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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

aber auf Huß und Hieronymus bezügliche Schriften, sowie ein Actenstück über den Hussenstein selbst, und das Verzeichniß der Comitémitglieder. Auf den Grundstein wurde der Block, so wie er war, gebracht, nur schliff man die nördliche und südliche Seite desselben auf einer kleinen Fläche, um die Inschriften „Johannes Huß“ und „Hieronymus von Prag“, sammt dem Todestage beider Märtyrer anzubringen. Der Platz wurde eingefriedigt, und bald werden zwei kräftige Linden das denkwürdige Fleckchen Erde überschatten.

So ist endlich den beiden Männern auf der Stelle, wo sie für Licht und Wahrheit ihren letzten Kampf gegen Finsterniß und Barbarei mit ungebeugtem Heldenmuth kämpften, ein einfaches Denkmal gesetzt, genannt „Hussenstein“. Es ist nicht kostbar, es ist nicht großartig, aber es ist umstrahlt von dem Märtyrerglanze eines Huß und Hieronymus, es ruht so sicher und fest auf der Flammenstätte, als die Namen Huß und Hieronymus in den Herzen der Menschen leben.





Blätter und Blüthen


Das letzte Autodafé. In der Restaurationszeit der zwanziger Jahre wurde auf Betrieb des Pater Cyrillo, welcher den größten Einfluß auf den König Ferdinand ausübte, im Staatsrathe ein Gesetzentwurf zur Wiederherstellung der Inquisition in Spanien beschlossen, um, wie es in der Adresse an den König hieß, den Umtrieben der Liberalen einen undurchdringlichen Damm entgegenzusetzen. Die Stadt Valencia ward zum Hauptsitze dieses furchtbaren Glaubensgerichts bestimmt, welches, durch keinen einzigen ordentlichen Richter besetzt, nur aus Priestern bestand, einem Präsidenten, dem Generalvicar Torranzo, einem Fiscal, einem Secretair und sieben Räthen. Kaum war dasselbe in Kraft getreten, so füllten sich auch schon die schaurigen Räume des Gefängnisses, welches im Innern des bischöflichen Palastes sich befand. Das Verfahren des Gerichts war ziemlich genau nach dem Vorbilde des alten Inquisitionsgerichts unter Philipp II. eingerichtet. Der Unglückliche, welcher den Harpyien desselben in die Krallen fiel, wußte nicht, wer sein Ankläger war, durfte zum Beweise seiner Unschuld keinen Zeugen herbeibringen und war für immer von der Außenwelt abgeschlossen. Das Verhör wurde in verfängliche Fragen eingekleidet, verbunden mit Versprechungen und Drohungen, und der Vertheidiger wurde dem Beklagten von den Unholden selbst bestimmt. Bei gefällter Todesstrafe übergab man das Urtheil und den Verurtheilten dem weltlichen Criminalgerichte, welches die Execution zu vollziehen hatte.

Ein solches Todesurtheil wurde im Jahre des Heils 1826 an einem Catalonier Namens Ripoll, wahrscheinlich dem aufgeklärtesten Manne in Spanien, vollzogen. Der Unglückliche war Vorstand einer von ihm selbst errichteten Privatschule, und hatte die unvorsichtige Behauptung ausgesprochen, daß Christus kein Gott, sondern nur ein Mensch gewesen sei. Nach dem Bekanntwerden dieser Aeußerung wurde Ripoll der allerärgsten Ketzerei, der Gotteslästerung angeklagt und in die Gefängnisse der Inquisition gesteckt. Dort ließ man ihn über ein Jahr zwischen feuchten Kerkerwänden schmachten, bis er, von Ungeziefer zerfressen, in stillen Wahnsinn verfiel.

In diesem Zustande kam er in’s Verhör.

