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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

und der Franz und der Verwalter sind noch nicht zurück. Sie sind aber auf der entgegengesetzten Seite des Kampfes, und dort sind sie sicherer, als wir hier.“

„Aber wenn sie nun zurückkämen, gerade weil sie uns in Gefahr wissen, um uns beizustehen, und wenn sie dann zwischen die Kämpfenden, Fliehenden und Verfolgenden geriethen?“

Die Großmutter verlor ihren Muth und ihr Vertrauen nicht.

„Die Haide ist groß, Therese, und man sieht und hört weit darin. Gehe jetzt. Laß das Thor verschließen, die Fensterladen fest vorhängen, was zerstörbar ist, unten in die Keller bringen. – Aber wozu brauche ich Dir Weiteres zu sagen? Du bist ja verständig, und hast noch nie Deine Geistesgegenwart verloren.“

Die Tante Therese verließ mit einem schweren Seufzer das Zimmer. Die Großmutter mußte wieder den Kopf schütteln.

„Was ist ihr nur? Sie hat sonst immer den frischen, klaren Muth. Seit dem Tode des armen Fritz freilich – Aber so ganz muthlos wie jetzt, wie seit heute Morgen, war sie noch nie. Was mag passirt sein? – In der Nacht? – Sie wich meinen Fragen aus. – Sollte von Adalbert – – –“

Die Großmutter sank in tiefes, stilles, aber unruhiges Nachdenken.




2. Ein westphälischer Edelmann.

Die Tante Therese war mit sorgenvollem Gesichte in die kleine Halle getreten, die den Hausflur bildete, und wollte auf eine Seitenthür zugehen. Sie besann sich; sie hatte vorher noch etwas Anderes zu thun. Sie schritt quer durch die Halle, geradeaus. Dort öffnete sie eine Thür und winkte in die Stube hinein. Eine alte Magd trat heraus.

„Mache die Thür zu, Christine.“

Die Magd gehorchte.

„Wie geht’s ihm, Christine?“

„Gut, Mamsell.“

„Kann ich zu ihm gehen?“

„Ja, Mamsell.“

„Wo ist der Freiherr?“

„In seinem Zimmer.“

„Er hat nichts gemerkt?“

„Gar nichts.“

„Er spionirt gern.“

„Er weiß von nichts, Mamsell. Sie können ruhig sein. Ich sprach ihn noch vor einer Viertelstunde. Er war ganz unbefangen.“

„Noch Eins, Chrtstine, habt Ihr nichts gehört?“

„Was sollten wir gehört haben, Mamsell?“

„Draußen, hinten am Walde, wird geschossen. Die Preußen oder Russen müssen da sein und mit den Franzosen kämpfen.“

„Um Gott, Mamsell –“

„Ihr hattet also nichts gehört?“

„Die Spinnräder gehen laut.“

Man hörte durch die verschlossene Thür das Schnurren der Spinnräder in der Stube.

„Wo sind die Knechte?“ fragte die Tante.

„Bei der Arbeit; in den Ställen, auf dem Boden.“

„Christine, kehre in die Stube zurück und laß Dir nichts anmerken.“

„Was soll es aber werden, Mamsell, wenn das Schießen hierher käme?“

„Noch ist es weit. Ich will mit ihm sprechen. In zehn Minuten bin ich wieder hier.“

Die alte Magd kehrte in die Mägdestube zurück, und die Tante Therese ging zu der Seitenthür, auf die sie vorhin schon hatte zugehen wollen, öffnete sie und stand am Fuße einer schmalen, dunklen Wendeltreppe. Sie zog die Thür hinter sich zu und stieg leise und vorsichtig die Treppe hinauf. Sie kam in einen langen, dunken Gang und in der Mitte des Ganges an einen Seitengang, der dort einmündete. Ihr Schritt wurde fast unhörbar. Am Ende des Ganges war eine Thür. Ein paar Augenblicke blieb sie horchend stehen. Es war Alles still, rund um sie her. Sie zog aus ihrer Tasche einen Schlüssel hervor, öffnete die Thür kaum hörbar und trat in ein kleines, rundes Gemach. Es war alterthümlich, wie Alles in dem alten Schlosse, das aus den Ritterzeiten stammte. Es war das oberste Stübchen in dem grauen, spitzen Thurme, der über das Dach des Schlosses hinüberragte.

