Seite:Die Gartenlaube (1863) 636.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

zu beziehen, die man von früher her kennt. So glaubte er wiederholt den Ofen zu sehen, den er zu seiner Linken wußte. Nachdem er sich mehrmal im Kreise herumgedreht, sah er ihn wieder, jedoch an einer Stelle, wo weder ein Ofen, noch sonst etwas dem Aehnliches sich befand. In gleicher Weise erging es ihm mit seinen Händen.

Der andere Beobachter, Dr. Oppel, war nicht viel glücklicher. Auch er hatte im dunkeln Zimmer Lichterscheinungen; zur Prüfung, ob dieselben subjectiv oder objectiv seien, bewegte er die Augen mäßig. Dabei fand er, daß in den meisten Fällen die Spur eines Lichtwölkchens im Auge war; dasselbe schien jedoch den Bewegungen des Auges nicht zu folgen, und fuhr er in gerader Linie mit dem ausgestreckten Zeigefinger nach der lichtern Stelle hin, so traf er in der That zu wiederholten Malen die Spitzen und Kanten von Kalkspath-, Quarz-, Steinsalze und Gypskrystallen, die er auf einem Tische ausgebreitet hatte, beinahe eben so oft aber fuhr er mit seiner Hand in die Luft.

Diese Mittheilungen zeigen hinreichend, welchen Täuschungen selbst ein gewissenhafter und vorsichtiger Selbstbeobachter ausgesetzt ist. Viel ärger müssen nun diese Täuschungen sein, wenn man nicht selbst beobachtet, sondern sich ganz auf die Beobachtungen fremder Leute verläßt.

Ich bin jedoch weit entfernt, Zweifel an der Wahrhaftigkeit der Mehrzahl der Sensitiven zu äußern. Im Gegentheil, ich erkläre hiermit ausdrücklich, daß ich die Sensitiven nicht für Betrüger, sondern für Betrogene halte. Sie lassen sich täuschen von den subjectiven Lichterscheinungen und beziehen dieselben – mit ihrem Wesen unbekannt auf Vorgänge in der Außenwelt, die damit in gar keinem Zusammenhange stehen.

Der Umstand, daß Dr. Oppel wirklich zu wiederholten Malen in der Dunkelkammer Krystalle erfaßt hat, von denen er glaubte, daß sie Licht ausströmten, spricht noch keineswegs zu Gunsten der Odtheorie. Auch gewöhnliche Menschenaugen sehen im Dunkeln Flußspat, Diamant, Chlorophan, ja selbst Glas leuchten, wenn diese vorher erwärmt oder vom Sonnenlichte beschienen worden sind. Das Wesentliche der Reichenbach’schen Odtheorie beruht aber nicht auf der Existenz simpler Gesichts- und Gefühlswahrnehmungen, sondern auf dem polaren Unterschied, den diese in Bezug auf verschiedene Enden von Magneten, von Krystallen, in Bezug auf die rechte und linke Hand zeigen sollen; kurz auf dem Unterschied zwischen positivem und negativem Od und auf dem Verhalten der beiden zu einander, wie dies oben auseinander gesetzt worden ist. Einen solchen Unterschied habe ich weder bei meinen Gefühlsversuchen, noch Dr. Oppel bei seinen Gesichtsversuchen constatiren können.




In vorstehendem Artikel habe ich einen kurzen Abriß des Wesens und der Geschichte der odischen Entdeckungen zu geben und meine eigenen Erfahrungen auf diesem Felde der strengsten Wahrheit gemäß in möglichst ruhiger und leidenschaftsloser Weise mitzutheilen versucht.

Mit Absicht veröffentliche ich diese Mittheilungen nicht in einem wissenschaftlichen Journal, sondern in einem geachteten, weit verbreiteten und von Gebildeten aller Stände gelesenen Blatte, um so dem Publicum, das in dieser Sache bereits Partei genommen hat, Gelegenheit zu geben, sich selbst ein Urtheil über den Werth oder Unwerth der odischen Entdeckungen bilden zu können.




Im Lager von Chalons.
Mit Abbildung.

Wenn mich die Erinnerung nicht trügt, war es gegen das Ende des Jahres 1855, wo der Kaiser der Franzosen die längst gehegte Idee eines stehenden Lagers in Ausführung brachte. Er wählte dazu die Ebene bei Chalons sur Marne, jenen historisch berühmten Boden der catalaunischen Gefilde, auf welchen schon im wogenden Sturme der Völkerwanderung Hunnen und Römer vor anderthalbtausend Jahren eine der blutigsten Schlachten schlugen, welche jemals von der Weltgeschichte verzeichnet worden sind. Seitdem ist selten eine hervorragende Zeitperiode verflossen, in welcher nicht Feindes- oder Freundesblut daselbst die Furchen des Landmannes düngte. Ein Lager war also hier so recht am Platze.