Torranzo, der Präsident, legte ihm verschiedene Kreuz- und Querfragen vor und forderte ihn auf, seine Meinung über Christus zu äußern. Der arme geistesschwache Mensch wußte nicht zu heucheln. Er sprach, wie es ihm um’s Herz war, und seine Antwort fiel so ketzerisch wie möglich aus. Da stürzte der feiste Pfaffe mit Tigerwuth auf den ausgehungerten Gefangenen los, schlug ihn zu Boden, trat ihn mit Füßen und rief wie einst der Hohepriester: „Er hat Gott gelästert, was brauchen wir weiter Zeugniß!“

Einstimmig wurde das Todesurtheil über Ripoll ausgesprochen, der nun, mit Ketten belastet, dem nicht minder glaubenswüthigen weltlichen Gerichte überliefert wurde.

Nun folgte das Autodafé, ein Schauspiel, würdig eines Philipp’schen Zeitalters, ein Schauspiel, welches nur den verthiertesten Pöbelschaaren und dem verkommensten Pfaffengezücht einen Kitzel bereiten und Genugthuung verschaffen kann. Bis zur Stätte der Hinrichtung waren alle an den Wegen und Stegen befindlichen Heiligenbilder mit Schleiern verhüllt. Die Brüderschaft der Büßenden von der Mutter Gottes schritt dem Zuge voran, in dessen Mitte sich das unglückliche Opfer, auf einem Esel reitend, befand. Neben ihm trug man eine Tonne, die mit Flammen und Teufeln bemalt war. Die Büßenden von der Mutter Gottes, so wie die andern Heere von Mönchen ließen es sich angelegen sein, die an und für sich schon aufgeregte ungeheure Menschenmenge, die zum Richtplatz hinausströmte, zum wildesten Fanatismus aufzustacheln.

Zwischen zwei Kreuzen stand auf dem Schaffot der Galgen. Doch die Kreuze durften durch die Gegenwart des Gottesleugners noch weniger entweiht werden, als die Heiligenbilder an den Wegen; sie wurden deshalb bei seiner Ankunft fortgenommen. Das Volk, dessen Glaubenswuth, angestachelt durch die siegestrunkenen Mönche, zur wildesten Raserei ausartete, brüllte ohne Aufhören: „Verbrennt ihn! verbrennt ihn!“ – Wer erinnert sich dabei nicht sofort an das „Kreuzige! kreuzige ihn!“?

Betäubt und fast bewußtlos langte der arme Wahnsinnige auf dem Schaffot an, und er wird es, wenn sein Denkvermögen noch so weit reichte, als eine große Wohlthat betrachtet haben, als der Henker ihm die Schlinge um den Hals legte und ihm dann auf den Nacken sprang.

Während dies geschah, sah man rechts und links Feuerflammen emporzischen, damit es den Auschein haben sollte, als würde er in Wahrheit verbrannt. Die Leiche warf man sodann in das Faß und wälzte es in die Fluthen des Guadalaviar, wo man dieselbe einige Male untertauchte und darauf der Brüderschaft der Büßenden übergab, die den Leichnam in ungeweihte Erde begrub. – Solches geschah im „schönen Land des Weins und der Gesänge“ im Jahre 1826.

Dr. W. A. 





