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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Emil Devrient
als „Petrucchio“ in der Widerspenstigen.

seines soliden Bruders und dessen ehrbarer Familie. Am meisten freueten sich aber seine drei Neffen, Karl, Eduard und Emil, auf die Ankunft ihres berühmten Onkels, der in ihren Augen von einer wahrhaft poetischen Glorie umgeben stand. Sie kannten seine romantische Jugendgeschichte aus dem Munde ihres Vaters, sie hatten von seinen wunderbaren Leistungen gehört, sich an seinem Ruhm berauscht und liebten ihn und in ihm das Theater mit jugendlicher Leidenschaft. Alle drei waren schöne kräftige Jungen mit interessanten, geistvollen Gesichtern, reich begabte Naturen voll frischer Jugendlust und Poesie. Karl, der Aelteste von ihnen, war vor Kurzem erst aus dem Kriege zurückgekehrt, wo der siebzehnjährige Husar in der Schlacht bei Waterloo tapfer mitgefochten. Nach dem freien Soldatenleben wollte ihm das dunkle Comptoir seines Vaters um so weniger gefallen, und mehr als einmal dachte er wohl daran, es heimlich zu verlassen. Auch Eduard, der damals vierzehn Jahr alt war, zeigte wenig Neigung, sich dem Kaufmannsstande zu widmen; er entwickelte ein entschiedenes musikalisches Talent und saß lieber an seinem Clavier als bei den langweiligen Handelsbüchern. Der Jüngste der Brüder, Emil, besuchte noch die Schule, aber auch er besaß bereits eine große Vorliebe für das Theater und beschäftigte sich vorzugsweise mit dem Coloriren und Ausschneiden von Bilderbogen für seine kleine Puppenbühne.

Bei solcher Beschaffenheit kann man sich wohl denken, welch eine Epoche in dem Leben dieser jungen Burschen die Ankunft eines solchen Onkels machen mußte und mit welcher Ungeduld derselbe erwartet wurde. Endlich hielt der Wagen vor der Thür, und aus demselben sprang mit eigener Hast der berühmte Künstler, um sich in die Arme seines ihm entgegeneilenden Bruders zu werfen und seine Neffen nach der Reihe abzuküssen. Ludwig Devrient’s Erscheinung war allerdings dazu angethan, die Herzen seiner jugendlichen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_677.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)