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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

vorüberbrausen. Bei der Illumination im dicken Menschengedränge hingeschoben, das von einem daher kommenden Wagen eben peinlich vermehrt wurde, so daß sich hier und da Angstrufe hören ließen, sieht er Ludwig Tieck’s wundervollen Kopf sich besorgt umschauend aus dem Wagen neigen, ruft ihm zu, reicht ihm die Hand, wird jubelnd halb in den Wagen gehoben, halb springt er hinein und sieht sich dem freudig bewegten, berühmten Dichter gegenüber, der ausruft: „Jetzt hat die Illumination erst Bedeutung für mich, und ich weiß, warum ich in Berlin bin!“

Mehr als bei irgend einem anderen der hervorragenden Componisten unserer Zeit war Weber’s Schaffen ein Product der Wechselwirkung zwischen seinem Genius und dem Publicum, das ihm lauschte.

Die Beschäftigung mit „Sylvana“ leitete wieder intensiver auf dramatische Composition hin, der Verkehr mit Tieck und dem ebenfalls angekommenen Brentano legte die Gelegenheit zu Erlangung eines wahrhaft poetischen, künstlerisch gestalteten Operntextes nahe, und auch Gubitz las Weber eine Anzahl Entwürfe zu Opern vor. Clemens Brentano besonders zeigte sich geschäftig im Aufstöbern uralter, echt romantischer Sujets, und so kam man denn eines Abende, als Weber, ermüdet von den Vorbereitungen zu seinem Concerte bei Lichtenstein, auf dem Sopha saß, wo ihn Brentano aufsuchte, auf die Fabel vom „Tannhäuser“, die, wie die meisten mittelalterlichen Sagen erst durch spätere Bestrebungen in’s größere Publicum gebracht, damals den vollen Zauber der Neuheit hatte. Brentano erzählte Weber den Stoff, und dieser erkannte ihn sofort voll Feuer als den musikalischsten, den es überhaupt geben könne, da seine tiefsinnigen Motive sämmtlich solche seien, zu deren Verlebendigung die Musik nothwendig sich erfordere und befähigt sei. Der Kampf der Gottesliebe, des Glaubens, der Sinnen- und der reinen irdischen Liebe, fast die einzigen Empfindungen, welche die Musik ganz und voll darzulegen vermag, waren hier das innere Motiv des Ganzen, und welche Pracht und Fülle des Aeußeren entfaltete sich bei dem Gedanken an den Wartburgkrieg, die Sirenenverlockung der Venus und ihrer Welt, den pontificalen Pomp der Scenen in Rom – Musik! rief hier jede Stelle und jeder Vers, Musik!

Brentano sollte sofort, auf Weber’s Bitte, der von dem Stoffe ganz erfüllt war, an die Textbearbeitung gehen, und so war es nahe daran, daß die Fabel, die jetzt einem der größten Kunstwerke der Neuzeit zum Grunde liegt, schon 30 Jahre früher durch Weber ihre musikalische Behandlung gefunden hätte. Anders, melodiöser, reizender, schöner, als sein berühmter Nachfolger auf dem Dirigentenstuhle zu Dresden, würde er ihn aufgefaßt haben, tiefer, gewaltiger, größer – kaum. Obgleich daher die Behandlung eines Stoffs von der Tiefe und poetischen Bedeutung, wie der des „Tannhäuser“, unzweifelhaft die romantische Kraft von Weber’s Genius zu einer noch weit bedeutungsvolleren Entwickelung geleitet haben müßte, als die Trivialitäten des Textes der „Euryanthe“, so wäre doch dann wahrscheinlich der „Freischütz“ und vieles Andere ungeschrieben geblieben, und somit war es gut, wie es der Geist der Kunst fügte, daß die Zeitstimmung so Brentano wie Weber von der Beschäftigung mit der Sache ablenkte, obwohl, wie es scheint, Ersterer ein gut Theil des Textes fertig gemacht hatte.

Weber’s Concert, oftmals verschoben, kam endlich am 28. Aug. zu Stande. Weber hatte diesmal Nichts versäumt, was nach damaliger Sitte zum Erzielen eines guten Concertes erforderlich war, und unzählige Visiten vom Könige und sämmtlichen Prinzen an bis zu den Notabilitäten zweiten Ranges der musikalischen Gesellschaft Berlins herab gemacht, und Stöße von Briefen geschrieben. Der Erfolg des Concertes, der Weber’s Namen trotz der Abgelenktheit der Interessen wieder in Aller Mund brachte, legte den Wunsch nahe, ihn für Berlin zu gewinnen, wo mit dem unausbleiblich nahe bevorstehenden Tode Iffland’s die Oper gründlich reformirt werden sollte und durch Himmel’s Tod eine Vacanz am Dirigentenpult entstanden war. Hardenberg selbst sprach in einer Gesellschaft bei Staatsrath von Jordan mit ihm darüber, stellte aber natürlich Alles in’s Ungewisse, so lange die bevorstehende traurige Katastrophe nicht eingetreten sei.

Auch Bernhard Romberg näherte man sich in gleicher Weise. Das Gerücht hiervon verbreitete sich vielleicht von Weber’s Freunden, den Jordans in Pankow, Lichtenstein, Kielmann, Gern u. s. w. angefacht, sehr rasch und hatte wenigstens die gute Wirkung, daß man ihm von Seiten der unteren Theaterleitung in Betreff der „Sylvana“ geschmeidiger entgegen kam.

