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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

mit seiner Schaar über die ungarische Grenze gedrängt wurde. Hier begann er das alte Unwesen sofort wieder. Schon der Name Bergam reichte hin, um eine panische Furcht hervor zu rufen. Derselbe hatte die Frechheit, in Sellyé, einem fürstlich batthyanyi’schen Marktflecken mit 4000 Einwohnern, 4 Stunden von Fünfkirchen, sich dem Rentmeister Szatoretz, in Gegenwart des Hofrichters und acht anwesender Gäste, am hellen Tage vorzustellen und sich den Inhalt der herrschaftlichen Casse auszubitten, der ihm auch, aus Furcht vor den Spießgesellen des Räubers, ohne allen Widerstand ausgeliefert wurde.[1] Bei dem Güterdirector Hoszi Falu bei Somogy lud er sich brieflich mit zehn seiner Gefährten zu einem Frühstück ein, und knüpfte die Bitte daran, einen der Amtsschreiber, welcher durch eine sehr schöne Stimme bekannt war, zu bewegen, die Gesellschaft gegen eine gute Belohnung durch seine Vorträge zu erfreuen. Man würde Allen weiter nicht das Geringste anhaben, und nach dem Mahle ruhig des Weges ziehen. Dies geschah, die „armen Jungen“ fanden bei ihrer Ankunft in einer Veranda eine reichgedeckte Tafel vor, an der sie sich bescheiden niederließen, und den gut zubereiteten Speisen, so wie den feinen Weinen des königlichen Schloßkellers eben so viel Gerechtigkeit widerfahren ließen, als dem kunstvollen Liedervortrage des musikalischen Schreibers. Als der letztere seinen Schatz erschöpft hatte und auf das lebhafte Andringen der Anwesenden noch etwas Neues bringen sollte, erklärte er, er wisse wohl noch ein schönes Lied, dies würde ihnen aber nicht gefallen, es sei, meinte der Sänger verlegen, es sei – eben „ein Räuberlied“. Das thäte nichts zur Sache, er solle es nur singen. Nun begann der Schreiber eines der wild-romantischen Lieder vorzutragen, worin die Vorzüge des freien Wald- und Räuberlebens gepriesen werden, jede Strophe endet indeß mit dem unbehaglichen Refrain: „Denn das End’ ist doch der Galgen!“ Immer gedämpfter wurde während dieses Gesanges die laute Fröhlichkeit der Spitzbuben, manches trotzige Auge wurde feucht, manch schwerer Kopf sank auf die unterschlagenen Arme herab.

Mit artigen Dankesworten an den Güterdirector, sonst aber lautlos, entfernte sich die Bande, nachdem Bergam dem Sänger noch zehn, und der Dienerschaft zwei Ducaten eingehändigt hatte. In Keszthely überraschte der Räuberhauptmann eine Gesellschaft Whistspieler, wovon er den einen aufforderte, sofort nach Hause zu reiten, und die fünftausend Gulden zu holen, die er an demselben Tage eingenommen habe, er – Bergam – werde während der zwei Stunden, bis er zurück sein könne, für ihn im Whist eintreten. So entsetzlich war die Furcht vor den Folgen einer Weigerung und der Verwegenheit Bergam’s, daß der Aufgeforderte schleunigst das Geld zur Stelle schaffte, während die Zurückgebliebenen mit dem unheimlichen Partner ihre Spielpartie fortsetzten. Derlei Bravouren umgaben den Banditen, namentlich in den Augen der Bauern, deren Eigenthum er nie verletzte, im Gegentheil als Gast derselben Gold mit vollen Händen ausstreute, mit einem Nimbus, welcher ihm Thür und Thor öffnete, wo er immer anklopfte. Man wußte, daß er nur die Reichen plündere und jeden Verrath schwer strafe.

In Peterd, 2½ Stunde von Fünfkirchen entfernt, ließ er, in Gegenwart des hierzu herbeigeholten Richters und der Dorfältesten, einen Bauer öffentlich erschießen, weil er den Versuch gemacht hatte, den Preis, der auf des Räubers Kopf gesetzt war, durch Verrath zu verdienen. – Das streng überwachte Waffenverbot, welches seit dem Jahre 1849 in ganz Ungarn herrscht, gab ihm seine Opfer fast wehrlos in die Hände.