Geizhälse unter den Ameisen. Daß viele Thiere eine große Vorliebe für mancherlei buntfarbige oder glänzende Gegenstände haben, und dieselben lediglich zu ihrem Vergnügen in ihre Wohnungen und Nester zusammentragen, ist bekannt, und wir haben in den Elstern, Dohlen und Raben ganz in unserer Nähe sprechende Beispiele davon. Einige Ameisenarten gehören auch dazu, und zwar wissen gerade sie ihr Augenmerk auf diejenigen Körper zu lenken, welche auch von den Menschen ihrer Seltenheit und Schönheit wegen für besonders kostbar gehalten werden. Schon das classische Alterthum und die alte indische Literatur kennt die Sage von goldhütenden Ameisen, und dieselbe hat, wie aus den Beobachtungen neuerer Reisenden hervorgeht, einen wirklichen Grund. Der bekannte Reisende Möllhausen fand bei den Zuñi-Indianern sehr schöne Granaten als Schmuckgegenstände, und er berichtet, daß sich dieselben in Erdhügeln fänden, die von einer großen Ameisenart zusammengetragen werden. Bei großer Kälte ziehen sich die Thiere tiefer in die Erde zurück, und man kann dann durch Zerstörung jener Haufen die bunten Edelsteine in der Sonne glänzen sehen. Auch Humboldt bestätigt, daß er in den basaltreichen Gegenden des mexicanischen Hochlandes glänzende Körner von Hyalith, einem weißen, durchsichtigen Steine, die von Ameisen in ihren Nestern gesammelt worden waren, aus den Ameisenhaufen aufgelesen habe. Fragt man, zu welchem Zwecke die emsigen Thierchen das für sie doch schwer zu bewältigende Material mühevoll in ihren Kammern bergen, so müssen wir die Antwort schuldig bleiben. Farbe und Glanz der bunten Steine und der glitzernden Goldblättchen können sie ja nicht erfreuen, denn es gehört der Strahl der Sonne dazu, im Finstern erscheint ein Edelstein nicht anders als ein gewöhnlicher Kiesel. Sollten sich die Ameisen als echte Geizhälse am Besitz erfreuen, daß sie dasjenige immer um sich zu haben wünschen, was ihnen Gefallen verursachte, als es ihnen zuerst im Lichte entgegenglänzte? Das würde auf eine Seelenthätigkeit, auf ein Urtheil, auf eine Vorstellung von der Zeit schließen lassen, die uns höchst merkwürdig erscheinen müßte, und die den Versen Goethes eine gewisse wirkliche Bedeutung unterlegen würde, wenn er im Faust den Chor der Ameisen auftreten läßt:

Ihr Zappelfüßigen,
Geschwind nach oben!
Behendest aus und ein!
In solchen Ritzen
Ist jedes Bröselein
Werth zu besitzen.
Das Allermindeste
Müßt ihr entdecken
Auf das Geschwindeste
In allen Ecken.
Allemsig müßt ihr sein,
Ihr Wimmelschaaren;
Nur mit dem Gold herein!
Den Berg laßt fahren.





Friesischer Gesetzspruch. Wenn wir unsere jetzigen juristischen Bücher durchlesen, so finden wir Alles, nur keine schöne oder gar poetische Form. Wie hoch dichterisch klingt dagegen ein Spruch des friesischen Rechtsbuches: eine Formel der drei Hauptnöthen, in denen die Mutter des unmündigen Kindes Erbe verkaufen darf, um dessen Leben zu fristen. Es heißt dort: „Dies ist die erste Noth: So ein Kind gefangen und gefesselt wird nach Norden über das Meer oder nach Süden über den Berg, so soll die Mutter des Kindes Erbe versetzen und verkaufen, damit sie ihr Kind löse und ihm das Leben friste. Die andere Noth ist: Wenn ein böses Jahr wird und der heiße Hunger über das Land fährt und das Kind Hungers sterben will, so soll die Mutter ihres Kindes Erbe versetzen und verkaufen und ihm davon kaufen Kuh und Korn und die Dinge, womit sie sein Leben friste. Die dritte Noth ist: Wenn das Kind stocknackend ist oder hauslos und die nebeldüstre Nacht und der nordkalte Winter über den Zaun steigt, wenn der Menschen jeglicher in seinen Hof und sein Haus fährt, und das wilde Thier den hohlen Baum und der Berge Obdach sucht, allda es sein Leben behalte; so weint das unmündige Kind und wehklagt über seine nackten Glieder und über seine Hauslosigkeit und über seinen Vater, der es schützen sollte gegen den kalten Winter und den heißen Hunger, daß er so tief und so dunkel unter der Eiche und unter der Erde umschlossen und bedeckt liegt. Dann soll die Mutter des Kindes Erbe versetzen und verkaufen, dessen Pflege und Pflicht sie hat, so lange das Kind unmündig ist.“

W. K.


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