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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Kopfe die kleine Mütze aus Goldbrokat mit lang herabflatternden Bändern, um den Hals eine sechsfache Schnur silberner Perlen aus feinster Filigranarbeit, auf der Brust unter dem offenstehenden Jäckchen von feinem schwarzem Tuche die blitzende „Rodur“, ein Gewebe aus echtem Goldbrokat, und die Hüften umwunden von der zwölf Ellen langen schweren Silberkette, reichte sie Heiny zuerst die Hand, damit er sie zum Tanze führe.

Im nächsten Frühjahre trat Capitain Krahn mit seiner jungen Frau auf dem ihm selbst zugehöreuden Barkschiffe „die Versöhnung“ eine Reise nach Ostindien an. Die Fracht des schönen Schnellseglers bestand größtentheils aus eingemachten unreifen Früchten des „alten Landes“, jenen beliebten süßen Pickles, die in allen großen Städten jenes unermeßlichen weiten Reiches mit hohen Preisen bezahlt werden.

Heiny Osten befand sich mit auf der Bark. Er wollte sich zum praktischen Seemanne ausbilden. Seit dem Tode seiner blinden Mutter, die schon im Winter ruhig und schmerzlos verstorben war, hatte er keine Ruhe mehr im Kirschenlande. Es trieb ihn hinaus in die Ferne, in das bewegte Leben fremder Völker, wo er nach wenigen Jahren sein Glück machte.

Den Jakobsthaler, welcher so seltsame Schicksale erlebt hatte, legte Dortchen nie wieder ab. Er war ihr ein Amulet von unschätzbarem Werthe, und die Kraft dieses Amuletes brachte seiner schönen Besitzerin von Jahr zu Jahr neues Glück und neuen Segen.



Die Vertheidigung eines deutschen Bollwerks.

Die „Gartenlaube“ hat in einer ihrer früheren Nummern die ruhmvolle Vertheidigung der Festung Hohentwiel durch den Hessen Konrad Wiederhold im dreißigjährigen Kriege mitgetheilt. Ein Seitenstück dazu ist die rühmliche Vertheidigung von Rheinfels im Jahre 1692 durch den hessenkasselschen Generalmajor Georg Sittich Ludwig von Schlitz, genannt Görz. Beide Ereignisse sind leuchtende Erscheinungen in der Nacht tiefer Schmach und Erniedrigung des damaligen deutschen Reiches, und beide sind daher werth, der Gegenwart in’s Gedächtniß gerufen und der Nachwelt erhalten zu werden.

Dazu kommt noch, daß die Uebereinstimmung in den Schicksalen beider Festungen in vielen Beziehungen merkwürdig und auffallend ist. Beide, Jahrhunderte lang unbezwungene, jungfräuliche Bollwerke der deutschen Grenzmarken, jenes – Hohentwiel – die Beherrscherin der Ebenen des Höhgaus zu Schutz und Trutz der südwestlichen Grenzen, dieses – Rheinfels – die Königin der Rheinburgen und die treue Warte des Rheines zwischen Mainz und Koblenz gegen den Erbfeind, beide erlagen sie am Ende des achtzehnten Jahrhunderts weniger dem gewaltigen und unwiderstehlichen Andrange der neufränkischen Legionen, als dem Schwachsinn und der Unentschlossenheit abgelebter und greiser Commandanten. Warnend fordern ihre in Schutt zerfallenen Trümmer noch heute das deutsche Volk zur Vorsicht in der Wahl der Commandanten für die Grenz- und Binnenfesten auf.

Rheinfels – der Hauptort der Grafschaft Niederkatzenelnbogen – gehörte damals unter hessenkasselscher Oberhoheit dem Landgrafen Ernst von Hessen-Rotenburg, welcher, im Widerspruch mit der vom Landgrafen Karl von Hessen-Kassel verfolgten wahrhaft nationalen Politik, sich nicht entblödet hatte, mit Frankreich wegen Abtretung der starken Festung an den Reichsfeind gegen eine bedeutende Summe zu unterhandeln und deshalb bei der Annäherung der Franzosen, im December 1692, Alles zu thun, um Karl die Ausübung des diesem vertragsmäßig zustehenden Besatzungsrechts unmöglich zu machen. Nur den gemessensten Befehlen Karl’s und deren pünktlichster Befolgung durch den charakterfesten Görz gelang es, die Festung vor einem Handstreich zu retten.

