Seite:Die Gartenlaube (1863) 723.jpg

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Ja,“ sagte meine Tante.

„Und darf ich erfahren wer es ist?“

„Es ist der Freiherr Adalbert.“

„Das war meine Ahnung. Wer sonst hätte hierher kommen können? Und nun, Mamsell Therese, müssen Sie Alles wissen. Der Freiherr schwebt hier, wenn Franzosen hierher kommen, in der offenbarsten Lebensgefahr. Jener Commandant der Gensd’armerie hat, wie ich unterwegs erfuhr, in der vergangenen Nacht heimlich die Stadt und seinen Posten verlassen, unzweifelhaft, um den Preußen seine Dienste anzubieten. Es giebt solche Verräther zu allen Zeiten und für alle Sachen; die schlechte Sache liebt den Verrath; die gute kann ihn manchmal nicht von sich stoßen; sie verachtet nur den Verräther, wie auch dieser schurkische Edelmann schon von den Franzosen verachtet wurde, die in dem fremden Lande seine Dienste annahmen. Diesmal hatte er sich verrechnet. In der Stadt hatte sich gestern das Gerücht verbreitet, ein ganzes preußisches Armeecorps sei im Anmarsch, die Avantgarde sei nur noch ein paar Meilen entfernt. Sofort in der Nacht machte er sich heimlich auf und davon, mit seiner Familie, mit seinen Kostbarkeiten. Das Gerücht war ein voreiliges gewesen. Nur eine kleinere Abtheilung Preußen war gekommen; die Franzosen hatten nicht die Flucht ergriffen, wie er erwartet hatte, sie waren den Preußen entgegengerückt, von allen Seiten, um sie zu umzingeln. Man meinte, der Commandant der Gensd’armerie müsse nothwendig in ihre Hände gefallen sein und seinen verdienten Lohn der Desertion und des Verraths empfangen haben. Da hat er hier eine Zuflucht gefunden, und, Mamsell, er kennt die Geschichte des Freiherrn Adalbert, und wie ich bei jenen Worten des Schwachsinnigen zunächst an den Freiherrn Adalbert denken mußte, so wird auch sein erster Gedanke sich auf diesen gerichtet haben, und er wird, wenn die Franzosen hierher kommen, das verwirkte Leben durch einen neuen Verrath zu retten suchen.“

Der Verwalter hatte Recht, und meine arme Tante war einen Augenblick wie betäubt. Sie hatte den Mörder ihres Bruders aufgenommen, um ihn zum Mörder ihres Geliebten zu machen! Aber sie erholte sich; sie mußte es und konnte es, denn sie mußte ja an die Rettung des Geliebten denken.

„Helfen Sie mir, Herr Buschmann; wohin bringen wir den Freiherrn? In dem Thurmstübchen ist er nicht sicher.“

„Nein, Mamsell, dort ist er nicht sicher. Der Schurke braucht nur in seinem Zimmer mit der Hand dahin zu zeigen um ihn zu verrathen.“

„Und wohin dann mit ihm?“

„Auch unten in dem Thurme ist er nicht sicher. Die Thüren oben und unten sind zwar von dem stärksten Eichenholz, mit schwerem Eisen beschlagen; aber für den Triumph, ihrem Kaiser den deutschen Freiherrn, der zu dem Feinde übergegangen ist, überliefern zu können, würden die Franzosen das ganze Schloß demoliren. Der Freiherr ist in diesem Hause nirgends sicher. Er muß fort, und auf der Stelle; denn trotz jenes Gerüchts und der Stille draußen können die Franzosen hierher kommen.“

„Aber er ist schwer verwundet!“ sagte die Tante.

„Hat er mit seinen Wunden hierher kommen können, so muß er auch mit ihnen wieder fort können. Ich werde für ihn sorgen, Mamsell.“

„Sie wollen ihn führen? Wohin?“

„In den Wald, dort weiß ich eine Stelle, zu der kein Franzose kommen wird. Sie ist nicht weit von hier. Jener schuftige Gensd’armerieofficier darf nur von Nichts wissen. Gehen wir deshalb von unten in den Thurm, aber sofort.“

„Kommen Sie,“ sagte die Tante.

Auch sie wußte keinen besseren Rath. Sie standen noch unten an der Treppe in der Halle und wollten in die Wohnstube gehen. Die Tante wollte dort der Großmutter die Anwesenheit des Freiherrn Adalbert mittheilen; denn nur durch die Wohnstube konnte dieser geführt werden, wenn der Fremde ihn nicht oben gewahren sollte. Es war zu spät.

Draußen fielen starke, eilige Schläge an das große Einfahrtsthor; sie hallten über den Hof wieder an den Mauern des Schlosses, im Schlosse an den Wänden der Halle.

„Was war das?“

„Ihr Bruder Franz wird zurück sein,“ meinte der Verwalter.

„Aber das sind Schläge der Angst, der Todesangst eines Verfolgten.“

Im Augenblicke nachher wurden Schüsse gehört. Sie fielen in der Haide, in der nächsten Nähe des Schlosses.


