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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

beim Geläute während der Wandlung den Hut zum Beten abnahmst; hätte ich Dich schädigen wollen, es wär mir ein Leichtes gewesen. Leg das Gewehr ab, siehst Du, auch ich lehne das meinige an diesen Steinblock, ich bin gekommen, um mit Dir friedlich zu reden.“

Erstaunt that Stanis, wie der Alte verlangt, und trat zu ihm.

„Ja, Stanis,“ begann dieser, „ich hab’ mit Dir lang schon reden wollen und eine schickliche Gelegenheit erwartet, jetzt ist sie da, und meine Worte machen vielleicht Eindruck auf Dich, weil wir hier Gott näher stehen und uns Niemand hört als Engel und Heilige, die heut aus dem weit offenen blauen Himmel niederschauen. Du brauchst mir nicht zu sagen, wer Du bist und was Du bisher verübt hast, ich kenne Dich und Du kennst mich. Auch Dein Vater hat mich gekannt und 1809, wo ich gefangen und verwundet bei ihm auf dem Peinstroh lag, gepflegt wie ein Christ den andern. Er ist jetzt todt, ich hab’ jedoch nicht vergessen, was ich ihm schuldig bin, sondern für ihn gebetet und eine Seelenmesse lesen lassen. Jetzt will ich an Dir vergelten, was er an mir gethan, und an seiner Statt Dir in das Gewissen reden. Willst Du ihm noch in der Grube Schande machen? Wie durch ein Wunder bist Du letzthin entronnen; vielleicht säßest Du jetzt im Zuchthaus und dächtest dort über das siebente Gebot nach; laß es Dir zur Warnung sein und bändige Deine wilde Lust. Ich weiß, zuverlässige Zeugen haben es mir bestätiget, daß Du sonst Jahr aus Jahr ein brav bist, und in Deinem Handwerk als Büchsenmacher unverdrossen arbeitest, nimm Dich zusammen und gelob der Mutter Gottes zum Dank nie mehr zu wildern. Es ist Diebstahl“ – Stanis fuhr auf – „ja Diebstahl, wie ein anderer. Du würdest Dich schämen, von einem Bergmahd auch nur eine Handvoll Heu fortzutragen, und doch läßt es der liebe Gott wachsen ohne Zuthun des Menschen. Wenn Du nachdenkst, kannst Du Dich bei der einfältigen Ausrede, das Wild sei für jeden, der es erlegt, nicht beruhigen. Siehst Du dort den Bach, der durch das Thal rinnt? Kehr’ ihn ab, so werfen Dir die Müller wegen Verletzung des Eigenthums einen Proceß an den Hals, und was ist freier als das Wasser? – Du bist noch jung, Stanis, es wär’ schad’ um Dich! Es ist mir nicht entgangen, in Deiner Brust lebt noch ein edler Funke, blas’ ihn nicht selber aus, ich beschwör’ Dich beim Grabe Deines Vaters, ich bitte Dich bei Deinem eigenen leiblichen und geistigen Wohl!“

Stanis war so erschüttert, daß er kein Wort zu stammeln vermochte.

„Willst Du mir folgen? Schlag ein und zieh’ in Frieden!“ Er hielt mit einem milden, treuherzigen Blick die offene Hand hin.

„Ja, ich will!“ rief Stanis, der sich indeß gesammelt hatte, „ich will, aber stell’ Du, nachdem Du so viel für mich gethan, auch noch den Engel an meine Seite, der mich vor jeder Versuchung schirmt.“

„Der Schutzengel hat Dich ja nie verlassen, das beweist Alles, was Dir widerfahren ist.“

„Ich mein’ das Stinele!“ sagte Stanis tief aufathmend.

„Das Stinele? Nu, Du hast eine spaßige Manier, um ein Mädel zu werben. Uebrigens müßt’ noch die Mutter und hauptsächlich Stinele Ja sagen.“

„Die hat schon Ja gesagt!“

„Hm!“ brummte der Alte, „hält’ mir’s doch denken können, daß sie verschossen ist! So ist’s aber mit den Diendeln. Sind Alle gleich, Eine verdreht wie die Andere.“ Er wendete sich wieder zu Stanis. „Das Gernhaben gehört freilich zur Heirath, aber auch noch viel Anderes. Du bist der zweite Sohn, wirst schon ein Bischen was haben, ein Bischen kriegt Stinele, wenn ich die Augen zudrücke, von mir, das ist aber zu wenig.“

„Hab’ ich nicht gesunde Glieder zum Arbeiten? die Büchsenmacherei trägt auch etwas, und ein Gesell’ wird endlich Meister!“

„Endlich! wär’ schon recht! Wenn Dir gar so ernst ist, weiß ich aber etwas Anderes. Meld’ Dich beim Forstamt, dort braucht man Leute, und Du wirst vielleicht bald als Gehülf’ angestellt. Bist noch jung, Stinele und Du könntet einige Jährchen warten, unterdeß bringst Du’s zu einem bessern Brod und dann meinetwegen Amen. Aber brav sein mußt’.“

„Auer, da hast meine Büchse, ich will sie nimmer anrühren, bis Du mir sie selber giebst. Jetzt müssen wir aber zum Stinele und ihr die Neuigkeit melden, das arme Mädel hat sich viel gekümmert.“

„Ei der Teufel, Du hast Eil’! Den Schießprügel magst’ übrigens selber tragen, auch ist’s bald Mittagszeit; die Alte hat schon so viel gekocht, daß Du mithalten kannst.“

Sie suchten den nächsten Weg, Stanis wollte immer vorwärts über Stock und Block, sonst werde die Suppe kalt.

