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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

verrichten müsse, und beim Uebergeben des Richtschwertes fand eine besondere Ceremonie statt. Höchst originell sind die Hinrichtungen, an denen sich ganze Gemeinden betheiligen mußten. Das Seil, woran der Missethäter gehenkt wurde, ward über eine Rolle gezogen. An das untere Ende knüpfte man den Verurtheilten. Diese Procedur vollzog der Schultheiß. Sobald der zu Hängende bereit stand, zog die ganze Rathmannschaft ihn an der Rolle in die Höhe, und das lange Seil lief durch die Hände sämmtlicher Gemeindemitglieder, „auff daß Niemant dem andern vorwerffen könne, er hab einen Dieb erhenket.“ Das Verfahren hielt z. B. die Gemeinde Weißenbrunn bei Castell in Franken lange Zeit inne.

Das entsetzliche Rechtsmittel der Folterung war ohne Zweifel Veranlassung, die Dienste des Blutrichters einer bestimmten Person zu übertragen, da zuletzt sich denn doch die Meisten weigerten, den Mitmenschen unerhörte Qualen zu bereiten.

Einmal in den Geruch der Unehrlichkeit gekommen, war es natürlich, daß die Würde des Nachrichters erblich ward, denn dem Sinne des Mittelalters gemäß übertrug sich die vermeintliche Schande des Vaters auf die Kinder. Zu keiner ehrlichen Beschäftigung zugelassen, blieb dem Sohne des Henkers Nichts übrig, als ebenfalls das Richtschwert zu ergreifen. Missethäter konnten in gewissen Fällen sich dadurch vom Tode retten, daß sie Scharfrichterdienste leisteten. Gewöhnlich heiratheten die Töchter der Nachrichter wieder Männer desselben Handwerkes, und so erhielten sich, wie oben gesagt, die finsteren Beschäftigungen bei ganzen Familien, ja Generationen. Ein interessantes Beispiel hierfür liefert die berühmte Nachrichterfamilie Lauson in Frankreich, die bis auf die neueste Zeit unter dem Titel „Messieurs de Paris“ Henkersdienste verrichtete. Auch in Deutschland sind bei Uebertragung des Nachrichteramtes ähnliche Beispiele vorhanden.

Mit der Zeit ward das Amt der von den Gerichten eingesetzten Henker sehr einträglich. Nicht allein blieb ihnen durch die peinliche Execution ein Gewinn, sie übernahmen auch zugleich die Besorgung der Stadtreinigung, die Abführung und Beerdigung des gefallenen Viehes, die Beaufsichtigung der feilen Dirnen, von denen jede dem Henker – nach besonderer Verordnung der Stadtobrigkeit – eine gewisse Buße zahlen mußte. Endlich aber setzten sie sich in besonderen Respect durch die verschiedensten Curen, die sie an Menschen und Thieren, namentlich an Letztern in ihrer Eigenschaft als Thierärzte oft und glücklich machten. Menschenkrankheiten heilten sie nach dem Aberglauben der Zeit oft durch übernatürliche Mittel, namentlich sympathetische. Auch trieben sie Handel mit zauberischen Dingen, als: Diebsdaumen, Galgenmännlein etc., worauf schwere Strafe gesetzt war, die jedoch nicht den Vertrieb hinderte, sondern vielmehr dazu beitrug, daß der Henker sich das zu verkaufende Object desto theurer bezahlen ließ.

Die Anstellung des Scharfrichters war Sache des hohen peinlichen Gerichtes „des Kraises“. War die Bestallung entschieden, so schwor der Erwählte einen Eid. Nach bambergischer Formel, die im Wesentlichen in Deutschland überall angenommen ward, lautete der Schwur:

„Ich sol und wil meines gnädgen Herrn von Bamberg und Sr. Gnaden Stifft Schaden warnen, Frommen werben, in meinem Ambt treulich dienen. Peinliche Straffen, und Fragen wie mir von Sr. Gnad weltlichen Gewalt jedesmahl befohlen wird, auch darum nicht mehr denn ziemliche Belohnung nehmen, alles nach Laut der bambergischen Hals-Gerichts-Ordnung. Was ich auch in peinlicher Frage höre, oder mir sonst in Geheim zu halten befohlen wird, dasselbige will Niemandten ferner eröffnen, auch ohne Erlaubniß meines gnädigen Herrn, Hofmeisters, Marschalls oder Hausvogtes nicht verreisen oder wegziehen und derselben Geschäfften und Geboten gehorsam und willig sein, alles getreulich und ohne allerley Gefähre, als helffe mir Gott und seine Heiligen.“

An andern Orten, z. B. Nürnberg, München, auch in Norddeutschland ward der Scharfrichter verpflichtet:

„Bei Torturen, Voltern und peinlichen Fragen keine Arglist noch Gefährde zu gebrauchen, nicht gelinder noch schärfer zu foltern als das Urtheil ansaget, namentlich aber keine zauberischen Mittel vorzunehmen und zu gebrauchen, das Bekenntiß der Gevolterten, sonderlich der Hexen und Zauberer zu erpressen.“ Ferner „soll der Henker mit den armen Sündern glimpflich und nicht grausam umgehen, überhaupt aber einen rechtlichen, christlichen Wandel führen.“

