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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ihm nicht zu verargen war. Abgesehen davon, daß er die Heirath seines Bruders mit der Gräfin als ein seinen hohen Entwürfen sich entgegenthürmendes Hinderniß betrachtete, so stand er dem Schauplatz der Ereignisse zu fern, um vollständig leidenschaftslos urtheilen zu können. Auf den ersten Bericht Varennes’ über die Vorgänge in der Veneria hatte er indessen mit großer Mäßigung geantwortet und befohlen: „der Sache möglichst wenig Wichtigkeit beizulegen.“ Außerdem steht es fest, daß der Markgraf keinen Schritt gethan hat, um über die etwaige Verständigung mit seinem Bruder in Unterhandlung zu treten. Er erwartete mit Resignation die kommenden Dinge. – In Turin theilte man sich bei Hofe in zwei Lager: während die Freunde des Markgrafen sich angelegen sein ließen, ihm ihre Gesinnungen offen darzulegen, blieben die Gegner der Heirath von dem Hause Carl Philipp’s fern.

Während sich dergestalt die Wolken thürmten und den Himmel des Eheglücks für Markgraf Carl Philipp verfinsterten, umzog sich der politische Horizont nicht minder drohend. Schon tobte in den gesegneten Thäler Savoyens auf’s Neue die Kriegsfurie. Es ist für den Markgrafen ein zwiefacher Ruhm, daß er sich nicht durch die Bande der Liebe fesseln ließ, sondern eingedenk seines Namens beim Schall der Schlachttrompete hinauseilte in den Kampf. Ohne Zaudern, der Umarmung seiner schönen Gattin sich entwindend, stürzte er, einer der Muthvollsten, in die feindlichen Reihen. In allen Gefechten war er seinen Kriegern voran, und bei dem Sturm auf Casale pflanzte er das brandenburgische Banner auf die eroberte Schanze und sank, von feindlichem Hiebe getroffen, hart verwundet nieder, die Fahnenstange umklammernd, in der Rechten das mit Feindesblut geröthete Schwert haltend. Aus dem Kampfe getragen, nach Turin geschafft, genoß er die Pflege seiner Gattin. – Unterdessen waren drei Schreiben aus Berlin eingetroffen. Das erste, an Varennes adressirte belobte dessen Eifer und Verhalten und befahl: Die Trennung beider Gatten, falls die Ehe wirklich geschlossen sei, mit Gewalt, doch möglichst vorsichtig herbeizuführen. Wenn dem Beginnen Varennes’ durch die savoyischen Behörden Hindernisse entgegengesetzt würden, so habe Varennes hiermit die Ordre, seine Truppen unverzüglich von der Armee der Verbündeten zurückzuziehen. Das zweite Schreiben war an den Herzog gerichtet und enthielt einen feierlichen Protest gegen die wider Wissen und Willen des Kurfürsten, als Landes- und Kriegsherrn, abgeschlossene Verbindung des Markgrafen mit der Gräfin Salmour. Der dritte Brief, für den Markgrafen bestimmt, stellte diesem in nachdrücklichen Worten das Unpassende der Verbindung vor; der Kurfürst beschwor ihn, seiner Ahnen und der hohen Bestimmung eingedenk zu sein, welche ihm die Vorsehung zugedacht habe. Brüderlich ermahnte ihn der Kurfürst, wie ein Mann zu verzichten und dem Dienste des Vaterlandes seine Neigung zu opfern. Zum Schluß ward ihm der Befehl ertheilt, seine Stelle als Officier der savoyischen Hülfstruppen aufzugeben und sich unverzüglich zur Uebernahme eines Commandos an den Rhein zu begeben, woselbst brandenburgische Soldaten seiner warteten.

Der vernichtende Schlag war geschehen. Gegen die eiserne Pflicht des Soldaten, des Unterthans kämpfte die Liebe. Sie siegte, und das Unglück der Liebenden war entschieden.

Nachdem Varennes dem Herzoge die gemessene Ordre des Kurfürsten mitgetheilt, und Victor Amadeus sich den begründeten Einwendungen fügen mußte, der Markgraf außerdem fest auf seinem Kopf bestand, beschloß der Commandeur zu handeln.

Die schönste Mondnacht, wie sie nur von dem milden Himmel Italiens herabsinken kann, lag über Turin. Die Uhren der Kirchthürme verkündigten die zwölfte Stunde. In den einsamen Straßen zeigte sich nur hie und da ein heimkehrender Nachtschwärmer; aus weiter Ferne schallte das Klingen einiger Guitarren, auch diese Töne erstarben, und in tiefer Ruhe, umschattet von den hohen Bäumen und Gebüschen lag das kleine Hotel des Markgrafen Carl Philipp. Nur ein auf den Garten gehendes Fenster war matt erleuchtet. Es war das Fenster des Zimmers, in welchem Carl Philipp schlummerte, bewacht von seiner Gattin, die, an seinem Lager im Armsessel ruhend, in ein leichtes Nachtgewand gehüllt, sorgfältig jede Regung des Schlafenden verfolgte.

