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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und 300 Mann zu Fuß. Es war nämlich am 12. September bei Mölln durch eine Lützow’sche Patrouille ein französischer Ordonnanzofficier gefangen genommen worden, bei welchem man einen Brief fand, in welchem erwähnt wurde, daß der Marschall Davoust von seinem zwischen Hamburg und Lübeck stationirten Hauptcorps den General Pecheux mit einer Division von 8000 Mann auf das linke Elbufer entsenden werde, um entweder das Land stromaufwärts von den zahlreichen feindlichen Streifcorps zu säubern, oder auch auf weitere Ordre die Besatzung von Magdeburg zu verstärken.

Der französische General Pecheux war nun auch wirklich am 15. September von Lüneburg über Dahlenburg bis zur Göhrde, einem gut bestandenen großen Forst von Eichen, Buchen und Tannen mit einem gleichbenannten königl. hannoverschen Jagdschlosse, gekommen. Er ließ den Wald und das Jagdschloß besetzen, nahm jedoch Anstand, seinen Marsch weiter fortzusetzen, da hin und wieder streifende Kosaken vermuthen ließen, daß er auf ein größeres feindliches Corps stoßen könne. Auf die Meldung, welche er davon an den Marschall Davoust schickte, erhielt er einen Verweis „wegen seiner zaghaften Besorgnisse“.

Dennoch suchte Davoust sich durch einen Angriff auf die Vorposten bei Boitzenburg auf dem rechten Elbufer zu überzeugen, ob die Linie an der Stecknitz noch von den alliirten Truppen besetzt sei. Wallmoden aber, unterdeß bereits auf das linke Elbufer übergesetzt, ließ sich durch den Kanonendonner, welcher ihm einen Angriff auf den jenseits zurückgelassenen Theil seines Hauptcorps ankündigte, von dem günstigen Erfolg verheißenden Unternehmen gegen Pecheux nicht abrufen, vielmehr wurde, einer mit raschem Ueberblick gemachten Disposition zufolge, der Angriff des Feindes in der Front begonnen, während durch Umgehung seiner Stellung ihm der Rückzug nach Lüneburg abgeschnitten werden sollte.

Der Major Lützow erhielt am 10. Sept. Mittags Befehl, die feindlichen Vorposten im Göhrde-Walde anzugreifen. Seine Tirailleurs trafen mitten im Walde auf den Feind; die Bajonnetjäger unterstützten die Büchsenjäger, und nach anderthalbstündigem Gefecht waren die Feinde aus dem Walde hinausgepirscht.

Hinter dem Göhrde-Walde ist eine hügelige Gegend durch einen Landrücken begrenzt, der dem Feinde Gelegenheit zu vortheilhafter Aufstellllung bot. Auf seinem rechten Flügel hatte er einen Vorberg durch Tirailleurs besetzt; zwischen diesem und dem angrenzenden Höhenzuge führt die Straße nach Lüneburg, vor der Straße hielt Kavallerie, hinter demselben waren zwischen Steinhügeln dortiger Hünengräber eine Haubitze und sieben Kanonen zur rechten und linken Hand geschickt vertheilt und wurden tüchtig bedient.

Die Tirailleurs der Infanterie des Lützow’schen Freicorps vertrieben den Feind aus der Ebene und von dem erwähnten Vorberge. In diesem Augenblicke brach der Major Lützow mit seinen schwarzen Reitern aus dem Walde hervor, um sich auf die französische Cavallerie zu werfen; diese aber erwartete den Angrif nicht, sondern zog sich eiligst hinter ihre Infanterie zurück, welche Vierecke formirte. Lützow und seine muthige Schaar stürzte sich auf die festgeschlossenen Vierecke, welche ihn mit Kartätschen und Bataillonsfeuer empfingen. Die Wirkung in unmittelbarer Nähe vor der Front war mörderisch, Lützow, der Allen vorausritt, wurde durch einen Schuß schwer in den Unterleib verwundet, schwenkte rechts ab, und die Schwadronen, in der Meinung die Attaque sei aufgegeben, folgten ihm.

Es trat jetzt einer jener kritischen Momente ein, welche über Sieg und Niederlage entscheiden. Die Cavallerie und eben so die Infanterie des Freicorps hatten nicht nur die obersten Anführer, sondern auch fast sämmtliche Officiere verwundet oder todt; die Schwadronen sammelten sich rückwärts hinter dem sie schützenden Vorberge. Die Jäger, welche ihre Aufgabe, den Feind aus dem Walde zu vertreiben, erfüllt hatten, waren in kleineren Trupps gefolgt, mehr aus Neugier, wie die Attaque der Cavallerie ablaufen werde, als in Hoffnung auf fernere Betheiligung an dem Gefecht, welches nur durch Cavallerie und Artillerie entschieden werden konnte. Und dennoch kam es diesmal ganz anders; eine Handvoll unternehmender Burschen, man kann sogar sagen, der vorwitzige Einfall eines Einzelnen entschied hier mehr als Strategie und Taktik.

