Seite:Die Gartenlaube (1863) 652.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

andern Ufer Gebliebenen bald das Echo des gellenden Geschreis aus hundert und aber hundert Kehlen, das weit hinüberschallte und wiederhallte.

Begleitet von einigen Wenigen gelang es mir auf weitem Umwege in einem Weiler ein Boot uns dienstbar zu machen, und wir langten nach Verlauf von anderthalb Stunden auf dem Kampfplatze an, wo die Aufregung der Zuschauer sich bereits zu völliger Raserei erhitzt hatte. Dumpf fielen die Faustschläge der Combattanten – aber nur in langen Pausen, denn Jeder überbot den Andern im Pariren, Ausweichen und in Finten jeder Art. Die umringende Masse, ungeduldig darauf, Blut zu sehen, überhäufte Goß mit unbeschreiblichen Schimpfwörtern, „weil er davon laufe“ – „keine Courage zeige“ – alles in der Absicht, ihn an eine Stelle zu locken, wo ihn möglichenfalls ein tödtlicher Schlag treffen könne. Vierzehn Stunden der Aufregung und – noch kein Blut. Das war unerhört in der „Kunstgeschichte!“ Und soviel dürstende T– in Menschengestalt harrend – schwörend – höhnend! Mace’s rechtes Auge war bereits fast geschlossen und auf Goß’s breiter Brust brannten die rothen Fingerspuren seines Rivalen, während auf seiner Stirn ein dunkler Blutstropfen sichtbar wurde.

„Erstes Carmin für Mace!“ rief der Schiedsrichter, der auf einer Schütte Stroh saß, mit eintöniger Stimme.

Oft rangen die Kämpfer mit einander bis zur Erschöpfung, und nicht weniger als fünf Mal mußten sie zu den Feldstühlen getragen werden, bis jedes Mal der „Unparteiische“ sie wieder aufrief mit seinem monotonen Geschäftston: „Zeit ist um, Gentlemen!“

Mace, die Arme kreuzend, verfolgte mit dem Ausdruck diabolischer Verachtung alle die tänzelnden Rundgänge, mit welchen sein Rival ihn zu einer Bloßstellung verlocken wollte. Das währte Viertelstunde um Viertelstunde. Dämmerung erschien schon auf den westlichen Hügeln. Die Wuth der Ungeduld unter den Zuschauern überstieg alle Grenzen. Die Sorge, daß eintretende Dunkelheit das grausame Schauspiel unterbrechen werde, malte sich auf allen Gesichtern, in den blutunterlaufenen glotzenden Augen, in den Ausbrüchen drohenden Grimmes. „Geht drauf! Geht drauf!“ gellte, brüllte, keuchte, dröhnte und zischte es in hundertfacher Modulation. Noch immer drehten sich die Kämpfer im Kreise.

„Jetzt!“

„Geht drauf!“

Goß holte aus zu einem vernichtenden Schlage, aber wurde in demselben Momente mit Blitzesschnelle durch einen krachenden Faustschlag unter der Kinnlade besinnungslos zu Boden geschmettert. Er fiel vornüber und – „er ist todt!“ brauste es ringsum unter unermeßlichem Jubel. Vergeblich schienen alle Wiederbelebungsversuche. Noch konnte er „die Ehre des Tages“ retten, wenn er sich aus der Ohnmacht erholte.

„Zeit ist um!“ tönte es dumpf von dem Munde des Schiedsrichters.

„Ich gebe ihm fünf Minuten Ueberzeit,“ erwiderte der Sieger, unbeweglich auf die Scene blickend.

Wiederum eine schauerliche Pause. Der Getroffene schlug die Augen auf, versuchte zu stammeln und sich aufzurichten, doch vergebens!

„Zeit ist um, Gentlemen!“

Hurrah für Mace! Drei Cheers für den Champion von England. Aber nicht höllisches Jauchzen allein, nicht dröhnendes Beifallklatschen nur belohnte Mace, den Sieger, der soeben tausend Pfund Sterling gewonnen, sondern man umarmte ihn, man bedeckte ihm Gesicht und Schultern mit Küssen, wie einem enthusiastisch geliebten Halbgott. Und das Alles, während auf der anderen Seite ein Mensch, der nur um Haaresbreite dem Tode entgangen, betäubt und blutend davongeführt wurde.

Man trug den Champion von England auf den Schultern aus dem Ring, in jubelnder singender Procession – Gentlemen von Rang, ja richterliche Beamte darunter, vermischt mit Rowdies und Vagabunden, Alt und Jung, der elegante Rock vom feinsten Tuch neben der Jacke des Stallknechts. Allgemeine Verbrüderung!

