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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Officiere, welche sich sorglos den Genüssen eines herrlichen Mahles hingaben, brachten Toaste aus auf den Kurfürsten in Berlin, auf den Markgrafen, auf den Herzog Victor, auf die Armeen der Verbündeten; jedes Mal fielen donnernd Pauken und Trompeten ein, die Gäste hatten keine Ahnung von der Ueberraschung, die ihrer wartete, und die Lust hatte den höchsten Grad erreicht, wobei sich Jedermann gestand, seit langer Zeit kein so herrliches und zugleich gemüthliches Fest genossen zu haben. Plötzlich erhob sich der Markgraf, der nun den richtigen Augenblick gekommen glaubte. Hoch aufgerichtet, glühend von Erregung, von Muth, von Liebe stand er da; die Linke in die Hüfte gestemmt, in der Rechten das Kelchglas voll edlen Weines, den schönen Kopf ein wenig hinten übergeworfen, bot er dem Beschauer ein herrliches Bild von Jugendmuth und Hoheit. Er bedankte sich in kurzen Worten für die Freude, die ihm geworden, so viele liebe Gäste bei seinem Feste sehen zu können, er gedachte des Herzogs Victor, seines Bruders in Berlin und schloß endlich, indem er seine kraftvolle Stimme erhob, mit den Worten: „Diesen Becher aber, meine Freunde, leere ich auf das Wohl Derjenigen, die ich liebe, der mein Herz gehören soll und mit demselben meine Hand. Ich leere ihn auf das Wohl der edlen Gräfin Salmour, die ich mir erwählet habe zum ehelichen Gemahl, daß sie theile mit mir den Fürstentitel. Und darum habe ich Sie Alle, meine Freunde, geladen, daß Sie Zeugen sein sollen des feierlichen Actes, der mich noch zu dieser Stunde mit ihr auf ewig verbinden wird.“

Die Wirkung dieser Eröffnung läßt sich kaum beschreiben. Die brandenburgischen Officiere blieben in einer Art von Erstarrung. Sie glichen plötzlich in Stein verwandelten Personen. Einige stießen dumpfe Töne, Schreie der Ueberraschung aus, Andere sanken erstaunt in ihre Sessel zurück. Unmittelbar nach den Worten des Markgrafen lagerte sich eine Todtenstille über die ganze Versammlung, der heitere Lärm des Festes verstummte. Carl Philipp stützte die fast ohnmächtige Gräfin. – Nicht lange aber sollte die Stille der Gäste dauern. Sie war die Ruhe vor dem Ausbruche des Gewitters gewesen. Brausend machte sich der Unmuth der Officiere Luft. Herr von Varennes rief: „Das ist gegen den Willen unsres gnädigen Kurfürsten, dessen Krieger wir sind.“ Dieser Ruf war das Signal zum lauten Widerstand. „Verrath! wir sind in eine Falle gelockt, keine Anerkennung!“ schrieen die Getäuschten.

Vom Weine erhitzt, ließen sie sich zu so drohenden Gebehrden hinreißen, daß die Freunde des Markgrafen es für gerathen hielten, diesen und die Gräfin in ihre Mitte zu nehmen. Die Gegenpartei sah das als eine Herausforderung an, und im Augenblick waren die Degen blank, was den Markgrafen und seine Freunde veranlaßte, gleichfalls vom Leder zu ziehen. Der Tumult wuchs von Minute zu Minute, zwischen die Angstrufe der Damen mischten sich die Streitreden der Männer, wobei namentlich der Prinz von Hessen und Herr von Varennes das Wort führten, indem sie den Markgrafen ganz entschieden des Ungehorsams gegen seinen Fürsten, Bruder und Kriegsherrn, so wie des Mangels an Achtung vor seinem hohen Namen ziehen; Carl Philipp dagegen schwur hoch und theuer, er werde sich eher in Stücke hauen lassen, als die Gräfin aufgeben. „Folgen Sie mir, Madame,“ rief er, „ich werde Ihnen zeigen, daß ich Ihrer und meiner hohen Ahnen würdig bin.“

Jetzt schien der Augenblick gekommen, der einen blutigen Zusammenstoß bringen sollte. Man versuchte dem Markgrafen und seinen Begleitern das Hinausgehen aus dem Saale zu wehren, schon klirrten die Degen aneinander, als plötzlich ein Officier des Herzogs Victor mit 30 Mann im Saale erschien, Namens seines Herrn den Streitenden Ruhe gebot und die Officiere in sehr höflichen Worten ersuchte, den Frieden eines fürstlichen Schlosses nicht zu brechen. Die Degen wurden sofort eingesteckt, und man überhäufte sich gegenseitig mit Vorwürfen; da man jedoch nicht wagte, dem Markgrafen weitere Anlässe zur Aufregung zu geben, so begnügte der herzogliche Officier sich damit, den inzwischen angelangten Priester Lea, so wie den Notar zu arretiren, für welches Verfahren Herr von Varennes die Verantwortung übernahm.[1]

Wieder folgte tiefe Stille auf diese geräuschvollen Scenen. Die lange Gallerie ward öde. Die Nacht brach herein, und man hörte das Rollen der Wagen oder den Galopp der Pferde, welche die Gäste nach der Hauptstadt zurückführten.

