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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

„Und was willst Du mit der Frau, Mutter?“ fragte die Tante.

„Geht,“ sagte die Großmutter. „Geht Alle, Jeder zu seinem Platz. Seid schnell und vorsichtig.“

Die Tante fragte nicht weiter. Sie gingen Alle. Die gelähmte Großmutter in ihrem Rollstuhle blieb allein zurück.

Sie faltete die Hände, die alte fromme Frau. Sie hob die Augen zum Himmel empor und betete mit halblauter Stimme: „Du lieber Vater im Himmel, führe und leite sie glücklich. Lenke die Herzen der Anderen. Gieb uns Allen deinen Schutz!“


(Schluß folgt.)



Das Steppenhuhn.
Eine Bitte an alle deutschen Jäger.
Von Brehm.

Unter den Vogelkundigen ist es Brauch, als deutschen Vogel jeden anzunehmen, welcher nur einmal innerhalb der Marken unseres Vaterlandes vorgekommen ist. Dieser Gewohnheit zufolge zählen die Lehrbücher unter den wirklich einheimischen Vögeln eine ganze Anzahl solcher, welche, aus anderen Erdtheilen oder wenigstens anderen Ländern unseres Erdtheils stammend, durch irgend einen Zufall einmal bis zu uns verschlagen und frei angetroffen wurden. Man hat in dieser Hinsicht eigenthümliche Vorkommnisse bezeichnet. Riesensturmvögel, Bewohner des Weltmeeres, sind auf dem Rhein erlegt, Fregattvögel, die Adler der See, welche hauptsächlich der Westhälfte der Erde angehören, an den Nordseeküsten beobachtet, Albatrosse, deren Schiffername „Capschafe“ auf ihre Heimath deutet, wiederholt bei uns geschossen werden. Man hat außerdem Flamingos und Pelekane, beide den Mittlmeerländern angehörend, erlegt; amerikanische Drosseln sind wiederholt bis nach Deutschland herbeigekommen, und eine ganze Anzahl anderer Vögel hat sich in solcher Weise Bürgerrecht bei uns erworben. Von besonderer Wichtigkeit für die fremden Gäste ist das kleine Eiland Helgoland geworden, seitdem ein recht fleißiger und tüchtiger Naturforscher, der Maler Herr Gaetke, dort wohnt. Die verschlagenen und verirrten Vögel scheinen genannte Felsklippe als einen Haltepunkt ihrer Reise zu betrachten und sich ermüdet dort niederzulassen. Auf anderen Inseln der Nordsee wird es wohl ebenso sein, ihnen fehlen aber die Geschichtschreiber der Vogelwelt, deshalb haben wir von auffallenden Vorkommnissen dieser Art fast ausschließlich nur von Helgoland her Kunde empfangen.

Alle die hier genannten und gemeinten Vögel erschienen einzeln, so recht offenbar als verschlagene Irrlinge; manche von ihnen kamen sogar nur ein einziges Mal vor das Auge des Kenners. Zu den sehr seltenen Fällen gehört es, wenn einmal ein Flug Bienenfresser aus seiner südeuropäischen Heimath sich aufmachte und, die diesen Thieren eigene Geselligkeit auch auf der Wanderung nicht verleugnend, bis nach Deutschland herüberstreifte. Die alte Leipziger Chronik erwähnt eines solchen Falles als etwas ganz Außerordentliches.

Noch viel Ungewöhnlicheres hat uns und, wie ich hoffen darf, auch den sämmtlichen Lesern der Gartenlaube das Jahr 1863 gebracht. Durch unerklärliche Ursachen bewogen, hat sich, den wandernden Hunnenschaaren vergleichbar, ein zweifelsohne nach Tausenden zählender Schwarm mongolischer Vögel aus seiner Heimath aufgemacht und ist durch halb Asien hindurch und über einen großen Theil Europa’s hinweg bis zu uns geflogen. Der Weg, welchen diese Thiere genommen haben, läßt sich durch einen Blick auf die Karte leicht bestimmen. Sie flogen in der Richtung von Südost nach Nordwest durch die ungeheuren Steppen des inneren Asiens, welche ihre Heimath bildeten, über das kaspische Meer hinweg, am Kaukasus vorüber, die nördliche Küste des schwarzen Meeres entlang, durch die Donautiefländer, Ungarn und Schlesien hindurch und verbreiteten sich strahlenförmig über das nordwestliche Deutschland und die dänischen Inseln. Wie zu erwarten, fanden sie sich auch in Helgoland ein und wurden dann auch gleich dort von Herrn Gaetke gejagt, gefangen und beobachtet. In ungleich größerer Anzahl aber fielen sie auf der friesischen Insel Borkum, dem Dollart gegenüber, ein und fanden auch hier einen Sachverständigen, welcher ihr Leben und Treiben beobachtete. Nach und nach ist nun durch die Zeitungen und briefliche Nachrichten festgestellt worden, daß die Steppen- oder Fausthühner, eben die gedachten Vögel, fast überall in Nord-, und Ostdeutschland sich gezeigt haben, und Dr. Karl Bolle in Berlin, ein sehr eifriger Naturforscher, hat es sich angelegen sein lassen, die betreffenden Nachrichten zusammenzutragen. So sind denn folgende Orte oder Gegenden und Daten verzeichnet worden, in und an denen man Steppenhühner beobachtete. Sie kamen vor: am 17. Mai bei Polkwitz in Schlesien, am 18. Mai in der Tuchelhaide in Westpreußen, am 20. Mai im Dessauischen, am 25. Mai zwei Mal in der Provinz Sachsen, am 28. Mai im westlichen Hannover, am 4. Juni im Havelland, am 6. Juni auf der Herrschaft Dobrisch in Böhmen, am 16. Juni im Kreise Ortelsburg in Ostpreußen und am 4. August endlich bei Roßbach in Böhmen. Einzelne wurden blos gesehen, aber erkannt, andere gefangen oder erlegt, die meisten aber dadurch erbeutet, daß sie, die unklugen Kinder der weiten Steppe, gegen die Telegraphendrähte anprallten und dabei die Flügel brachen oder sofort getödtet wurden. Diesen Angaben sind außer dem schon bemerkten Vorkommen auf Helgoland, Seeland und Borkum noch Mittheilungen aus Böhmen und Ungarn hinzuzufügen, welche ich der Güte des Grafen Lázár in Broos in Siebenbürgen verdanke.

