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verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

gewandelt worden durch Patent vom 5. Septbr. 1856, nachdem sich das Leiden des Bruders als unheilbar herausgestellt hatte.

Noch lagen auf dem Lande die schweren Schatten des kaum verharschten Revolutions- und Kriegszustandes. Der Jubelruf des Volkes bei der Vermählung des Fürsten mit Louise, Prinzessin von Preußen (20. Septbr. 1856), zeigte aber doch, wie schnell die Wunden schwer geprüfter Lande und Bevölkerungen vernarben und welch unauslöschliche Liebe das deutsche Volk im Herzen trägt, wenn es in seinem Fürsten das Wohlwollen und die Treue erkennt, deren Bethätigung jedes Staatswesen als mindeste Forderung an seinen Träger stellen muß. Das badische Volk sollte an seinen Fürsten höhere Forderungen stellen und bald die Erfüllung froh erleben dürfen. Aber in jenen Tagen, als der junge Fürst in kraftvoll männlicher Schönheit, ein Angebinde der Mutter Natur an Badens Fürstenhaus, die in der Anmuth des verklärenden Glückes und grazienvoller Erscheinung strahlende Braut heimführte – da erscholl es durch das Land gleichsam wie eine Vorahnung, daß auch der Staat und das Volk sein volles Antheil haben müsse an jener glückverheißenden Zukunft, deren Einzug in das Fürstenhaus die Bevölkerung so froh und herzlich mit beging.

So hoch stand die Sonne des badischen Staatslebens jetzt freilich noch nicht. Im Lande herrschte mächtig und unverhüllt der österreichische Einfluß. Die Jugend des regierenden Großherzogs war mit österreichischen Eindrücken durch mehrfache Reisen nach Wien eng verkettet. Doch standen diese Eindrücke nicht vereinzelt, so wenig wie es der militärischen Erziehung des jungen Fürsten an einem Gegengewichte fehlte. Studien in Heidelberg und in Bonn, namentlich bei Schlosser, Häusser und Vangerow, hatten den Grund gelegt zu einer allgemein wissenschaftlichen Erkenntniß, die das einzig fruchtbare Erdreich des Verfassungsglaubens bildet. Ein längerer Besuch am englischen Hofe (Frühjahr 1856), der vertrauliche Umgang mit der verwandtschaftlich nahestehenden englischen Königsfamilie (der Herzog Ernst von Sachsen-Coburg, der Schwager des Großherzogs Friedrich durch seine Ehe mit der badischen Prinzessin Alexandrine, ist der Bruder des verstorbenen Prinz-Gemahls von England) hatte der theoretischen Erkenntniß die praktische Anschauung zugefügt. Zur Bethätigung einer im deutschen Staatsleben in dieser Vollkommenheit völlig neuen fürstlichen Verfassungsinitiative bedurfte es aber eines äußeren Anstoßes, an dem es so lange gebrechen mußte, als der Rückschlag gegen die revolutionären Vorjahre nur die eben landläufigen Geleise austrat. Nur das Leben der Wissenschaft und der Kunst genoß jetzt schon in vollem Maße die Früchte einer geläuterten Vorliebe und einer echt fürstlichen Freigebigkeit. In diese Zeit fällt die Gründung der Karlsruher Kunstschule mit Schirmer an der Spitze, dem später Lessing als Galleriedirector sich anreihte; schon zuvor hatte die Uebertragung der Theaterleitung an Eduard Devrient, der aus dem Kampfe mit zwei Intendanten als Alleinherrscher des Bühnenwesens siegreich hervorging, klar bekundet, wie fest gewillt der kunstsinnige Fürst war, einer nach ästhetischen Grundsätzen unverbrüchlich strenge geleiteten Kunstanstalt selbst mit dem Opfer festgewurzelter Ueberlieferungen die Aufgabe der Hebung der deutschen Bühne und des deutschen Schauspielerstandes anzuvertrauen.

Endlich kam, nicht gesucht oder vorbereitet von politischen Parteiungen, im Gegentheile einfach herbeigeführt durch die reactionäre Unterschätzung des Volksbewußtseins, die kritische Entscheidung. Politisch hätte vielleicht das ermüdete Volk noch Manches ertragen; an das sittlich-religiöse Allgemeinbewußtsein aber durfte man nicht rühren. Gerade das geschah durch die Vereinbarung mit Rom, und es wird immer in der Geschichte der constitutionellen Entwickelung ein merkwürdiges Blatt sein, wie sich in zweitägiger Schlacht eine aus der Reactionszeit hervorgegangene, großentheils aus Beamten bestehende Kammer gegen Minister, die in jener Zeit noch nicht auf dem Platze wankten, zum Dolmetscher der freien Landesüberzeugung machte. Ohne das constitutionelle System hätte der Großherzog niemals die Wahrheit gehört, ohne die muthvolle Probe der badischen zweiten Kammer wäre sie nicht zum Siege gelangt. Vom 30. März 1860 schreibt sich die Entscheidung, wie eine dramatische Steigerung liest sich die Geschichte jener Tage bis zum Siege des Volksrechtes in der Brust des Fürsten. Der Würfel schwankte, da gab ein Erlaß des Ministers des Innern, Herrn von Stengel, der in einem Rundschreiben an die Amtsvorstände den Fürsten als gänzlich unbeeinflußt von der verfassungsmäßig ausgesprochenen Gesinnung seines Volkes darstellte, den Ausschlag. Fieberhaft wogte es in der Hauptstadt am 2. April 1860; in Massen umdrängte die Bevölkerung das Ständehaus, und ein Alp löste sich von der Brust, als nach 7stündiger Verzögerung Abends 5 Uhr zum Beginn der außerordentlichen Sitzung der zweiten Kammer neue Minister – Stabel und Lamey an Stelle von Meysenbug und Stengel – der siegreichen Volksvertretung gegenübertraten. Mit der Verkündigung vom 7. April, die ein goldenes Gedenkblatt in den Büchern badischer Geschichte bleiben wird, hatte sich der Kampf in der Brust des Fürsten gelöst: „in einem ernsten Augenblicke,“ so sprach er, „der manche Gemüther mit bangen Zweifeln erfüllt, ergreife ich mein schönstes Vorrecht und richte aus der Tiefe des Herzens Friedensworte an mein theures Volk.

