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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Bennigsen und Colloredo dem rechten Flügel der Schlachtlinie zuzuführen angewiesen und im Begriffe waren.

Napoleon verbrachte die Nacht vom 16. auf den 17. October in seinem hinter Wachau an der Straße nach Borna aufgeschlagenen Zelte. Er glaubte, als er am Abend dort vom Pferde gestiegen, noch immer an die Möglichkeit des Sieges. Der Mann, dessen frühere Gabe und Kunst, den Menschen allerlei Phantasmen von Gloire und dergleichen Seifenblasen mehr vorzugaukeln, während er selber Dinge und Menschen sah, wie sie sind, längst zum Selbstbetrug umgeschlagen war, hegte noch am Abend des 16. Octobers die kaiserwahnsinnige Illusion, er habe es allfort in der Hand, über Krieg oder Frieden zu entscheiden. Da kam die Hiobspost von Möckern. Jetzt machte der Empereur, dessen Zuversicht durch diese Botschaft sehr gedämpft werden mußte, mittelst Absendung des gefangenen Generals Merveldt den bekannten Waffenstillstands- und Friedensversuch beim Kaiser Franz, welcher Versuch aber vollständig scheiterte, weil selbst Finassirer Metternich den kriegerischen Gang der Entscheidung der Dinge jetzt nicht mehr aufhalten zu wollen wagte. Als am 17. bis gegen Abend zu auf Merveldt’s Sendung von Seiten der Verbündeten gar keine Antwort erfolgte, „verkroch“ – wie Augenzeuge Odeleben berichtet hat – der Schlachtendonnerer sich in sein Zelt, es mehrten sich im Hauptquartier die „finsteren Gesichter, und sprach man unverhohlen von der Nothwendigkeit des Rückzugs.“ Es war dafür gesorgt, daß der Kampf am 18. October, zu welchem man am 17. beiderseitig sich rüstete, auf Seiten der Franzosen nur ein Kampf um den Rückzug sein konnte. Aber es ist mit gutem Grund anzunehmen, daß die entschiedene Niederlage, welche Napoleon am dritten Schlachttage erfuhr, geradezu eine Vernichtung hätte werden müssen, falls Schwarzenberg von der erdrückenden Uebermacht, welche ihm am 18. October zur Verfügung stand, richtig und entschlossen Gebrauch gemacht hätte. Ist es doch notorisch, daß er von seiner Streitmacht 100,000 oder sogar 120,000 Mann gar nicht in’s Feuer brachte, und hieraus erklärt es sich, wie es zuging, daß die Franzosen noch gegen 90,000 Mann stark am 19. October ihre Flucht bewerkstelligen konnten.

Der alte Blücher hatte sich am 17. Octbr. schon frühzeitig wieder an seine widernapoleonische Arbeit gemacht, indem er, während das gestern arg mitgenommene Corps York’s in Möckern sich wieder in Stand setzte, durch die herbeigezogenen Heerhaufen Sacken’s und Langeron’s Alles, was von Franzosen noch auf der Nordseite von Leipzig zu finden war, in’s Weichbild der Stadt zurücktreiben ließ. Kam dann ein Bote Schwarzenberg’s daher geritten, kühn mitten durch die feindlichen Stellungen hindurch gesprengt, der glänzende ungarische Husar Stephan Széchenyi, nachmals so berühmt geworden und eines so mitleidswerthen Todes gestorben. Der meldete dem Blücher zu Mockau von Seiten des Generalissimus, daß dieser am morgigen Tage den Feind mit aller Macht – (leider in Wahrheit nicht mit aller Macht!) – angreifen werde und ein Gleiches auch von dem Blücher’schen und dem Bernadotte’schen Heer erwarte. „Ja, ja,“ blücherte der alte Recke, „an mich soll’s nicht fehlen. Was aber den Millionenhund von Juden oder Zigeuner angeht, den Bernadotte, den kriege der Teufel rann uff det champ de bataille!“ Er hat ihn aber dann doch, wie bekannt, „rann“ gekriegt, der Alte, obzwar nur mit großer Selbstüberwindung und Selbstverleugnung und nur weil der Gascogner zweifelsohne merkte, daß die ihm unterstellten preußischen Generale und Soldaten entschlossen waren, auch gegen den Willen ihres Feldherrn bei Leipzig am 18. October mit zu kämpfen und mit zu siegen, wie sie trotz ihm bei Großbeeren und Dennewitz gestritten und gesiegt hatten. Gab doch einem vertrauten Boten Blücher’s am 17. October der brave Bülow zur Antwort: „Bei meinem Wort, ich werde jedenfalls mannhaft zu meinen Landsleuten und Waffenbrüdern stehen und unbedingt mitschlagen!“

