen Truppen erstritten, und es wird nicht als ungerechtfertigt erscheinen können, wenn bei der kirchlichen Feier in dem hannoverschen Städtchen Dannenberg – auf dessen Kirchhofe manche bald nachher dort ihren Wunden erlegene Kämpfer begraben liegen – vorweg die Namen gefallener Hannoveraner den Zuhörern aufgenannt werden. Aber man soll auch den Namen der Nichthannoveraner, welche für dieselbe heilige, deutsche Sache dort kühn und opferfreudig den Heldentod starben, nicht vergessen. Vor Allem soll man dann dein nicht vergessen, du schwarze Freischaar, dich, „Lützow’s wilde verwegene Jagd“, nicht mit Schweigen übergehen, denn die Zahl deiner Gefallenen war an jenem blutigen Tage im Verhältniß zu allen anderen Mitkämpfern die numerisch größte; aber Eins noch zeichnet deine Opfer, du kleine Heldenschaar, vor allen andern aus. Bei den andern Fußvolk-Bataillonen und Reitergeschwadern kämpften und bluteten und starben doch nur Männer und Jünglinge, sie alle von dem Geschlecht, das, wie schon Vater Homeros sang, für die „männermordende Feldschlacht“ vom Geschick bestimmt ist, sich hinzugeben auf den Rus der Führer. Unter deinem tapfern Häuflein aber kämpfte und blutete an diesem Tage auch und sank dahin mit deinen andern Gefallenen eine deutsche Jungfrau!

Ihr Name ist Eleonore Prohaska!

Und ob auch andere Namen, die Namen der ersten Kriegslenker und Feldobersten aus diesem deutschen Befreiungskriege, mit einer weiterhin leuchtenden Gloriola des Ruhmes angethan leuchten, mit einem reineren Lichte strahlt keiner als dieser Mädchenname, und von keinem ergeht eine erhabenere Mahnung uns zum Gedächtnisse wie zur Nacheiferung an das deutsche Volk, wenn es ihm in kommenden Tagen nochmals bestimmt sein sollte, für sein Erbtheil aus der Teutoburger Schlacht zu kämpfen.

„Gebet dem Weibe eine Idee,“ sagte einst Jean Paul, „und es kann auch kämpfen und tödten!“

Das ist es, was sich in jenen Tagen zur Rettung unsres Vaterlandes bewährte. Die Macht der Idee war es, welche ein ganzes Decennium lang dem deutschen Volke wie ein verlorner, versenkter, unauffindbarer Freiheitshort gefehlt hatte, weshalb es ein ganzes Decennium lang vor dem fremden Volke, das

selbst doch nur von einer Scheinidee, der des Eroberungsruhmes,

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  1. Vorlage: den
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 596. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_596.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2019)