Für den Soldaten ist die Ebene nicht allein ein historischer, sondern auch ein classischer Boden, und das gekrönte Haupt, welches im Begriffe steht, das Leben Cäsar’s zu veröffentlichen, hat dessen stehende Lager in Gallien und am linken Ufer des Rheinstromes praktisch in’s Französische übertragen. In wiefern sich aus diesem Lager mit der Zeit eine drohende Kriegswolke entwickelt, welche den etwas abgeschmackten Gedanken der natürlichen Grenzen zu verwirklichen sucht, das wird die Zukunft lehren. Jedenfalls würden die deutschen Fürsten wohl thun, ähnliche Einrichtungen in’s Leben zu rufen, um dem Gewichte ein Gegengewicht zu geben.[1]

Einstweilen hat dieses Lager noch keine furchterregende Bedeutung, der Kaiser ist noch nicht auf dem Punkte, seine schlagfertigen Massen an den Rhein zu werfen, aber, was vielleicht eine größere Bedeutung hat, er besitzt hier eine so großartige Kriegsschule, wie es keine zweite giebt.

Bei Chalons stehen beständig 40–50,000 Mann Truppen zusammen, die dort ausgebildet und abgehärtet werden und jeden Augenblick zu politischen und kriegerischen Zwecken verwandt werden können, ohne daß eine kostbare Zeit mit Sammeln und Vorbereitungen verschwendet zu werden braucht. Ist das Lager eine allen militärischen Zwecken gerecht werdende Schule für Soldaten, Unterofficiere und Officiere, so ist dieses in einem noch höheren Grade für die Generäle der Fall. Selbst in den größten Garnisonen können solche Massen nicht zusammengelegt werden. Hier aber befinden sie sich alle auf einem einzigen Raume, unbehindert und unbeeinflußt von allen bürgerlichen Einrichtungen, welche in Städten niemals ganz vermieden werden können.

Wo könnten sich die Generäle besser ausbilden, als in einem stehenden Lager, wo ihnen die Truppen zu Massenbewegungen jeden Augenblick zu Gebote stehen? Wo böte sich eine bessere Gelegenheit, den Blick zu erweitern, sich in große Verhältnisse hinein zu leben und sich für den Zeitpunkt vorzubilden, wo eine prompte Bewegung solcher Massen die Entscheidung in die Wagschale wirft?

Der französische Soldat ist an und für sich schon ein muthiger Kämpfer und übertrifft an Behendigkeit seine Handwerksgenossen im Süden und im Norden, im Osten und im Westen. Was ihm an Ausdauer abgeht, sucht das Lager zu ersetzen, indem es ihn in allen Verhältnissen abhärtet und in eine dauernde Kriegsbereitschaft einlebt. Daß unter solchen Umständen auch der soldatische Geist wächst, das Gefühl der Zusammengehörigkeit Bande um das Heer schlägt, die eine nachhaltige Wirkung ausüben, wenn es gegen den Feind geht, daß dann die solidarische Gemeinsamkeit sich ebenbürtig neben den Patriotismus und die Ehre stellt, brauche ich wohl kaum zu erwähnen.

Das Lager steht, etwa 5 Stunden von Chalons entfernt, in einer wellenförmigen Ebene. Nirgends behindern hervorragende Höhen den Blick; mit bloßem Auge kann man zuweilen die dunkeln Thürme der alten ehrwürdigen Stadt Rheims sehen, an deren Kathedrale sich so viele politisch und historisch wichtige Ereignisse knüpfen. Die Gegend ist kahl und einförmig, nur im weitern Umkreise zeigt sich einige Waldung; obschon es ziemlich mitten in der weinreichen Champagne liegt, so fehlen dennoch die Weingärten in diesem Theile der Ebene.

Erhält das Lager durch seine Entfernung von den Städten eine natürliche Isolirtheit, so ist es außerdem auch noch durch strenge Verordnungen von allem bürgerlichen Verkehr abgeschnitten. Niemand

  1. Wir können diesem Artikel gegenüber den Wunsch nicht unterdrücken, daß von den maßgebenden Stellen Deutschlands aus das Lager von Chalons mit sehr ernsten Blicken betrachtet werden sollte. Niemand kann verkennen, daß dem deutschen Soldaten ganz genau gerade das vollkommen fehlt, was dem Franzosen hier in so vollkommenster Weise zu seiner echten kriegerischen Ausbildung geboten ist. Möchten wir nicht abermals „zu spät“ gemahnt werden, ein solches Muster nicht unnachgeahmt zu lassen; die Ersparung der dazu nöthigen Kosten konnte uns in nächster Zeit leicht außerordentlich theuer zu stehen kommen.           A. d. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 636. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_636.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)