Da erbot sich der Lehrer Ducz in Bogdasa, welcher mit Bergam in Verkehr stand und, wie das Gerücht behauptet, bei der Gelegenheit zum doppelten Verräther wurde, den gefürchteten Mann in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern, wenn ihm dafür eine Anstellung an einem fernen Orte und der ausgesetzte Preis von achthundert Gulden garantirt würde. Bergam pflegte mit einem Theil seiner Bande von Zeit zu Zeit bei Ducz einzukehren und kleine Festgelage zu veranstalten. In Folge der Denunciation des Ducz wurden die Panduren Glatz Istvan, Antal, Kovats Pál, Erdö Josef, Bognar György, Berbély Janos und Gyura Andras unter Anführung ihres Corporals Babarzi Janos nach Bogdasa commandirt, und in nächtlicher Stille im Hause des Lehrers auf den Heuboden versteckt. Unter einem riesigen Haufen Kukurutz[2] mußten sich die armen Teufel acht Tage lang verborgen halten, „was sehr unangenehm und mit vielem Leiden verbunden war“, wie sich Babarzi in seiner naiven Schilderung ausdrückt. In der neunten Nacht gegen zwei Uhr Morgens kam Bergam mit zehn seiner Gesellen an, wo sie sich bis sieben Uhr Abends lärmend unterhielten, trotzdem, daß der Lehrer dem Wein einen Schlaftrunk beigemischt hatte, welcher sich aber nicht als wirksam genug erwies, denn beim Ueberfall wehrten sich die Banditen noch wie Verzweifelte. Bergam erhielt von Babarzi einen Schuß durch die Brust, auch der Seb Ferenz, einer seiner Cameraden, wurde tödtlich verwundet und starb während des Transportes, Radicz, der gefangen wurde, zierte den Galgen von Sziklos, die Uebrigen entsprangen.

So weit das Drama, welches nicht ohne blutiges Nachspiel enden sollte.

Acht Tage nach dem Ueberfall der Räuber erschienen mehrere Cameraden derselben in Bogdasa. Da sie den Lehrer Ducz nicht mehr in seiner Behausung fanden – derselbe hatte eine Anstellung als Aufsichtsbeamter gegen die Banditen bei der Sicherheitsbehörde in Sziklos erhalten – so zerrten sie dessen greisen Schwiegervater und seinen Schwager aus ihren Wohnungen; vergebens war alles Flehen der Ortsbewohner, den schuldlosen alten Mann und dessen Sohn zu schonen, die sonst so stillen Mauern des Dorfes hallten wieder von dem Schreckensgeschrei der Unglücklichen und ihrer Mitbürger, auf offenem Markte und im Angesicht der ganzen Bevölkerung wurden die Aermsten von den Banditen erschossen.

Solche Zustände finden sich in Ungarn, ohne daß die Behörden dem Unwesen ein Ende machen können – oder wollen. Der Pandurencorporal Babarzi erhielt übrigens als Belohnung dafür, daß er den berüchtigten Räuber Bergam „gestellt“ hat, die Summe von neunzig Gulden österreichischer Währung als Prämie ausbezahlt. Wer wird sich in Zukunft dazu drängen, um diesen Preis sein Leben zehnfach auf’s Spiel zu setzen! –

Seitdem sind die Strolche eingeschüchtert, und man hört, wenigstens im Baranya-Comitat, nichts von neuen Gräuelthaten; wie lange aber der Landfrieden dauern wird, dürfte eine Frage ohne Lösung sein! –

Prachtvoll liegt das Schloß auf der Anhöhe der Stadt Sziklos, die Gegend beherrschend, jetzt freilich nur als Gerichtsgebäude und Gefängniß benutzt. Früher Eigenthum des unglücklichen Grafen Batthyanyi, konnte dieser, auf den Zinnen seiner stolzen Burg stehend, sein trunknes Auge nach allen Seiten in die weitesten Fernen schweifen lassen und mit Schiller ausrufen: „Dies alles ist mir unterthänig!“ Jetzt sind die Mauern halb verfallen, die prächtigen Gemächer, welche in glanzumstrahlten Räumen die seidenen perlengestickten Gewänder der schönen Edelfrau dahin rauschen, die goldenen Pokale kreisen sahen, bewohnen jetzt der Gerichtsbeamte, der Pandur und einige eingefangene Spitzbuben, welche auf dem schmutzigen, ehemals so blanken Estrich verdrossen sich herum wälzend ihrem Schicksal entgegen sehen.

Der untere Theil von Sziklos ist im strengsten Sinn des Wortes eine Zigeunerstadt, vielleicht die einzige in ihrer Art in Europa. Der Güte des dortigen Notars, in dessen Begleitung wir die originelle Stadt durchstrichen, verdanken wir es, daß uns keine Thür derselben verschlossen blieb. Wer sich in altherkömmlichem Vorurtheil unter einem Ort, der nur, aber am allernursten, wie der Kladderadatsch sagen würde, von Zigeunern bewohnt wird, ein Conglomerat von Schmutz und Unrath denkt, der hat sich einen sehr falschen Begriff von Sziklos gemacht. Selbst in Holland habe ich unter den unteren Volksclassen keine größere Sauberkeit und Accuratesse gefunden, als hier in den Straßen, den reinlichen Wohnungen und der Kleidung dieser eigenthümlichen Colonie herrscht. Die spiegelblanken Möbel glänzen wie Metall, die Häuschen sind so nett gehalten, die Bewohner derselben mit den charakteristischen braunen Köpfen lächeln dem Fremdling so freundlich entgegen und zeigen dabei einen Mund voll so prächtiger Perlenzähne, daß der Neid der Damen unserer Begleitung nicht ohne Grund rege wurde. Die Leute treiben Handel mit Vieh und

  1. Unter den in der Casse befindlichen Summen befanden sich auch 100 Ducaten, welche Eigenthum des Rentmeisters waren. Von diesen nahm Bergam nur zwei Stück zum Trinkgeld für die Dienerschaft, das Uebrige gab er dem Beamten zurück.
  2. Türkischer Mais.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 729. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_729.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)