Nachdem der alte Recke erst in der Morgenfrühe des 18. Octobers durch energisches Durchgreifen schließlich alle Ränke und Schwänke Bernadotte’s beseitigt hatte, war das ungeheure Streiternetz vollendet, welches um den Völker-Nimrod zusammen gezogen werden sollte und wirklich zusammengezogen ward. Leider nicht so nachdrücklich, daß ihm nicht noch eine Oeffnung, die über Leipzig gen Weißenfels, zum Entschlüpfen offen geblieben wäre. Am Abend des 17. hatte selbst sein grenzenloser Hochmuth sich eingestehen müssen, daß es unmöglich länger mit 145,000 Mann das Feld gegen 300,000 Feinde behaupten zu wollen, und daß es sich nur noch darum handeln könne, den Rückzug zu erstreiten. Darauf zielte sein Schlachtplan für den 18. October, und man hat daher die Schlacht von diesem Tage, obgleich sie die riesenhafteste und blutigste der neueren Zeiten, mit Fug ein bloßes „Arrièregardegefecht“ genannt. Die französische Schlachtordnung war so, daß die Corps, welche bislang auf der Südseite der Stadt gekämpft hatten, auf dem Plateau von Probstheida sich zusammenschlossen und nördlich und östlich Marmont und Ney den rückwärts gebogenen Kreis verlängerten, welcher in einer Ausdehnung von zwei Stunden dem Feinde überall und so lange die Stirn bieten sollte, bis bei allmählicher Verengerung des Kreises ein Theil desselben nach dem andern über Leipzig und Lindenau sich abziehen könnte. Die Verbündeten ihrerseits wollten auf der Südseite der Walstatt in drei Angriffssäulen gegen die feindliche Stellung vorgehen, während auf der Ostseite das Nordheer unter Bernadotte und auf der Nordseite Blücher den Kampf zu führen hätte.

Der große Schlachttag ist hundertmal geschildert worden. Aber besäße man auch des alten Homeros epische Tuba und vermöchte man sie mit dem Athem des Dichters der Nibelungenschlacht zu schwellen, man müßte das Instrument überwältigt sinken lassen bei dem ungeheuren Anblick, als nun die 450,000 Streiter antraten zu dem reisigen, riesigen Rennen und Ringen, zu der Völkerschlacht, wie Müssling sie zuerst genannt hat, als er das völkerwanderungsgleiche Gewoge der zum Angriff aufmarschirenden Colonnen Schwarzenberg’s erschaute. Vom sogenannten Thonberg aus, neben einer halbzerstörten Windmühle auf einem Feldstuhl sitzend, hat der Empereur die Abwehr geleitet. Die ganze Schlacht zerfiel, nachdem sie um die achte Morgenstunde angehoben hatte, in zwei Acte: in die Linksschwenkung des schwarzenbergischen und die Rechtsschwenkung des bernadotte-blücher’schen Heeres. Auf der Südseite kämpften die Verbündeten lange Stunden hindurch nicht mit dem Erfolg, welchen ihre heldenmüthigen Anstrengungen verdient hatten. Erst nach und nach gelang es ihnen, mit entsetzlichen Verlusten, Boden zu gewinnen und die Seiten des Halbkreises der feindlichen Stellung mehr gegen Leipzig hinzudrücken. Das Eingreifen des Nordheeres, voran Bülow mit seinem Harst, der um 1 Uhr zum Sturm auf Paunsdorf vorging, während Blücher’s Anordnung gemäß Langeron’s Corps gleichzeitig zum Angriff auf Schönefeld vorschritt, entschied die Niederlage der Franzosen, eine so unbedingt unvermeidliche Niederlage, daß es ganz lächerlich ist, wenn die albernen und die pfiffigen Pfaffen des Napoleoncultus diese Niederlage allerlei kleinen und kleinlichen Nebenumständen, dem Uebertritt von etlichen tausend Rheinbündlern zu den Verbündeten, dem vorzeitigen Sprengen einer Brücke u. dgl. m., zugeschrieben haben. Der Sturm auf Leipzig am 19. October war nur noch der blutige Epilog der furchtbaren Schlachtentrilogie. Vormittags entwich der besiegte Empereur aus der Stadt, und um 1 Uhr Mittags begrüßten sich die siegreichen Fürsten und Feldherrn auf dem Marktplatz, wo bekanntlich Gneisenau zuerst die Losung ausgegeben hat: der Krieg darf nur in Paris und mit dem Sturze Napoleon’s enden! Wäre die Verfolgung der Franzosen durch Schwarzenberg so rasch und zweckdienlich angeordnet und so thatkräftig betrieben worden, wie Blücher sie nach dem Tag von Belle Alliance betreiben ließ: kaum noch ein Mann würde über den Rhein entkommen sein.

An hunderttausend Menschen deckten todt oder verstümmelt die blutstarrende Wüste, auf welcher die Völkerschlacht getobt hatte und aus welcher die Brandruinen von mehr als zwanzig in Feuer aufgegangenen Dörfern schwarz in die Lüfte starrten. Einen furchtbaren Preis hatten die Verbündeten für ihren Sieg bezahlt. Denn die Russen büßten in den Leipziger Schlachten an Todten ein 12 Generale, 864 Officiere, 21,740 Soldaten; die Preußen 2 Generale, 520 Officiere, 14,950 Soldaten; die Oesterreicher 7 Generale 399 Officiere, 8000(?) Soldaten; die Schweden 10 Officiere und 300 Soldaten: – Summa 21 Generale, 1793 Officiere, 44,990 Soldaten, in welcher Berechnung aber der Verlust der Oesterreicher entschieden zu niedrig angesetzt ist, denn sicherlich verloren sie 14,000 Mann. „Mit welchen Strömen von Blut“ schrieb Gneisenau am 22. October an die Prinzessin Louise von Preußen „die Freiheit der Welt erkauft ist, davon mag man anderwärts keinen Begriff haben. Vier Tage hat sich die Blücher’sche Armee geschlagen. Von den 103,000 Mann, die sie beim Anfang des Feldzuges zählle, ist sie auf 40,000 Mann geschmolzen. Zwischen 40- und 50.000 Mann haben gewiß die

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 671. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_671.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2019)