Und in London erwarteten zehntausend Neugierige die Heimkehrenden mit donnerndem Beifallsruf. Das Portrait des Siegers – der Bericht in den Zeitungen ging am nächsten Tage von Hand zu Hand, und die edle Boxkunst hatte einen neuen Triumph gewonnen.[1] F. B.




Die Geschichte des Hussensteins in Constanz.

Wenn vor Zeiten ein Wanderer in die alte Conciliumsstadt Constanz kam und nach dem Platze fragte, wo „Huß“ und „Hieronymus“ verbrannt wurden, und wenn er dann endlich auf eine unbestimmte Angabe hin, nach langem Suchen und Fragen auf die muthmaßliche Stätte gelangt war, so mußte ihn ein Gefühl tiefer Wehmuth bei dem Gedanken erfassen, daß noch nicht einmal ein einfacher Denkstein die Stelle bezeichnet, auf welcher ein Huß und Hieronymus, um der Wahrheit willen, sich einem qualvollen Flammentod freiwillig unterzogen haben. Zunächst mußte ihn ein schmerzliches Gefühl gegen die Bewohner von Constanz selbst einnehmen; denn wenn es gleich Sache der ganzen Menschheit war, durch die Errichtung eines großartigen Monumentes auf dem Grabe dieser Märtyrer darzuthun, daß ein milderer Geist in ihr lebe, daß jene Zeiten einer unbeschränkten Priesterherrschaft vorüber seien, in welcher eine brutale Geistesknechtung jeden Aufschwung der Seele mit Feuer und Schwert vertilgte, so war es nach seiner Meinung doch zunächst an der Stadt Constanz, kund zu geben, wie tief es die Enkel beklagen, daß ein so schreckliches Ereigniß in ihren Mauern und zugleich unter der thätigen Mitwirkung ihrer Voreltern geschehen konnte. Schon Mancher mag daher, wenn er Hussens Grab vergeblich gesucht hatte, mit stillem Groll im Herzen den Staub von den Füßen geschüttelt haben, sobald er die Thore der alten Stadt im Rücken hatte. Er that ihr gewiß Unrecht; denn erstlich konnte er sie nicht dafür verantwortlich machen wollen, daß das Concilium in ihr gehalten wurde, dann war ihm aber wahrscheinlich auch unbekannt, daß schon vor vielen Jahren einzelne Bürger, darunter der unvergeßliche Bürgermeister „Hüetlin“, durch die beabsichtigte Errichtung eines würdigen Denkmales die alte Schuld zu sühnen gedachten, wenn etwa eine auf der Stadt ruhen sollte, daß sie aber in der Ausführung ihres edlen Unternehmens durch höhere Weisung verhindert wurden. Zur Ehrenrettung der Stadt Constanz und ihrer Bewohner, zum rühmlichen Andenken ihres hochherzigen verstorbenen Bürgermeisters Hüetlin, sowie zur Geschichte des Hussendenkmales sollen daher diese durch fremden Druck vereitelten Bestrebungen hier ihre Darstellung finden.

Im Anfange des Jahres 1834 traten sieben der angesehensten Bürger von Constanz, darunter drei Gemeinderäthe und der damalige Bürgermeister Hüetlin, zu einem provisorischen Comité zusammen und erließen nachstehende drei Schreiben, deren Inhalt zugleich zur Aufnahme in öffentliche Blätter von Deutschland, Frankreich, England und der Schweiz bestimmt war:

„An die wohllöblichen Magistrate von Prag, Hussinecz und Tabor.

Vier Jahrhunderte und die weltumgestaltenden Erfolge der Kirchenreformation Luther’s haben über Johann Huß und Hieronymus von Prag, sowie auch über Sigismund und sein gebrochenes Geleite gerechter gerichtet, als das Concilium zu Constanz in den Jahren 1415 und 1416.

Die Flammen der Verketzerungswuth haben in unsäglichen Qualen die Leiber dieser beiden Männer verzehrt, und vieljährige Stürme des Krieges und Ströme von Blut haben bald darauf die Nationen gegeißelt; aber die Nachwelt und die Geschichte, leidenschaftslos und gerecht, verehren diese starken Geister als erste Vertheidiger der Gewissensfreiheit und als Vorkämpfer der großen kirchlichen Reformation.

Kriegshelden, Staatsmänner, Gelehrte und Künstler aller Arten, Napoleon, Luther, Canning, Schiller, Goethe, Guttenberg, Dürer und Keppler haben ihre Denkmale, welche der Nachwelt wichtige Momente ihres Lebens und Wirkens bezeichnen, oder den Ort, wo ihre Asche ruht.

Aber kein Denkstein bezeichnet bis heute die Stelle, wo Huß

  1. Zu der Empfehlung einiger Zeitschriften, das Boxen in die deutschen Turnvereine einzuführen, giebt der vorstehende Artikel eine sehr angenehme Illustration. D. R.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 652. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_652.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2020)