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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

über seine Zeit und seine Fähigkeit, wirft er sich mit ganzer Kraft auf das Studium der Theologie, der Philologie, der Philosophie und der Geschichte, Wissenschaften, die ihm bei der religiösen Kritik, zu welcher er sich immer mehr und mehr hingezogen fühlt, behülflich sein sollten. Da er ohne Vermögen ist, ertheilt er Privatunterricht zu seinem Unterhalt. Einen Augenblick denkt er daran, sich für einen Lehrstuhl an der Universität vorzubereiten, doch kommt er bald von dem Gedanken zurück, sein Wirken durch ministerielle Vorschriften, durch allerlei Regeln beschränken zu lassen, und entscheidet sich für den freieren Weg der Belehrung durch die Druckschrift. Die von ihm verfaßten Abhandlungen „über die semitischen Sprachen“ und „über das Studium des Griechischen im Abendlande während des Mittelalters“, gewinnen ihm nach einander zwei Mal den Preis Volney. Schon in diesen Ausarbeitungen zeigt sich ein tüchtiges Wissen, Schärfe des Verstandes und eine außerordentliche Fähigkeit der Darstellung.

Der politische Umschwung von 1848 konnte einen Geist wie den des jungen Extheologen nicht unerfaßt lassen, und die Hoffnungen, welche er in jungen und sogar alten Gemüthern erregt, auf das Ende verjährter Mißbräuche, beschwingte die Gedanken des strebsamen Gelehrten. Die Wochenschrift „La liberté de penser“ veröffentlichte in dem verhängnißvollen Jahre eine Anzahl von Artikeln, welche dem Glauben die Prüfung, der Ueberlieferung das Urtheil gegenüberstellten und die man als Vorläufer des Werkes betrachten kann, dessen eben so weit gehender als rascher Erfolg staunen macht. Von da ab war die Richtung klar gezeichnet, in welcher der junge Gelehrte voranzuschreiten berufen und entschlossen war.

Und weder Entmuthigungen auf der einen, noch Verlockungen auf der andern Seite, nicht der traurige Rückgang der politischen Ereignisse seit dem Jahre 1851, nicht der Druck, der auf dem Gedanken lastete und noch lastet, nicht der Pakt der neuen Gewalt mit den Vertretern der unbedingten Tradition vermochten den forschenden Mann aus dieser Richtung zu bringen. In seinem Kopfe und in seiner Studirstube blieb trotz des Staatsstreichs die Freiheit. Sein Streben begann, vorerst freilich nur in einem beschränkten Kreise von Gelehrten und Schriftstellern, hier zu gewinnen, dort zu entrücken, hier Hoffnungen, dort schlimme Vorahnungen zu erregen. Allmählich nahm die Zahl der Anhänger und Widersacher zu, bis sie zu zwei Heeren anwuchs, die in diesem Augenblick feindselig, nicht ohne Erbitterung einander gegenüber stehen. Die Artikel, welche das „Journal des Débats“ und „La Revue des deux mondes“ seit 1851 aus seiner Feder veröffentlichten, thaten es kund, daß der 2. December und die schlimme Zeit, die der unheilvolle Tag brachte, an dem Eifer des Forschers nichts geändert, wenigstens nichts geschwächt haben.

Im Jahre 1855 erschien seine allgemeine Geschichte der semitischen Sprachen, welche in der Gelehrtenwelt Aufsehen machte. Ein Jahr darauf ernannte ihn die Akademie der Inschriften und schönen Wissenschaften zu ihrem Mitgliede und kurz nachher zum Mitglied der Commission der Literaturgeschichte von Frankreich, da die Stelle durch den Tod des großen Historikers August Thierry frei geworden war.

Nach seiner Rückkehr aus Italien, wohin ihn eine wissenschaftliche Sendung gerufen, hatte Herr Renan eine untergeordnete Anstellung in der kaiserlichen Bibliothek erhalten. Wer sich mit dem Gelehrten und seinem Wirken beschäftigte, dachte nicht daran, ihm diesen Anschluß an die Gewalt zum Vorwurf zu machen, da sein Wirken unverändert blieb und der bestehenden Ordnung der Dinge durch seinen freiheitlichen Charakter eher entgegentrat, als Vorschub leistete, und da seine Artikel in den Debats und der Revue des deux mondes, Organen der Opposition, statt im Constitutionel oder einem anderen Regierungsblatte erschienen. Etwas Anderes war es jedoch, als Herr Renan im Jahre 1860 dem Kaiser Napoleon vorgestellt ward und von diesem eine wissenschaftliche Mission nach Syrien erhielt, um daselbst den Schauplatz des größten welthistorischen Ereignisses zu untersuchen, den Spuren der heiligen Geschichte zu folgen. Man wußte, immer nur in engeren Kreisen, daß der Gelehrte von dem Herrscher mit außerordentlicher Liebenswürdigkeit empfangen wurde, und fürchtete – wenigstens wer den Gelehrten nicht genauer kannte – daß die glänzende Verlockung für die liberale Gesinnung des Strebenden zur Klippe werden könnte, an welcher sie zerschellen würde. Nichts war natürlicher als diese Furcht gegenüber dem Lager, das lediglich aus Ueberläufern besteht, und bei der allgemeinen Herabgekommenheit und Faulheit der Charaktere.

