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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Meine Tante Therese.
Keine erfundene Geschichte.
(Fortsetzung.)

Der Fremde öffnete den Schlag des Wagens und half einer noch ziemlich jungen Frau aussteigen, der man das Leiden und die Angst und Sorge ansah. Sie blickte sich unruhig auf dem Hofe und nach dem Hause um. Zwei Kinder folgten ihr, ein Paar Mädchen von vier und sechs Jahren. Das älteste war krank; es mußte stark fiebern und ließ das Köpfchen und die Aermchen lang und schlaff herunterhängen. Der Fremde, indem er es aus dem Wagen hob, legte es unmittelbar in die Arme der Mutter, in denen es auch wohl im Wagen gelegen hatte.

„Sie wollen uns hier aufnehmen?“ sagte, die leidende Frau, einfach und dankbar mit Wort und Blick. „Möge der Himmel Sie dafür segnen.“

„Haben Sie die Güte, mir zu folgen,“ sagte die Tante.

Sie nahm das kleinere Kind bei der Hand. Die fremde Dame trug das kranke Kind, der Herr hatte Sachen aus dem Wagen genommen, Kisten, Shawls, einen kleinen Reisesack. So führte die Tante sie in die erleuchtete Halle des Hauses. Eine Magd stand mit einer Laterne da, sie öffnete die Thür zu der Wendeltreppe und leuchtete nach oben hinauf.

Die Tante mußte sich unwillkürlich die Menschen näher ansehen, die sie nach oben führen wollte, denn sie hatte sie nur draußen in dem letzten Zwiedunkel des Abends gesehen. Zuerst fiel ihr Blick auf die Frau. Sie sah in ein feines, vornehm geschnittenes, kummer- und leidenvolles Gesicht. Und Kummer und Leiden in diesem Gesichte waren nicht blos von heute oder gestern; sie waren älter, vielleicht schon Jahre alt. Der stattliche Mann mit der vornehmen Haltung war die rücksichtsvollste und höflichste Aufmerksamkeit selbst gegen die Frau. Aber es standen Zeugen dabei, und in seinem Gesichte glaubte die Tante Härte und Rücksichtslosigkeit zu lesen. Ein Mann von Welt war er jedenfalls.

Was die Leute waren, woher sie kamen und wohin sie wollten, was sie mit den kleinen Kindern, von denen das eine in der Hitze des Fiebers lag, in diese abgelegene Haide, in das Dunkel der Nacht, in die Gefahren und Schrecken des Krieges trieb: meine Tante konnte sich keine Antwort auf diese Fragen geben. Sie führte die Menschen die Wendeltreppe hinauf, denn sie hatte ihnen einmal die Aufnahme gewährt, und sie hatte Zimmer für sie nur da oben. Sie stiegen die Wendeltreppe hinauf und gingen in die Zimmer des Freiherrn, wie sie genannt wurden. Die alte Christine hatte sie schon geordnet, ein Knecht auf ihren Anweis in dem Kamin ein lustiges Feuer gemacht.

„Machen Sie sich es hier bequem,“ sagte die Tante zu der fremden Dame. „Die alte Christine wird in Allem zu Ihrer Verfügung stehen.“

Darauf kehrte sie zurück, horchte aber in dem Gange, hinten nach dem Ende hin, wo der Verwundete in dem Thurmstübchen lag, und nach dem Seitengange hin, wo sich der Schwachsinnige befand. Sie hörte auf keiner Seite etwas und ging ruhig, wenn auch mit schwerem Herzen, zur Großmutter zurück.


5. Der Verräther.

Ja, mit schwerem Herzen trat meine brave Tante zu der Großmutter ein, obwohl sie ein gutes Werk gethan. Zu ihren schweren Sorgen hatte sie eine neue übernommen, und das Herz sollte ihr noch schwerer werden. Sie war beschäftigt, den Korb mit Gold- und Silbersachen leichter zu machen, sie hatte die alte Christine den Fremden zur Verfügung gestellt und mußte also allein den Korb tragen. Sie erzählte der Großmutter unterdeß, wie sie die Fremden aufgenommen habe. Die alte Frau war mit Allem zufrieden.

Die Tante wurde in ihrer Arbeit unterbrochen. Die alte Christine trat in das Zimmer. Sie sah erschrocken, ängstlich aus.

„Was ist’s?“ wollte die Tante sie fragen.

Die Magd gab ihr einen Wink hinter dem Rücken der Großmutter. „Draußen!“ sagte der Wink.

Draußen war es still geworden. Die Dunkelheit des Abends war völlig da. Man hörte kein Schießen mehr.

Der Korb war wieder gefüllt, die Tante und die Magd trugen ihn fort, die Wendeltreppe hinauf nach dem Stübchen im spitzen, runden Thurme.

Unterwegs erzählte nun Christine, was sie Heimliches zu sagen hatte: „Zuerst von den Fremden, Mamsell.“

„Du hast noch mehr zu erzählen?“

„Ja, aber nachher. Mamsell, die Fremden kennen uns.“

„Aber wir kennen sie nicht, Christine.“

„Sie kennen auch nur die Namen. Sie hatten kaum das Zimmer verlassen, Mamsell, so fragte mich der fremde Herr, wo er hier sei. Auf Schloß Hawichhorst, antwortete ich ihm. Der Name mußte etwas ganz Besonderes für ihn haben; er wurde weiß, wie der Kalk an der Wand. Und die Frau, Mamsell, war plötzlich in die Höhe gefahren, daß das kranke Kind, das sie auf dem Schooße hatte, aufwachte und laut weinte. Sie sah ängstlich nach ihrem Manne hin, dieser aber stellte sich zwischen sie und mich,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_721.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)