Noch in derselben Nacht fertigte Varennes einen Courier nach Berlin ab, der den Kurfürsten von dem Vorgefallenen benachrichtigen mußte. Er ließ sich am folgenden Tage bei dem Herzoge Victor melden und verlangte die Verhaftung des ihm untergebenen Markgrafen und der Marquise. Der Herzog versprach, der Letzteren seine Befehle zukommen zu lassen, weigerte sich aber entschieden, dem Markgrafen gegenüberzutreten, an dessen Person ihn Gastfreundschaft und Hochachtung fesselten. Varennes sendete einen zweiten Courier nach Berlin, der die Weigerung des Herzogs überbrachte. Man muß indessen einräumen, daß Varennes als ein ehrenhafter Soldat handelte. Er sprach in seinem Berichte von dem Markgrafen und der Gräfin mit größter Hochachtung und berief sich nur auf seine Stellung als Vorgesetzter, kraft deren er keine Vorgänge dulden dürfe, welche dem Interesse seines Souverains entgegenliefen.

Der Markgraf hatte vollauf zu thun, seine schöne Geliebte zu trösten. Mit den Hindernissen und Gefahren aber schien ihre gegenseitige Liebe zu wachsen. Es konnte nicht ausbleiben, daß die Scenen in der Veneria zur allgemeinen Kenntniß der Liebhaber von Klatschereien gekommen waren. Allein so sehr auch böse Zungen geschäftig sich regten, der Charakter der Gräfin, die Ritterlichkeit ihres hohen Anbeters standen hoch über jeder Verunglimpfung, und nach wenig Tagen machte das Gerede einer ungeheuchelten Bewunderung Platz. Die romantischen Zuthaten verliehen dem ganzen Verhältnisse einen doppelten Reiz, und Varennes sah bald ein, welch schwierigen Stand er der öffentlichen Meinung gegenüber haben werde, da sogar die Officiere nur durch die Bande der Disciplin gehindert wurden, ihre Sympathien für den Markgrafen offen an den Tag zu legen.

Carl Philipp gestand sich bald, daß ihm, wenn er sein gegebenes Wort halten wolle, kein Mittel als die geheime Trauung übrig bleibe. Bei seinen Streifereien durch die Umgegend Turins hatte er die Bekanntschaft einiger Mönche des Camaldulenser-Klosters gemacht. Namentlich war es der Pater Colomban, der den Prinzen sehr in sein Herz schloß. Carl Philipp zögerte nicht, sich dem Geistlichen zu entdecken, und diese Beichte wirkte dergestalt auf den guten Pater, daß er den Bitten des Markgrafen nicht lange widerstand. – Genug, die priesterliche Einsegnung des Paares fand statt, und zwar mit genauer Aufrechthaltung aller nothwendigen Formalitäten. Als Zeugen waren anwesend der Bruder und der Schwager der Gräfin, für den Markgrafen die Herren von Péras und Stylle. Péras hatte den gerichtlichen Ehecontract als „Auditor Sr. kurfürstlichen Gnaden von Brandenburg“ aufgesetzt, und die sämmtlichen Zeugen hatten ihn unterschrieben. – Der Würfel war also gefallen. Das neuvermählte Paar schwelgte in Wonne und vermied es sorgfältig, nach dem Norden zu blicken, von woher die Blitze sich erwarten ließen.

Man hatte die Vermählung so geheim als möglich gehalten. Was wäre aber wohl verschwiegen geblieben zu einer Zeit, in der sich alle Welt mit Intriguen ähnlicher Art beschäftigte? Der Markgraf hatte vielleicht selbst an dem Bekanntwerden Schuld. Er fand zuweilen eine Erleichterung darin, seine Besorgnisse irgend einem Freunde zu klagen. Namentlich wirkte die Anwesenheit des jungen Fürsten Leopold von Anhalt-Dessau (später der alte Dessauer) sehr ermuthigend auf ihn. Der Fürst war im Verlaufe seiner Reise durch Italien nach Turin gekommen; hier hatte er mit dem Markgrafen Freundschaft geschlossen. Carl Philipp schüttete sein Herz aus und fand bei Leopold ein offenes Ohr. Der junge Dessauer befand sich in derselben Lage, da er sich vor seiner Abreise mit der Apothekerstochter Anna Föhse in Dessau verlobt hatte. Er gab dem Markgrafen die Versicherung, daß kein Mensch in der Welt ihm die Heirath mit der schönen Föhse hindern solle; er hat diese Zusicherung gehalten.

Hierauf stützte sich der Markgraf, berief sich auf das Beispiel des Fürsten und brachte es durch seine Leidenschaftlichkeit dahin, daß die ganzen Verhältnisse, mit den nöthigen Randglossen versehen, nach Berlin berichtet wurden[2].

Der Kurfürst nahm diese Entdeckungen sehr übel auf, was

  1. Es ist nicht erklärt, woher diese militärische Hülfe so schnell kam. Man glaubt, der Herzog Victor habe von den kommenden Vorgängen Kenntniß gehabt und auf alle Fälle Vorbereitungen getroffen. Der Priester und der Notar blieben ein Jahr lang in Haft.
  2. Es hat immerhin lange genug gewährt, bis der Schleier des Geheimnisses gelüftet wurde. Das junge Paar war über Jahr und Tag vermählt, als der Befehl zur Trennung eintraf.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 697. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_697.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)