Die Berichte des Herrn Renan aus dem gelobten Lande über die Ergebnisse seiner Nachforschungen, wie es Brauch und Regel an den Kaiser gerichtet und im Moniteur abgedruckt, zogen die Aufmerksamkeit des größeren Publicums auf sich, das sich erstaunt durch die Behandlung von Gegenständen angezogen fühlte, die seiner Theilnahme und seinem Interesse so fern lagen. Man bewunderte den Reiz, den der talentvolle Schriftsteller trockenen Fachgegenständen zu verleihen wußte. Andererseits frugen seine Bundesgenossen bestürzt, wem nun seine Ueberzeugung angehöre, von der sich in seinen officiellen Berichten keine Spur befand. Sein Name fing an, viel genannt zu werden, man wußte aber nicht, welche Bedeutung ihm zu geben sei.

Diese Zweifel wurden noch lebhafter, als Herr Renan nach seiner Rückkehr aus Palästina zum Professor der hebräischen, syrischen und chaldäischen Sprache am College de France ernannt wurde. Die Frommen und die Liberalen, welche beide den Werth des Streiters erkannten, erschraken in gleichem Maße. Jene fürchteten den heiligen Eifer des Forschers, der sich nun einmal herausnahm, das freie Urtheil über das Dogma, die Natur dem Wunder entgegenzusetzen und die Ueberlieferung der Kritik zu unterwerfen. Da die intimen Beziehungen zwischen dem Kaiserreich und der Klerisei durch die Schlachten von Magenta und Solferino aufgehoben worden und Reibungen der leidenschaftlichsten Art zwischen den beiden Gewalten eingetreten waren, nahmen sie die Ernennung des ungläubigen Professors für einen Trotz, welcher der Kirche geboten werde. Die Freisinnigen besorgten, daß Herr Renan, wie es so viele Andere gethan, die Gunst der Regierung durch den gänzlichen Abfall von seinen Ueberzeugungen erkauft, daß er sich mit seinem Wollen und Denken dem Bonapartismus verschrieben habe.

Erwartungsvoll, unruhig sahen die verschiedenen Parteien der ersten Vorlesung entgegen, in welcher, wie es angekündigt wurde, der Professor seine Anschauung der heiligen Geschichte, die mit seinem Lehrgegenstand eng zusammenhängt, als Glaubensbekenntniß darlegen würde.

Mehr als die anderen Theile von Paris mußte das lateinische Viertel von den schwankenden Voraussetzungen, von dem Getümmel der widersprechenden Gerüchte ergriffen werden.

Unter der studirenden Jugend zeigten sich um jene Zeit Spuren eines erwachenden politischen Lebens. Die Schüler hatten kurz vor der Ernennung des Herrn Renan zum Professor geräuschvolle Demonstrationen gegen Edmond About gemacht, von welchem ein Stück, „Gaitana“, im Odeontheater zur Aufführung kam, und hatten verhindert, daß das Drama zu Ende gespielt wurde. Der Grund dieser Feindseligkeit war der Anschluß des Dichters an die kaiserliche Regierung, sein Auftreten in den bonapartistischen Blättern Opinion Nationale und Constitutionnel, nachdem er sich vorher zu liberalen Grundsätzen bekannt hatte.

Der religiöse Einfluß, welcher seine Anknüpfungspunkte eben so gut im lateinischen Viertel, wie anderwärts hat, suchte die gereizte Stimmung der Studenten zu benützen und gegen Renan zu wenden, der zum Schweigen gebracht werden sollte. Durch diese Umtriebe wurde eine wahre Verwirrung unter die jungen Leute gebracht, die nicht wußten, ob sie in Renan einen Bonapartisten verachten, oder einen Eiferer für Wahrheit und Licht hochschätzen sollten. Die Freunde About’s vermehrten noch diese Unklarheit. Um den Dichter als einen Märtyrer klerikaler Umtriebe darzustellen, wiesen sie auf die Feindseligkeit der studirenden Jugend gegen den Professor hin, welche sie aus eben den nämlichen Umtrieben herleiteten. So standen die Dinge, als der mit Spannung erwartete Tag der Vorlesung herankam. Die Aufregung im lateinischen Viertel, welche sich der Bevölkerung von Paris in verschiedenen Graden mitgetheilt hatte, ließ keinen Zweifel an bevorstehenden Kundgebungen übrig, nur über den Sinn derselben herrschte Ungewißheit. Die Behörde ergriff Vorsichtsmaßregeln, um einer Bewegung Meister zu sein, wenn dieselbe, was bei dem vorherrschenden Geiste unter den Studenten zu befürchten stand, größere Umrisse anzunehmen drohte. Der Auflauf vor dem Hause des Herrn About, welcher die polizeilichen Vorkehrungen zu umgehen wußte, diente ihr zur Warnung.

Um mich von dem Charakter und der Bedeutung der Vorfälle zu überzeugen und nicht von den Gerüchten irre geführt zu werden,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 710. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_710.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)