Und dieselbe sittliche Kraft der Entscheidung, die sich in diesem Widerstreite bewährt hat, hielt an für den politischen Ausbau des muthvoll begonnenen Werkes. Es liegt ein großes Zeugniß sittlicher Hoheit in diesem Wendepunkte neu-badischer Geschichte. Derselbe Fürst, der heute die Kraft in sich fand, die Stimme des Volksgewissens in der eigenen Brust nachzuempfinden und ihre Forderung in freier Entschließung zu erfüllen, er hatte gleichwohl dieses Volk zuvor kennen lernen in der Orgie revolutionärer Ausschweifung. Kaum ein Jahrzehnt zuvor war an den Schwärmen einer aufgelösten Soldateska sein Wort machtlos verhallt; sein Leben, das er ohne Bedenken der Pflicht weihte, war bedroht; er hatte den Vater flüchtig, sein Herz brechen sehen müssen an den Folgen jener badischen Umwälzung, in der sich die letzten Reste der Bewegung bis zum Cynismus austobten. Aber sein Herz hatte sich nicht verhärtet gegen das Volk, dem seine Liebe und seine Pflicht gehörte. In der tosenden Brandung der im Sturme aufgelösten Staatsordnung hatte er wohl die Stimme vernommen, die ihm zurief. In die Hand der organischen Gewalten ist es gegeben, mit dem Vaterlande selbst auch die Bewegung zu adeln, die es dereinst zur Sammlung seiner Kraft und zur Einigung führen soll.

Von jetzt ab giebt es keine particularistisch-badische innere und äußere Politik mehr. Und es bleibt von erhebendem Interesse zu beobachten, wie dieselbe trübe Umsturzerfahrung, die in weniger adeligen Naturen verschließend und abstoßend gegen das Gewissen und das Recht des Volkes wirkt, in Friedrich von Baden die entgegengesetzte Wirkung übte. Nicht krämpfig unterbinden soll man die natürliche Volkskraft, die, in wilder Wuth entfesselt, alle Staatsordnung zerbricht. Nein – Sache der obersten organischen Gewalten ist es, dieses Gewissens und dieses Rechtes sich stets bewußt zu sein und in diesem Bewußtsein jene Kraft sicher und stetig auf die rechten Bahnen zu lenken. Was auch Baden in Fragen der inneren Gesetzgebung geleistet hat, und es ist weittragend in vollendeten Gesetzen und in Entwürfen – Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche, Gewerbefreiheit, Freizügkeit, Erleichterung der Eheschließung, bürgerliche Gleichstellung der Juden, Justizorganisation, Verwaltungsgesetz, Entwurf einer Neuordnung der Volksschule – aus jedem einzelnen Schritte tönt doch der Gedanke an das gemeinsame Vaterland verständlich und klar heraus. Großherzog Friedrich selbst hat ihm Worte geliehen – und die schönsten Darlegungen seiner Gesinnung sind nach Form und Inhalt sein selbsteigenes Werk – in dem erhebenden Schlusse einer landständischen Eröffnungsansprache:

„Die Erfolge alles Bemühens für das Wohl unserer geliebten Heimath bleiben stets untrennbar von der Zukunft unseres deutschen Vaterlandes. Immer ernster tritt das Bedürfniß hervor, Deutschlands Macht und Ansehen zu kräftigen, damit es in allen Wechselfällen der Weltgeschichte seinen hohen geschichtlichen Beruf erfüllen kann. Wie anders wäre die Befriedigung der nationalen und politischen Interessen dieses großen Volkes möglich, als in einer festen und thatfähigen Organisation, welche Deutschland zur Vertretung seiner Macht und seines Rechts den Nachdruck eines einheitlichen Willens erschafft und dadurch der Selbstständigkeit der Einzelstaaten zugleich eine unerschütterliche Stütze verleiht.“

Aber nicht Worte allein hat Großherzog Friedrich dem deutschen Einheitsgedanken geliehen, nein auch Thaten. Eine That war die volle Amnestie vom 7. August 1862; eine That war Badens Eintreten für Kurhessen, eine That die Abstimmung für das alte Recht in Schleswig und Holstein, eine That die badische Note in der deutschen Frage; die hehrste aber von allen war des Fürsten

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verschiedene: Die Gartenlaube (1863). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1863, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_694.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)