„Du bist doch der gleiche Trottel, wie ich’s gewesen bin,“ bemerkte der Förster, „laß Dir nur Zeit, die Alte richtet nicht an, bis wir drunten sind, und das Diendl wird derweil auch nicht kalt.“

Stinele pflückte im Garten Blumen und Kräuter, wie erschrak sie, als sie Beide daherkommen sah! Kaum traute sie ihren Augen, was mußte vorgegangen sein! War Stanis gefangen? Dann würden sie schwerlich so friedlich miteinander reden, er böte ihr nicht von Weitem ein lachendes „Grüß Gott!“ Während der Vater in das Haus ging, seiner Alten Bericht zu erstatten, trat er in den Garten und schüttelte ihr die Hand, unbekümmert um die ganze Nachbarschaft, als ob alle Vettern und Basen bereits wüßten, wie es zwischen ihnen gemeint sei. „Laß jetzt das Kranzelflechten für Allerseelen,“ rief er fröhlich, „Nachmittag helf ich, da geht’s schneller, mir steckst noch einen Büschel Blumen auf den Hut.“ Nun erzählte er ihr unter lustigem Schäkern Alles, was geschehen und wie sie sich nun der ganzen Welt als Brautleute zeigen dürften.

Das Mädchen senkte ungläubig den Kopf, ihr schien sein ganzes Gerede ein kindisches Märchen, sie zu äffen; ein schöner Traum, aus dem man in eine schreckliche Wirklichkeit erwacht. Da stieg der Vater über die Treppe, das Mütterchen begleitete ihn, sorgsam mit der Schürze die Hände wischend, an den rußigen Küchenzettel auf der Wange dachte sie gar nicht, ihre Züge waren sonnenhell und heiter. „So laß ich es mir gefallen, Stanis,“ sagte sie herzlich, „wenn Du so in das Haus kommst!“

Stinele perlten die Freudenthränen auf das Busentuch. „Ist’s wirklich so?“ rief sie erstaunt.

„Ja, ja, es ist so,“ erwiderte der Alte, „ich hoffe, Stanis thut in Zukunft gut!“

„Ganz gewiß!“ meinte Stanis, „Stinele, da heb’ Du meine Büchse auf, bis ich ordentlich angestellt bin und sie von Rechtswegen tragen darf.“

„Jetzt ratscht aber nicht bis morgen,“ unterbrach ihn Auer, „ich möchte eine Suppe, und die Dienstboten passen auch schon lang und können nicht von der Lieb zehren!“

„Derweil die Mutter anrichtet,“ sagte Stanis, „binden Stinele und ich einen schönen Strauß, heut’ gehört einer auf den Tisch.“

Die Alten kehrten in das Haus zurück, das junge Paar flatterte wie Schmetterlinge von Aster zu Aster, von Nelke zu Nelke, und wenn es sich in die von Ranken umsponnene Laube verlor, so wird es wohl nicht blos Blumen, die der Reif verschont, sondern auch einige Küsse gepflückt haben. Wenigstens erzählte man so im Wirthshaus zur Glashütte, wo die Jäger den Burschen aufzogen und föppelten. Der aber sang:

Eine andere Mutter
Hat auch ein schön’s Kind.


Es sind einige Jahre verflossen, der Leser begleitet mich wieder in eines der zahlreichen waldigen Seitenthäler. Unter den Bäumen erhebt sich ein zierliches Häuschen aus braunen Balken mit einem hölzernen Hirschkopf über dem Söller, den Astern, Kapuzinerkresse und Windling schmücken; das Geräusch unserer Tritte auf dem steinigen Wege ruft ein schönes, junges Weib heraus, ein starker Bube hängt an ihrer Schürze, auf dem Arme trägt sie ein herziges Mädchen.

„Das ist nicht der Großvater,“ sagt sie zu den ungeduldigen Kleinen und will umwenden.

„Wohnt hier der Forstwart Stanis?“

„Ja,“ erwidert sie freundlich, „er muß in einem Viertelstündchen kommen, er ging dem Vater entgegen, den wir heute erwarten. Wollen Sie nicht eintreten?“

Kehren wir ein, es ist ein Bild des reinsten Friedens und der Liebe, welches sich vor uns entrollt, und da naht auch Stanis und Auer. Schließen wir unsere Idylle in der Wildniß mit ihrem herzlichen:

Grüß Gott!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 660. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_660.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)