Die poetische Ruhe der Nacht ward plötzlich durch dumpfe Töne gestört. Es waren die gleichmäßigen Tritte einer zahlreichen Patrouille, welche unheimlich durch die stillen Gassen hallten. Die Soldaten trugen österreichische und piemontesische Uniformen. Voraus schritten vier Officiere in brandenburgischer Kriegertracht. Bei dem Hotel des Markgrafen angelangt, vertheilte der Erste der Zugführer die Posten rings um das Gebäude. Nachdem dies geschehen, traten die Uebrigen durch das offene Thor in den Garten und näherten sich einer Hinterthüre des Hauses, an welche einer der Officiere leise klopfte. Sie öffnete sich ein wenig, und das bleiche Gesicht eines Dieners schaute durch die Spalte: „Sie sind es, Herr von Hackeborn?“ stöhnte der Ueberraschte. „Ich bin es. Laut unserer Verabredung[1] haben Sie zu öffnen. Schnell! – Ordre des gnädigen Herrn Kurfürsten.“ Die Pforte sprang auf, und die Officiere traten hinein. Leise stiegen sie eine Treppe hinan, am Ende derselben angelangt, stießen sie auf eine durch schwere Vorhänge maskirte Thür. Hackeborn schob den Vorhang zurück und legte seine Hand auf die Klinke. – „Hier ist es.“ flüsterte er leise.

In dieser Nacht heftiger als sonst an der kaum geschlossenen Wunde leidend, ward Carl Philipp ängstlich von seiner treuen Pflegerin bewacht. Von ihr behütet, entschlummerte er sanft, und nur zuweilen schüttelte eine leichte Wallung des Blutes fieberhaft den Schlafenden; jeder Bewegung achtete die Gräfin sorgsam, sie erhob den schönen Kopf und blickte erwartungsvoll auf das bleiche Gesicht des geliebten Gatten, bereit, jede Hülfsleistung zu verrichten, deren der Genesende bedurfte. – Unruhig warf Carl Philipp im Schlafe sein Haupt, wie von bösem Traume gequält. Die Gräfin fuhr auf. Er beruhigte sich wieder. Die Stille der Nacht ward nur durch das Ticken der Uhr unterbrochen. Auf dem blassen Antlitze des Markgrafen zitterte der Schein des Lichtes, der aus einer blauen Ampel hervorstrahlte. Noch einige Augenblicke lauschte die Gräfin, dann lehnte sie das Haupt in die Polster zurück. – Plötzlich war es ihr, als werde geräuschlos die Thür des Schlafcabinets geöffnet. Sie blickte scharf in das Halbdunkel. Nein – es war keine Täuschung, die Pforte drehte sich in ihren Angeln – ein Mann trat in das Gemach. – Sollte sie träumen? – unmöglich, so lebhaft zu träumen – ihre Hand fuhr zu dem Glockenzuge, sie hielt ihn zwischen den Fingern, es war Wirklichkeit – und da – da waren mehrere Männer in das Zimmer getreten, ein Lichtschein, von außen kommend, fiel durch die Thüre, sie erkannte Uniformen, Waffen. Mit einem lauten Schrei sprang sie empor, die Glocke tönte, und in den Corridoren ward es lebendig.

Auf den Angstschrei seiner Gattin war der Markgraf erwacht. Sofort hatte er die ihm drohende Gefahr überblickt. Er schnellte sich empor und stand vor den Officieren, zugleich stürzten durch die gegenüberliegende Thüre die Frauen der Gräfin in das Gemach, Stimmen und Rufe erschallten, eine Scene der Verwirrung begann, die Zornreden des Markgrafen donnerten durch den Lärmen; inmitten dieser Aufregung blieb Hackeborn fest und unerschütterlich, die linke Hand am Schwerte, das offne Befehlschreiben des Herzogs in der Rechten haltend.

„Im Namen des Herzogs und meines Kurfürsten!“ rief er. „Herr Exempt, ich befehle Ihnen, sich der Person der gnädigen Frau Gräfin mit aller Schonung zu versichern.“

„Keinen Schritt zu ihr!“ schrie Carl Philipp, der den am Bettpfosten hängenden Degen gezogen hatte. Wie ein Tiger zum Sprung bereit, vorn übergebeugt, stand er da.

„Gnädigster Herr, es ist der Befehl Ihres Herrn Bruders und Kurfürsten.“

„Sie sind ein Henker!“

„Herr Markgraf! Ihrer Erregung verzeihe ich jenes Wort. Sie sind Soldat wie ich, und ich frage Sie, ob der Soldat zaudern darf, wenn der Befehl seines Herrn ihn ruft.“

„Wohlan denn,“ schrie der Markgraf, „Soldaten, ja so lassen Sie uns handeln wie Soldaten. Mann gegen Mann! Heraus mit den Klingen, kommt heran, wir wollen fechten!“

Das blitzende Schwert in seiner Faust beschrieb einen Kreis, und der Markgraf stand vor der ohnmächtigen Gräfin, welche von ihren Frauen gestützt wurde.

„Um des Himmels willen, Herr Markgraf,“ rief Hackeborn. „kommen Sie zu sich. Ich beschwöre Sie, lassen Sie kein brandenburgisch Blut fließen. Es kann sich Alles zum Guten wenden. Bedenken Sie, daß wir gehorchen mußten.“

„Heran! heran!“ schrie der Markgraf.

„Und kostet es mein Leben,“ rief Hackeborn, „lieber als das seine.“

  1. Der im Einverständniß mit Hackeborn handelnde Kammerdiener flüchtete nach Berlin.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 698. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_698.jpg&oldid=- (Version vom 23.3.2019)