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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Die Echte.
Eine Geschichte aus dem alten Lande.
Von Ernst Willkomm.
(Schluß.)
8.

Es war der Voigt, begleitet von den zwei Ruderknechten des älteren Krahn, welche zugleich mit ihrem Herrn und Heinz Osten den Ewer nach Hamburg gesteuert hatten. In großer Bestürzung waren sie vor Kurzem allein zurückgekehrt, um die Verhaftung ihres Herrn, den sie nicht einmal sprechen durften, daheim zu melden und ihrer Obrigkeit davon Anzeige zu machen.

Der Voigt, ein guter Schütze, pflegte nie ohne Vogelflinte auszugehen. Er knallte oft blos zum Vergnügen unter einen Schwarm Spatzen oder lärmende Staare, die er überhaupt nicht leiden mochte, weil er in den naschhaften Vögeln die gefährlichsten Feinde aller Obstsorten erblickte. Einen solchen „Prellschuß“, wie er sich ausdrückte, hatte er auch jetzt gethan, ohne zu fragen, was Andere davon denken möchten.

Capitain Krahn kannte den Mann, der gern sehr kurz angebunden war und sich in seiner obrigkeitlichen Stellung für völlig unantastbar hielt. Die Meldung der Krahn’schen Knechte hatte ihn erbittert, denn daß Ohllander Eingesessene, Männer von Gewicht und von unbescholtenem Rufe, durch fremde Häscher in’s Gefängniß geworfen werden könnten, dünkte ihn unmöglich. Er hielt eine solche Gewaltthat für ein schweres Verbrechen, für einen frevelhaften Eingriff in die Gerechtsame und Freiheiten seiner geliebten Heimath, und hätte am liebsten gleich das ganze alte Land aufgeboten, um gen Hamburg zu ziehen und die Eingekerkerten, die in seinen Augen natürlich unschuldig sein mußten, nöthigenfalls gewaltsam zu befreien.

Moritz Krahn ward von dieser neuen unangenehmen Mittheilung sehr beunruhigt und wollte noch in der Nacht nach Hamburg aufbrechen.

„Was ist die Ursache ihrer Verhaftung?“ wandte er sich fragend an die ängstlich gewordenen Knechte.

„Es heißt, man habe sie bei verbotenem Spiele betroffen,“ versetzte der eine.

„Beim Spiele!“ wiederholte der Capitain nachdenklich. „Das ist wenigstens glaublich, denn der Vater kann keine Karte liegen sehen, ohne sogleich mit harten Thalern zu klappern.“

Dortchen mit ihrer Mutter kam jetzt ebenfalls herbei, um zu hören, was der aufgebrachte und sehr laut sprechende Voigt anzuordnen für gut finden würde.

„Alles einerlei!“ sagte dieser. „Haben sich unsere Landsleute vergangen, so ist’s jedenfalls unwissentlich geschehen. Wer von uns kann alle hamburgischen Verordnungen kennen! Man steckt aber ehrenwerthe Männer nicht gleich in’s Loch, wenn sie etwas Verbotenes gethan haben. Dergleichen läßt sich mit Erlegung einer Geldbuße abmachen. Aber vermuthlich haben die Freunde Alles verspielt und sitzen nun fest. Darum auf, alle Mann! Steckt Geld ein und geizt nicht! Ihr werdet dann sehen, wie geschwind die gestrengen Hamburger freundlich werden und die Gefangenen freigeben.“

Dieser Vorschlag gefiel dem Capitain, und er würde sofort dem drängenden Voigte gefolgt sein, hätte er sich jetzt nicht der Blinden wieder erinnert, die noch immer allein im Zimmer saß, um die Rückkehr des Hausherrn zu erwarten.

„Die Fremde!“ sagte er, der Hausfrau zuwinkend. „Nun Osten nicht kommt, muß sie fort! Ich werde selbst mit ihr reden!“

„Es bedarf keines Wortes,“ sprach die Blinde dicht hinter ihm. Sie stand an dem mehrmals erwähnten kleinen Fenster und hatte, wie sich sogleich ergab, die ganze Unterredung mit angehört. „Wenn Osten im Gefängnisse sitzt, ist es meine Pflicht, ihn daselbst aufzusuchen. Ein Wort von mir macht ihn eher frei, als Euer Geld! Und ich werde es sprechen, wenn er mich erhört und meinen Willen thut!“

Sie war aus dem Zimmer getreten und ging jetzt, ohne sich des Stabes zu bedienen, mit festem Schritt über die Diele, um sich nach dem hinteren Theile des Hauses zu wenden, von wo sie die Stimme Dortchens gehört hatte. Alle ihre Bewegungen waren sicher, wie die einer mit scharfen Augen begabten Person.

„Diese Stimme muß ich kennen!“ sprach der Voigt, der Unbekannten, die wie eine dunkle Erscheinung aufgetaucht war, mit den Augen folgend. „Wer ist das Weib?“

„Wir Alle haben es nie zuvor gesehen,“ versetzte Capitain Krahn. „Ihr Kommen hat aber jedenfalls eine eigene Bewandtniß, und ich fürchte, keine erfreuliche.“

Inzwischen war die Blinde zu Dortchen vorgedrungen, deren Hand sie jetzt ungeachtet des Sträubens derselben erfaßte und fest in der ihrigen hielt.

„Ich weiß es, Du bist Braut,“ sprach sie mit bewegter Stimme. „Ich werde Dich segnen, wenn Dein Vater zuvor in sich geht und früh begangenes Unrecht wieder gut macht.“

„Das ist Hanna Moll, so wahr ich lebe!“ rief der Voigt und legte, rasch hinzutretend, seine Hand auf die Schulter der Blinden. „Lebst Du noch? Und von wannen kommst Du?“

Die Fremde horchte auf und kehrte ihr bekümmertes Gesicht dem Sprechenden zu.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 609. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_609.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)