Bei der Verfolgung der Tirailleurs (erzählt Fr. Förster in seinem Tagebuche von 1813 weiter), welche sich, als wir sie aus dem Walde vertrieben hatten, nach den Anhöhen zu ihren Kanonen und Infanteriewaffen zurückzogen, erhielt ich einen Schuß in den rechten Oberarm. Da mir dies einen jener schmerzvollen Mißtöne entlockte, wie man sie bei solchen Veranlassungen unwillkürlich auszustoßen pflegt, eilte mein Nebenmann in der Schützenlinie, der Maler Kersting herbei, mich zu verbinden. Damit er die Kugel aus der Wunde herausdrücken konnte, hieß er mich niedersitzen, wozu sich als geeigneter Sitz die Trommel eines todt an der Erde liegenden französischen kleinen Rataplan darbot. Bald versammelten sich noch eine Anzahl Freunde, und als die Operation glücklich vollbracht war, versuchte ich, um zu probiren, ob meine Armröhre ganz geblieben, die Trommel zu schlagen. Da dies nicht zum Besten gelang, nahm mir der Jäger Renz die Trommel aus der Hand und wirbelte mit großem Geschick darauf herum.

„Du verstehst Dich doch auf Alles,“ rief ein Anderer ihm zu, „Du schneiderst, kochst, wäschst, singst und schießt, wie Keiner es besser versteht, und nun bist Du auch noch Tambour!“

„Ein Potsdamer Soldatenkind,“ sagte Renz, „muß sich auf Alles verstehen,“ und trommelte lustig weiter und sang:

„Zusammen, zusammen, ihr Lumpenhund’,
Ihr sollt’ zu Euerm Hauptmann komm’,
Ihr sollt’ nen Buckel voll Prügel bekomm,“

so daß die kleine Schaar, welche ihm folgte, als ob wir Soldaten spielten, bald auf fünfzig bis siebenzig Mann anwuchs. So waren wir lustiger Dinge über die ebene Haide bis zum Fuße der vor uns liegenden Hügelkette marschirt, als wir da droben Kanonen auffahren, abprotzen und alsbald ein heftiges Feuer auf die sich zurückziehende Cavallerie eröffnen sahen. – „Nun hört aller Spaß auf!“ rief unser Trommelschläger und schlug den Sturmmarsch. Von einem Commando und Erwägung dessen, was zu thun sei, war nicht die Rede. Mit wüthendem Hurrahgeschrei drangen wir in ungeordnetem Haufen, mit Büchsen, wenige nur mit Bajonnetgewehr, den Hügel hinan.

Hier erfuhr ich nun zum ersten Male die furchtbare Wirkung einer vollen Kartätschenladung in einen dichtgeschlossenen Haufen auf etwa 150 Schritt Entfernung. Das stürzte, sprengte, stob und flog auseinander, Jammergeschrei und Hurrah übertönten und übertäubten eines das andere, aber mein tapferer Renz schritt noch immer vorauf, und schlug Sturm auf seiner Trommel. Die auseinandergesprengte Schaar schloß sich in verdoppeltem Sturmschritt wieder zusammen; es galt nur noch einen beherzten Anlauf, und wir waren dann der Batterie so nah, daß die Kugeln über uns wegfliegen mußten. Da warf ein zweiter Schuß seinen zerschmetternden Hagel in unsere Reihen; unser tapferer Trommelschläger stürzte neben mir, krampfhaft hielt er den Zipfel meines Ueberrockes fest und rief mit jammervoller Stimme: „Herr Lieutnant, ich bin ein Mädchen!“ – Ohne darauf zu achten, riß ich mich los; nur wenige Schritte noch, und wir standen in der Schanze. Dieses letzte und entscheidende Wagniß gelang: die Haubitze hatte wiederum ihre Ladung erhalten, allein bevor der Feuerwerker die brennende Lunte daraufhielt, war er von dem Jäger Bachmann niedergestoßen, und sein Schicksal theilten die anderen das Geschütz bedienenden Feinde. Nun aber gab es einen Jubel zum Rasendwerden: zwei französische Kanonen mit Sturm genommen! Wir waren anfänglich kaum ihrer neun bis zehn Mann dabei, sämmtlich in innigster Herzbrüderlichkeit befreundet, die wir in Heidelberg, Jena, Halle und Berlin geschlossen. Wir fielen einander mit Thränen um den Hals, andere stiegen auf die Kanonenläufe und kletterten darauf wie Kinder, mehrere kamen hinzu, wir tanzten wie von der Tarantel gestochen, man könnte das auch ein „Kanonenfieber“ nennen, so außer sich geräth man.

Leider wurden wir bald auf eine sehr überraschende Weise aus unserm Taumel wieder nüchtern gemacht. Nur einige hundert Schritte von den genommenen Kanonen waren zwei französische Bataillons in Colonne angerückt, und das vorderste gab Feuer auf uns. Mehrere der Unsern, die eben noch im Hochgefühl des Sieges mit uns gejubelt, lagen todt am Boden; unter ihnen der 16jährige Pischon aus Berlin, ein Liebling Jahn’s, der gewandteste Springer des Turnplatzes. v. Bärenhorst aus Dessau schien hier freiwillig den Tod zu suchen; er schritt auf das französische Bataillon los und hieß es, das Gewehr zu strecken. Dann mit dem Rufe: „Körner, ich folge Dir!“ stürzte er, von sieben Kugeln durchbohrt – so fanden wir ihn später – nieder.

Hier wurde auch der Lieutnant Lüttwitz schwer verwundet; es

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_599.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)