Auf diese Vorhaltungen antwortete der Henker mit „Ja, ich gelobe also zu thun“, und bei dem Gelöbniß legte er die Schwurfinger auf den ihm entgegengestreckten Gerichtsstab. Die Eidesformel lautete dann auch wohl:

„Ich N. N. schwöre hier zu Gott dem Allmächtigen einen leiblichen Eid, daß ich all demjenigen, so mir jetzo vorgehalten, ich auch verstanden, gelobet und versprochen habe, in allen treu, fleißig und unverbrüchlich nachkommen und nicht dawider handeln will, so wahr mir Gott helfe und ich hoffe selig zu werden, durch Jesum Christum meinen Erlöser und Seligmacher. Amen.“ [1]

Der also Beeidigte war nun bestallte „blutige Hand“ des hohen Gerichtes und erwartete seine Opfer. Die Richter übergaben ihm sein Zeichen, das Richtschwert, welches er bei allen feierlichen Anlässen trug. Doch war ihm unbenommen sich bei Hinrichtungen eines andern Schwertes zu bedienen. Der Henker mußte nun die vorgeschriebene Kleidung anlegen. Sie war an verschiedenen Orten ebenso verschieden. Es steht hierüber nur fest, daß die Blutrichter nicht gewisse Farben tragen durften, die im Mittelalter zu den Privilegien bevorzugter Classen gehörten. So ward z. B. in Paris der Scharfrichter Lauson zur Untersuchung gezogen, weil er sich in blaue Farbe, welche die der Hofleute war, kleidete. – In Deutschland war die Tracht der Henker meist roth und an den Hüten trugen sie gewisse Abzeichen. Namentlich ward ihnen ein kurzes Schwert zu tragen gegeben, an dessen Gefäß gelbe und rothe Schleifen befestigt waren, wodurch sie kenntlich wurden. Sie durften sich nicht in eleganter Kleidung sehen lassen, und obgleich die Gerichtshöfe verschiedene Male die Ansicht, daß der Henker unehrlich sei, bekämpften, dagegen schreiben und sprechen ließen, sorgten sie dennoch dafür, daß der Nachrichter nicht mit dem Publicum in Berührung kam. Selbst in den Kirchen hatten die Henker, deren Knechte und Familien einen besonderen Stand. – Allgemein gebräuchlich blieb für den Henker der rothe Mantel, den er während des Zuges zur Richtstätte tragen und unter welchem er das Richtschwert verbergen mußte, „daß er den armen Sünder nicht vor der Zeit schröcke.“ Im Halberstädtischen trug er eine Thierpfote auf dem Hute.

Durch die Erhebung des Nachrichters zu einer Justizperson ward es nothwendig, in das Getriebe der Scharfrichterei eine Ordnung zu bringen. Von jenem Augenblicke an erhielt der Henker seinen Platz bei den Gerichts-Verhandlungen. Es ward actenmäßig festgestellt, wie weit seine Verrichtungen beschränkt werden durften, wie weit er nach eignem Ermessen gehen durfte, ohne durch den peinlichen Richter gehemmt zu sein. Noch 1754 lautet, schrecklicher Weise, die Leipziger, Braunschweiger und Hannoversche Instruction für den peinlichen Richter: [2]

„Daß bei den Schnürfoltern, wo es auf’s Sehen und Fühlen und Ermessen ankommt, der Scharfrichter zu prospiciren hat, ob der Reus genug oder zu wenig gefoltert ist, und wäre es von einem Richter zu viel gewaget, in die Erfahrung artis eines Scharfrichters, der zumahlen beeidigt, die Erfahrung der Jahre hat und im Lande von höheren Collegiis gebraucht wird, wie der Schuster außer seinem Leisten Einreden zu thun.“

Gewöhnlich hatten sich die Nachrichter genau mit Allem bekannt gemacht, bevor sie zur Uebernahme ihres Amtes schritten, da sie sich der höchsten Gefahr ausgesetzt wußten, wenn eine Hinrichtung mißlang. War das theoretische Examen bestanden, so ging die schauerliche Praxis an. – Vielfache Sagen sind über die zur Erlangung der Henkerfertigkeit nothwendigen Vorübungen verbreitet. Gewiß ist es, daß einige Henker die Uebungen an Leichen vollzogen, wozu Selbstmörder und Cadaver dienten.

Indessen lag der Vortheil besonders in der Beschaffenheit der zum Richten erforderlichen Waffe, deren nähere Beschreibung hier sogleich folgen soll. Die berühmte Sammlung des Herrn Geuder in Nürnberg bewahrt alle Arten von Richtschwertern. Das deutsche Richtschwert hatte die einfache Form des Kreuzes, besaß keinen Daumenring, war von blankem Eisen und hatte einen belederten Griff. Wie in jener Zeit Alles mit außergewöhnlichen Einflüssen in Verbindung gebracht und denselben unterworfen ward, so geschah es auch bei den Richtschwertern. Dieses Symbol und Hauptwerkzeug des Henkers ward den verschiedensten Gebräuchen und Weihungen unterzogen. Die Länge des deutschen Richtschwertes war im 15., 16. und 17. Jahrhundert durchschnittlich 28–30 Zoll, bei 2 Zoll

  1. Für gewisse Torturen waren besondere Scharfrichtereide gebräuchlich.
  2. De Applicatione tormentorum, besonders vom Schnüren etc. Hannover 1754 bei Richter.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 617. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_617.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)