Bis jetzt mag es den Lesern geschienen haben, daß ich nur von einer Merkwürdigkeit berichten wolle. Die Sache aber verhält sich etwas anders. Der Zweck meines Berichtes war nicht, trockene Angaben zusammenzufassen oder zu wiederholen, sondern vielmehr allen Grünröcken, d. h. allen Waidmännern und Jagdberechtigten, eine Bitte an das Herz zu legen. Dafür habe ich die Gartenlaube gewählt, weil ich wünsche, daß diese Bitte auch wirklich zum Herzen gelange. Ich bitte freundlich um Gastfreundschaft für die asiatischen Fremdlinge, denn erst die letzten Tage haben mir den unumstößlichen Beweis geliefert, daß es den mongolischen Hühnern bei uns gefallen hat, daß sie nicht wieder verschwunden sind, sondern den ganzen Sommer bei uns zugebracht und höchst wahrscheinlich gebrütet haben. Vor wenig Wochen, am 10. October, sind in nächster Nähe meines jetzigen Wohnortes, Hamburg, drei Steppenhühner erlegt worden. Der Hamburger Thiergarten erhielt durch einen glücklichen Zufall fünf Stück dieser Hühner lebend, das eine von Helgoland, die übrigen aus Seeland. Sie befinden sich bei gewöhnlichem Körnerfutter bis jetzt sehr wohl.

Um nun jedem Leser dieser Zeilen das Erkennen des Steppenhuhnes zu erleichtern, und um meine Bitte zu unterstützen, will ich hier in der Kürze eine Leibes- und Lebensbeschreibung der anziehenden Geschöpfe geben.

Afrika und Asien, diese sich in vieler Hinsicht verwandten Erdtheile, erzeugten zwei Hühnerformen, welche von allen übrigen sich unterscheiden. Sie sind als Mittelglieder zwischen den Tauben und Hühnern anzusehen, sie sind Hühnertauben oder Taubenhühner, wie man will. Die Einen bewohnen die Wüsten, die Andern die Steppen, und Beide tragen nach ihrer Heimath ihren Namen. Man muß anerkennen, daß sie für derartige arme Gegenden in der günstigsten Weise ausgerüstet sind. Der ganze Vogel ist hauptsächlich Flügel und Flügelmuskel. Das arme Wohngebiet bedingt Bewegungsfähigkeit seiner Bewohner, denn ohne diese Fähigkeit würden die Wüsten- oder Steppenthiere geradezu verhungern müssen. Und Bewegungsfähigkeit besitzen diese Hühner – das haben beide bewiesen; denn auch die afrikanischen Verwandten unserer Steppenhühner haben Deutschland bereits wiederholt besucht, haben Spazierflüge gemacht von Afrika bis zu uns. Neben dieser Bewegungsfähigkeit ist beiden Vögeln Gleichfarbigkeit ihres Gefieders mit der Bodenfläche gemein. Die gedachten Vögel tragen ein Sandkleid, wie es vollendeter nicht gedacht werden kann. Ein grauliches Fahlgelb ist die Grundfärbung; von ihr sticht eine ebenso mannigfache als schöne Zeichnung ab. Wenn man ein Wüsten- oder Steppenhuhn in der Nähe betrachtet, erstaunt man über den Reichthum dieser Zeichnung. Pünkchen, Wellenlinien, Striche, breite Bänder um Hals und Brust, lebhaft gefärbte Stellen, das Alles wechselt mit einander ab. Einfarbig ist das Gefieder nur an Kopf, Hals,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_726.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)