Die Proben zu dieser Oper begannen trotz alledem erst am 25. August und die Generalprobe war am 3. September, mitten schon unter den Geschäften, Besuchen und den Unruhen des Abschieds von Berlin (denn Weber beabsichtigte unmittelbar nach der Aufführung, die hier den 5. angesetzt war, die weitere Ausführung seines Reiseplanes fortzustellen, dessen nächster Zielpunkt durch die Einladung des Herzogs Emil Leopold August von Gotha fixirt war), die noch durch eine Einladung des Kronprinzen vermehrt wurden, der, bei einem heitern kleinen Diner, Webern sehr mit seiner Liebenswürdigkeit, Derbheit, seinem geistreichen Witze und seinen klaren Kunstansichten bezauberte, so daß er später öfter äußerte, welche hohe Befriedigung es gewähren müßte, unter den Auspicien eines solchen Fürsten eine Kunstanstalt zu leiten, während die Geschmacksrichtung des damals regierenden Königs ihm wahrhaften Grauen einflößte, welche Ballet und Pantomimen zu den gehätschelten Lieblingskindern der Berliner großen Kunstverbildungsanstalt machte, nachdem Iffland’s wachsames Auge und derb redender Mund sich für immer geschlossen und Graf Brühl’s guter Wille der Graf Redern’schen Unfähigkeit gewichen war.

Sylvana ging am 5. bei brechend vollem Hause in Scene. scheint aber das Publicum kühl gelassen zu haben, da weder die Journale, noch Weber selbst in den Briefen an seine Braut und an seine Freunde irgend erheblichen Beifalls Erwähnung thun. Diese Theilnahmlosigkeit des Publicums erklärt sich sehr natürlich aus der Zeitströmung der Geister, die mit ihrem großen, kräftigen, sonoren Wellenschlage weitab von der sentimentalen Hyperromantik des Süjets der „Sylvana“ lenkte, das mit allem seinem Apparat von pappenen Rüstungen, gemachten Empfindungen, unnatürlicher Situation in dem von Weltereignissen bewegten, kräftig fühlenden Volke nicht allein keine sympathischen Empfindungen wecken, sondern fad und matt erscheinen und mit seinen Ansprüchen auf Erweckung von Interesse in Gemüthern, welche das gewaltigste Drama eben an sich hatten vorüberziehen sehen, sogar vielleicht abweisende Tendenzen oder mitleidiges Lächeln hervorrufen mußte. Im schrecklichsten Regen stieg Weber nach der Vorstellung der Sylvana gleich Nachts noch in den Wagen, und reiste, nach kurzem geschäftlichen Aufenthalte in Leipzig, nach Weimar durch, wo er am 9. Nachmittags 4 Uhr eintraf.

Es ist unzweifelhaft, daß in der Einsamkeit des Wagens, auf den der Regen monoton und unablässig herabrieselte, auf dieser Reise die bedeutsamen und neuen Regungen, welche die Zeit in Berlin in Weber erweckt hatte, ihre künstlerische Form gesucht und gefunden haben. Es ist bedeutungsvoll in Weber’s Leben, daß auf einsamen Reisen, nach an- und aufregenden Zeiten, in fast allen Hauptmomenten seines Kunststrebens die Läuterung seiner Ideen, die Erkenntniß seiner weittragendsten Irrthümer, die Feststellung seiner allgemeinsten Richtungen erfolgte, die, einmal erkannt, er dann mit großer Festigkeit inne hielt.

In Weimar erfuhr er, daß die Großfürstin den 11. nach Wien abreise. Kaum erhielt diese aber Notiz, daß er in Weimar sei, als sie zu ihm schickte, ihn holen ließ und schon in Reisetoilette in der liebenswürdigsten Weise eine Stunde mit ihm verplauderte und ihn für nächstes Jahr einlud.

Der Drang nach einigen ruhigen Arbeitstagen, die er in Gotha zu finden hoffte, und in denen ein Theil des fertig aufgespeicherten Stoffs zu herrlichen Liedern, der ihm Kopf und Brust mit Geburtswehen bedrängte, zu Papier kommen sollte, ließ ihn ohne Aufenthalt am 11. Septbr. nach Gotha fahren. Hier traf er den Herzog nicht an, der eine Zeit lang auf seinem alten, kaum einigermaßen wohnlichen Schlosse Tonna (oder Gräfentonna) hauste, um kürzlich dort entdeckte Schwefelquellen durch eigenen Gebrauch des Bades in Credit zu bringen, und mußte ihn daher daselbst aufsuchen.

Den 12. Septbr. fuhr er nach dem alten Schlosse hinüber, das im Walde an der rauschenden Tonna gelegen, von einer stillen Fasanerie umgeben, mit seinen Giebeln und spitzen Dächern und verschiedenen Baustylen eine ereignisreiche Existenz von der stillen Einwohnerschaft der alten Grafen von Gleichen an, von Noth und Drangsal durch Tilly und Banner, bis zu den phantasiereichen Selbstgesprächen, Concerten und kleinen Gesellschaften, die Herzog Emil August hier hielt, erzählt.

Wir lassen Weber seinen Aufenthalt in Tonna selbst in einem vom 14. und 15. Septbr. datirten Briefe an Caroline erzählen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 602. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_602.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)