Die Festung bestand damals auf dem linken Rheinufer aus der am nördlichsten und höchsten gelegenen eigentlichen Festung Rheinfels, dem gleichnamigen Schlosse – der alten Burg der Grafen von Katzenelnbogen – und der am südlichsten und tiefsten gelegenen Stadt St. Goar, auf dem rechten Rheinufer dagegen aus der zu einem Fort eingerichteten Burg Katz und zwei während der Belagerung errichteten Batterien. Sie war mit 70 Geschützen, von denen 24 auf dem rechten Rheinufer standen, und reichlicher Munition (130 Centner Pulver, 150,000 Musketenkugeln, 8000 gefüllte Granaten und 22,000 Kanonenkugeln, fast sämmtlich während der Belagerung verschossen) versehen und wurde nach der Besitzergreifung durch Görz von 4000 Mann hessischen Fußvolks und Dragoner, wovon eine Compagnie auf der Katz lag, und einer Abtheilung trierischer Mineurs vertheidigt. Da eine andere Abtheilung von 3000 Mann unter dem General von Krässenbruck auf dem rechten Rheinufer nur insoweit in die Vertheidigung eingreifen konnte, als dadurch die Franzosen am Uebergang über den Rhein und der vollständigen Sperrung der Rheinschifffahrt gehindert wurden, so sah sich die kleine Schaar unter Görz allein genöthigt, der französischen Uebermacht die Spitze zu bieten, welche sich am 16. December unter dem thatkräftigen Marschall Tallard mit 42 Geschützen, 18,000 Streitern und 3000 zur Schanzarbeit aufgebotenen Bauern vor der Festung lagerte und am 21. December noch mit 14 Geschützen und 10,000 Mann verstärkt wurde. Tallard war so fest davon überzeugt, Rheinfels vor dem Eintreffen des sich bei Koblenz sammelnden Entsatzheeres einnehmen zu können, daß er sich offen vermaß, seinem König Ludwig XIV. die Schlüssel der Festung zum Neujahrsgeschenk übersenden zu wollen, und von seiner Thatkraft durfte man erwarten, daß er Alles thun werde, um die nicht zu erkaufende Festung mit den Waffen zu nehmen.

Mußte es auch auf die Besatzung einen niederschlagenden Eindruck machen, daß die Kanone, aus der bei Annäherung der Franzosen der Alarmschuß abgefeuert wurde, zersprang und einen Constabler tödtete, so wirkte um so erhebender die That eines der bei der Vertheidigung betheiligten Bürgerschützen. Dem Drechslermeister Johannes Kretsch gelang es schon am 17. December, vom evangelischen Kirchthurm zu St. Goar aus mit einem Doppelhaken auf eine Entfernung von 300 Schritten den Marschall Tallard, der von dem Gipfel des nahen Wackenberges die Festung recognoscirte, und welchen Kretsch an seinem großen Federhute erkannte, so schwer an der linken Schulter zu verwunden, daß Tallard den Oberbefehl an den Feldmarschall de Choissy abgeben mußte. Görz ernannte den braven Schützen dafür zum Hauptmann der städtischen Schützencompagnie.

Unter lebhaftem Feuern und Kämpfen gediehen die Belagerungsarbeiten bis zum 20. December so weit, daß die Franzosen, während das Schloß in Brand gerathen war, bereits glaubten, einen Sturm unternehmen zu können. Doch wiesen die Belagerten einen dreimaligen heftigen Angriff tapfer zurück, beim dritten, blutigsten Sturme warf sich Görz selbst an der Spitze seiner Truppen entgegen und tödtete persönlich einen Grenadierofficier, der ihn durch den Arm stach. Dieser einzige Tag kostete den Franzosen 400 Todte und eine Menge Verwundete, während die Hessen 27 Todte und mehr als 100 Verwundete zählten. Um einem nochmaligen Brande vorzubeugen, ließ aber Görz alles Dachwerk abnehmen und die Magazine und Pulverhäuser mit Dünger bedecken.

Die Bürger von St. Goar nahmen an der Vertheidigung der Stadt den muthigsten Antheil. Namentlich bewiesen die mit der Vertheidigung des Wackenberges beauftragten und von dem muthigen Johannes Kretsch angeführten Schützen die größte Tapferkeit.

Mit größeren Kräften ward am 22. December der Sturm wiederholt. Von Nachmittags 3 Uhr bis in die Nacht unterhielten die Franzosen ein fürchterliches Feuer, bei dem die Werke und Gebäude sehr litten, und da Görz durch Gefangene erfuhr, daß dies das Vorspiel des Sturmes sein solle, so traf er kräftige Gegenmaßregeln. Namentlich ordnete er an, daß man die Franzosen ganz nahe an die Schanzen herankommen lassen und erst auf ein gegebenes Zeichen Feuer geben solle. Nachts um 11 Uhr zogen dann bei schwachem Mondlicht die französischen Colonnen aus dem Lager gegen Stadt und Festung. Ehe sie sich aber ausbreiten konnten, wurden sie auf 30–40 Schritte durch ein solches Geschütz- und Gewehrfeuer begrüßt, daß ganze Reihen niedergeschmettert wurden. Noch eine Salve folgte, und dann machten vier hessische Compagnien unter dem tapfern Major von Sacken einen Ausfall gegen die französische Uebermacht, mußten sich jedoch nach einigem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 612. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_612.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)