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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


mit der Verpflichtung erhielt, jährlich während drei Monate 24 – 30 Gastrollen gegen ein angemessenes Honorar zu geben. Außerdem ehrten verschiedene deutsche Fürsten sein Verdienst durch Orden und andere Auszeichnungen, die den berühmten Künstler schmücken. So lebt derselbe, dem auch in seinen Kindern und Enkeln ein reiches Glück erblüht, in den angenehmsten Verhältnissen, welche er ganz und gar seinem Talent und seiner nie rastenden Thätigkeit verdankt. Noch besitzt er eine ungewöhnliche Lebenskraft, eine ungeschwächte Liebe für seine Kunst, die ihn allein dazu bestimmt, von Zeit zu Zeit wieder die Bühne zu betreten und jährlich sich wiederholende Einladungen zu Gastspielen anzunehmen, welche den Beweis liefern, daß er noch immer eine unwiderstehliche Zugkraft ausübt und daß das Alter vorläufig noch nicht seinen Lorbeer mit welkender Hand berührt hat.

Als Künstler ist Emil Devrient der vorzüglichste Repräsentant der ideellen Richtung im Schauspiel, wobei ihn seine ganze Persönlichkeit und die äußere Erscheinung wesentlich unterstützt. Die hohe, schlanke Gestalt, das edle, griechische Profil, die angeborene Anmuth und der Adel seiner Bewegungen charakterisiren den geborenen Liebhaber und verleihen ihm den Zauber der Schönheit und der Poesie. Sein Organ klingt kräftig und doch weich, seine Deklamation ist zwar frei von jedem falschen Pathos, aber schwungvoll und besonders in den lyrischen Partien höchst ansprechend. Sein Spiel ist maßvoll, ohne darum die Leidenschaftlichkeit und Bewegung vermissen zu lassen. Hauptsächlich wirkt der Künstler durch die Macht der schönen Persönlichkeit und seine poetische Auffassung. Deshalb gelingen ihm vorzugsweise die ideellen Gestalten, die lyrischen und rhetorischen Helden der Schiller’schen Muse, die er mit allem Zauber und Glanz der poetischen Erscheinung auszustatten weiß. Seine Leistungen befriedigen und entzücken mehr durch die Harmonie des Ganzen, als durch überraschende und glänzende Einzelheiten. Sie gleichen den italienischen Seen, in denen sich der blaue Himmel, die goldene Sonne und der melancholische Mond abspiegeln; selbst der Sturm vermag nicht ihre Schönheit zu zerstören und die klassische Ruhe gänzlich zu vernichten. Auch im Aufruhr der Elemente, während der Donner rollt, die Blitze zucken, bleiben sie schön und ansprechend. Freilich fehlt ihnen dafür die dämonische Gewalt und die Größe des brausenden, in allen seinen Tiefen aufgewühlten Meers, oder die hinreißende Macht des schäumenden Wassersturzes. Selbstverständlich schließt bei einem Künstler, wie Emil Devrient, diese ideelle Richtung Natur und Wahrheit keineswegs aus. Er selbst bezeichnet sein Streben dahin: „ich war stets bemüht, die ideale Schönheit mit größerer Wahrheit zu vermählen, ohne dem Realismus, dem Vernichter unserer Kunst, Zugeständnisse zu machen.“

Auch im Lustspiel, das eine schärfere Charakteristik fordert, besonders im feineren Conversationsstücke, ist Devrient ausgezeichnet, und einzelne seiner Leistungen, wie der „Bolingbroke“ im Glase Wasser, meisterhaft zu nennen, wobei seine Kenntniß der höheren Gesellschaft, seine feinen Lebensformen und seine angeborene Grazie zur vollen Geltung kommen. Hier wie im Drama wirkt der Zauber seiner Individualität, die er freilich mit selbstbewußter Einsicht zu verwerthen weiß wie kein zweiter Schauspieler, weit entfernt sich mit einem bloßen Naturalismus begnügen zu lassen. Ueberall erkennen wir in Devrient eine echte Künstlernatur, die allerdings, vom Glück in seltener Weise begünstigt, das ihr anvertraute Gut durch eigenes Verdienst, durch unablässiges Ringen und Streben vermehrt und vervollkommnet hat, wodurch seine außerordentliche Wirkung und seine bis in’s höhere Alter hinaufreichenden Triumphe erklärlich scheinen. – Im Privatleben ist Devrient durch Liebenswürdigkeit und Humanität ausgezeichnet; er verbindet die feinen Formen des Hofmanns mit der Anmuth und Leichtigkeit des Künstlers. Maßvoll auch in seinem Umgange kann er in zusagender Gesellschaft eine wahrhaft bezaubernde Heiterkeit zeigen und mit den Fröhlichen von ganzem Herzen sich freuen, wie er andererseits den Hülfsbedürftigen gern beispringt und fremde Noth und Thränen bereitwillig lindert und trocknet.

Max Ring.



Räuber und Räuberwesen in Unteritalien.