6. Ein Kampf.

Der Onkel Franz, der jüngste Bruder der Tante Therese, war nach Hause zurückgekommen. Er war nach Mittag ausgeritten, um auf einem etwa anderthalb Meilen entfernten Gute einen Besuch zu machen. Als er gegen Abend hatte zurückreiten wollen, war auch dort das Schießen gehört worden, und er war geblieben, um nicht zwischen die streitenden Theile oder unter Fliehende zu gerathen. Als es später nach eingetretener Dunkelheit still geworden, hatte er um so mehr den Rückweg angetreten, als er sich wohl denken konnte, daß die Seinigen sich seinetwegen ängstigen würden. Er hatte anfangs unterwegs Alles ruhig gefunden, auch noch in der Haide, von der er einen Theil passiren mußte. Wie er aber, kaum fünf Minuten von Schloß Hawichhorst entfernt, dem Walde nahe kam, glaubte er nach dessen Rande hin eine Bewegung wahrzunehmen. Er hielt sein Pferd an, und überzeugte sich bald, daß eine Reiterschaar langsam an dem Walde entlang ziehe, in der Richtung nach dem Schlosse hin. Er war zweifelhaft, was er thun, ob er ihr zuvorkommen sollte, oder ob er sie solle vorbeiziehen lassen. Während er darüber nachsann, fielen plötzlich Schüsse aus dem Walde auf die Reiter, es mußte ein für sie unvermutheter Ueberfall sein; die Pferde stoben auseinander.

Mein Onkel wartete das Weitere nicht ab. Er gab seinem Pferde die Sporen und jagte zum Schlosse, sprang am Thore vom Pferde, schlug an das Thor und rief mit lauter Stimme um Einlaß. Aber die Reiterschaar war ihm gefolgt, und dieser folgten die Schüsse. Der Knecht Christian konnte kaum das Thor öffnen, meinen Onkel einlassen, das Thor wieder verschließen, da waren Reiter und Schüsse fast unmittelbar da, und sie waren da im wilden Kampfe. Meine Tante und der Verwalter waren, als sie das Schlagen an das Thor und die Schüsse hörten, zunächst zu der Großmutter geeilt, der alten, gelähmten, an den Platz ihres Rollstuhls gefesselten Frau. Der Onkel Franz stürzte zu ihnen in das Zimmer. Er erzählte ihnen, was er gehört hatte; gesehen hatte er in der Dunkelheit nichts.

Das Gefecht, das vorhin am Walde stattgefunden hatte, war nicht blos durch die Dunkelheit unterbrochen, es war durch den Sieg einer Partei geendet. Die besiegte Partei hatte sich in den Wald geworfen, wenigstens ein Theil von ihr. Die Sieger suchten für die Nacht sichere oder vortheilhafte Positionen aus, zur Erneuerung des Kampfes oder zur Verfolgung der Besiegten am folgenden Morgen. Zu den Siegern gehörte die Reiterschaar, die an dem Saume des Waldes entlang gezogen war. Sie war nicht groß, sie war sorglos geritten, der Nähe oder eines Ueberfalls des besiegten Feindes nicht gewärtig. Dieser war nahe oder gewahrte das kleine, sorglos daherziehende Häuflein und schoß darauf ein, die Reiter flohen, jene verfolgten. Vor dem Thore des Schlosses gewann der neue Kampf Halt und Bestand.

Wer die früheren Besiegten und jetzigen Verfolger, wer die früheren Sieger und die jetzt Verfolgten waren, darüber erhielten sie Gewißheit.

Der Onkel Franz hatte schon die Vermuthung ausgesprochen, die verfolgten Reiter seien Franzosen; er meinte, als bei dem Ueberfall die Schaar auseinanderstob, französische Flüche gehört zu haben. Die Tante Therese hatte für sich dieselbe Vermuthung; nach den Mittheilungen des Freiherrn Adalbert war anzunehmen, daß in jenem Gefechte preußische Infanterie von den Franzosen in den Wald geworfen sei; die französischen Carabiniers hatten sie selbst vorüberziehen sehen, und – was man hofft, das glaubt man: wurden die Franzosen jetzt von den Preußen verfolgt, dann war Schloß Hawichhorst erst sicher vor ihnen, mit Allem, was im Schlosse war.

Die Vermuthung der Tante wurde bestätigt. Aber wie sie bestätigt wurde, war ihre Hoffnung zerstört. Mitten durch das Schießen tönte ein Trompetensignal.

„Französische Trompeten!“ riefen sie Alle in der Stube. Sie kannten die Töne der französischen Trompeten.

„Aber das ist hinten in der Haide!“

„Und es kommt näher.“

„Es ist Succurs für die verfolgten Reiter. Das Signal kündet ihn an.“

„Und sie kommen im Galopp über die Haide, sie sind schon da.“

Kein Wort weiter wurde gesprochen. Meine Tante, mein Onkel, der Verwalter standen athemlos um den Rollstuhl der Großmutter. Die alte Frau athmete leiser. So horchten sie alle Vier.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 723. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_723.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)