Sie verschloß die Thür hinter sich. Hinten in dem Gemache war ein Bett, und auf diesem saß aufrecht ein großer, schöner, junger Mann in der Uniform eines preußischen Officiers. Er war verwundet, eine Binde umgab seine Stirn, in einer Binde lag sein linker Arm. Sein Gesicht war tief blaß, die Züge waren erschlafft. Er konnte sich nur mit Mühe in seiner sitzenden Stellung aufrechthalten. Die Tante war besorgt zu ihm getreten.

„Lege Dich wieder, Adalbert,“ sagte sie zu ihm.

Er legte sich auf das Bett zurück. Er hatte sich nur bei ihrem Eintreten erhoben. Sie sah ihn mit schwerem Herzen an und zögerte mit der Botschaft, die sie ihm zu bringen hatte.

„Wie geht es Dir, Adalbert?“ fragte sie ihn.

„Es wird besser werden, Therese,“ sagte er.

Seine Stimme war matt, aber seine Augen ruhten voll Liebe und voll Dank auf ihr. Er hielt ihr seine Hand hin, und sie legte die ihrige hinein.

„In Deiner Pflege werde ich genesen,“ fuhr er fort, „in Deiner Liebe, in Deiner edlen, verzeihenden Liebe. Du hast mir das Leben wieder gegeben. Wie sollte es nicht frisch wieder aufblühen?“

Sie seufzte schwer, denn sie mußte ihm sagen, was sie herführte.

„Adalbert, Du fürchtetest einen Zusammenstoß der Alliirten und der Franzosen hier in der Gegend?“

„Er wird kaum zu vermeiden sein, Therese. Die Spitzen der Alliirten rücken kühn, oft tollkühn, in kleinen Abtheilungen vor. Die Provinzstadt hat noch eine starke französische Garnison; sie kann schnelle Hülfe aus den rheinischen Festungen bekommen, die noch in den Händen der Franzosen sind. Da wird sie ohne Kampf sich nicht zurückziehen wollen.“

„Ich fürchte, der Kampf ist schon entbrannt, Adalbert.“

„Was – wo?“ rief lebhaft der Officier.

„Drüben am Walde, rechts, wird geschossen. Die Mutter und ich hörten das Gewehrfeuer seit einer Viertelstunde. Die Wohnstube liegt nach dem Walde hin.“

„Rechts vom Walde?“ fragte der Officier.

„Rechts vom Walde. Und von der anderen Seite, quer über die Haide, eilten vor wenigen Minuten zwei Schwadronen Carabiniers in gestrecktem Galopp dem Kampfplatze zu.“



(Fortsetzung folgt.)



Aus dem Leben deutscher Schauspieler.
3.[WS 1] Emil Devrient.

In dem Hause des wohlhabenden Kaufmanns Devrient, welches zu Berlin in der Brüderstraße lag, herrschte gegen das Ende des Jahres 1815 eine große Aufregung. Man erwartete daselbst die Ankunft des berühmten Schauspielers Ludwig Devrient, der von dem Generaldirector Herrn Iffland eine Einladung zu einem Gastspiele auf dem königlichen Theater erhalten hatte. Gegen den Willen seines strengen Vaters war er zu dessen größtem Herzeleid unter das „Komödiantenvolk“ gegangen, aber sein Genie hatte alle Hindernisse besiegt, und nach jahrelanger Abwesenheit kehrte er als ein ruhmgekrönter Künstler in das elterliche Haus zurück. Der ehrenwerthe, aber vorurtheilsvolle Vater war seitdem gestorben, sein Bruder hatte die Handlung übernommen und freuete sich aufrichtig, den ausgezeichneten und ihm so nahe verwandten Mimen zu begrüßen. Das in den bürgerlichen Familien früher gegen den Schauspieler herrschende Vorurtheil war nach und nach geschwunden, der Künstler galt nicht mehr für einen Vagabunden und wurde in der Gesellschaft nicht nur geduldet, sondern mit Achtung und Auszeichnung, die dem Talent gebührt, behandelt. Hatte doch der König selbst den patriotischen Iffland durch die Verleihung des roten Adlerordens geehrt und gleichsam in ihm den ganzen Stand nobilitirt. Deshalb erwartete den Schauspieler Ludwig Devrient

heute ein eben so freundlicher, als herzlicher Empfang von Seiten

Anmerkungen (Wikisource)

  1. eigentlich 4. Teil der Serie
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 676. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_676.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)