Die Zeitungen hatten vor einigen Monaten Gelegenheit, alle Welt von den nächtlichen Ueberfällen der Garotters[1] zu unterhalten, welche während des vergangenen Winters die Straßen der englischen Metropole beunruhigten. Neueren Datums sind die Nachrichten aus der Schweiz, welche – nicht sehr zum Vortheil dieses beliebten Tummelplatzes der europäischen Reisenden – von Räuberbanden sprechen, deren traurige Thätigkeit einige der frequentesten Bergpassagen unsicher gemacht habe. Indessen würde man in beiden Fällen Unrecht thun, wenn man aus diesen Erscheinungen Rückschlüsse auf den Zustand der Gesellschaft, der sie entsprungen sind, machen wollte; es sind zufällige Ausbrüche von Uebeln localer und durchaus abnormer Natur, ohne Zusammenhang und tiefere Begründung, deren radicale Heilung ausschließlich in den Händen der Sicherheitspolizei liegt.

Anders steht es um das Räuberwesen in Unteritalien. Hier ist es ein Mittel der politischen Aktion und hat als solches nicht blos sein System, sondern – was die Natur desselben noch verschlimmert – auch seine Vergangenheit und Geschichte. Der entthronte Bourbon, der in dem Rufe steht, es gegenwärtig anzuwenden, ist nicht der Erfinder desselben; er ist nur einer Tradition seines Hauses treu geblieben, indem er Freibeuter in seinen Dienst genommen, die aus der Loyalität einen Handelsartikel machen und, als die geschworenen Feinde der Ordnung, ihr verächtliches Handwerk mit der Glorie des politischen Martyriums und der Romantik zu umgeben suchen.

Als bei der französischen Invasion von 1798 und der Flucht des damaligen Herrscherpaares, Ferdinand’s und Carolinens, die Bauern in Calabrien sich erhoben, da waren es in der That Heldenmuth und Vaterlandsliebe, welche die Anfänge dieses Aufstandes beseelten. Indessen mischten sich sehr bald unreine Elemente hinein, indem die Hauptleute der Räuberbanden, welche stets in den calabrischen Wäldern Schutz gefunden, aus ihren gesetzlosen Aufenthaltsorten hervorkamen, um an die Spitze einer Bewegung zu treten, welche den Schein der edelsten Motive für sich hatte. Es hat nichts Ueberraschendes für den Kenner italienischer Zustände, daß diese Banditen auf der Stelle die eigentlichen Leiter und autorisirten Führer des patriotischen Aufstandes wurden; denn Verbrecher und Auswurf der Gesellschaft, wie sie waren, hatten sie sich doch jederzeit einer Art von Popularität unter einer Bevölkerung erfreut, welche keine geregelten Begriffe von Gesetz und Ordnung besaß und nicht ohne eine gewisse Bewunderung die Beispiele ritterlicher Kühnheit oder romantischen Edelmuths wiederholte, durch die der Eine oder Andere von den Banditen jener Zeit sich einen Namen machte. Zu diesen Banditen gehört z. B. „Fra Diavolo“, dessen Ruhm und Andenken in einer Oper fortlebt, welche wir selber auf unsern Bühnen noch zuweilen hören. Der Bandit, der sich unter diesem Beinamen eine Unsterblichkeit gesichert hat, die mindestens so lange dauern wird, als diejenige von Auber selber, hieß eigentlich Michele Pezza, und war, bevor er zu seiner politischen Notorietät gelangte, dadurch ausgezeichnet, daß dieselbe Regierung, die ihn später in ihre Dienste nahm, auf seinen Kopf mehrere Male einen bedeutenden Preis gesetzt hatte.

Ein Anderer derselben Bruderschaft, Namens Pronio, war ursprünglich Geistlicher gewesen und war unter die Räuber gegangen, nachdem er wegen Mordes aus seinem Orden ausgestoßen, zu den Galeeren verurtheilt worden und entsprungen war. Die grauenhaftesten Dinge jedoch wurden von einem gewissen Gaetano Mammone, einem Müller, erzählt. Es war seine Gewohnheit, so oft er sich mit seinen Banden zu einem Zechgelage niedersetzte, die Gefangenen, die er während des Tages gemacht, in der Nähe zu haben, um sich und seine Spießgesellen damit zu amüsiren, daß er die armen Schlachtopfer eines nach dem andern und in gegebenen Zwischenräumen niedermetzeln ließ, während im Kreise lustig dazu gesungen und getrunken ward. Dieser politische Held pflegte sich zu rühmen, daß er mit eigenen Händen vierhundert Personen kalten Blutes getödtet habe.

Verworfene Subjecte dieser Art waren es, mit denen der König und die Königin sich von Palermo aus zuerst 1798 und dann bei der zweiten Flucht 1806 in Verbindung setzten. In dem letzteren Jahre benutzten sie geradezu diese Banditen, um Insurgentenbanden zu organisiren. Ehrenzeichen und sogar Adelsdiplome wurden angewendet, um den Eifer derselben anzuspornen, und während der

  1. S. den Gartenlauben-Artikel Die Garrotte in London
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 680. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_680.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)