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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Wein, die Weiber waschen die Hemden der „Herren“ in der oberen Stadt, erhalten das Hauswesen, und eine gewisse Wohlhabenheit spricht sich behaglich in Allem aus, was da in die Augen fällt. Am Ende der langen Straße versprach uns unser freundlicher Begleiter die Bekanntschaft eines Virtuosen, der seines Gleichen wohl nicht in der gebildeten Welt habe. Unsere Neugier war durch diese geheimnißvolle Einleitung auf das Höchste gespannt, als Herr v. K. nach verschiedenen Seiten hin leise Aufträge ertheilte, und wir, am letzten Hause angelangt, vier so braune und prächtige Burschen vorfanden, wie selbe von Lenau nur je geschildert worden sind. Die tief schwarzen Haare, wie Rabengefieder an der Seite der scharf gezeichneten dunklen Gesichter herab fallend, die schwimmenden großen Mandelaugen, schwermüthig vor sich hinstarrend, das originelle Costüm mit den schweren silbernen Kugelknöpfen, die schlanken und doch so kräftigen Gestalten zierend, als Staffage rings herum aus allen Häusern neugierige Weibergestalten schüchtern hervor tretend, und sich gruppenweise um den für uns reservirten und mit Stühlen besetzten Platz im Freien aufstellend – Eva’s Töchter hatten sich währenddem mit Blitzesschnelle in ihren Sonntagsstaat geworfen – die Männer an Thüren und Fenstern lehnend, kauernd und in erwartungsvollem Schweigen harrend, im Hintergrunde amphitheatralisch auf Hügeln gebaut die obere Stadt Sziklos mit ihrem Mönchskloster, und an der Spitze des Berges das prachtvolle Grafenschloß; dazu wir, in unserer, diesen Naturkindern gegenüber unkleidsamen modernen Tracht, die Damen in der unvermeidlichen Crinoline: Alles zusammen bildete ein Genrebild, würdig von einem tüchtigen Maler oder einer gewandteren Feder als die meine festgehalten zu werden.

Da brachte eine alte Zigeuuerfrau, wie sie nur in irgend einem Roman geschildert worden, drei Instrumente, von welchen wir nicht wußten, was daraus zu machen sei; der Form nach roh gearbeitete Mandolinen in der primitivsten Gestalt und von verschiedenster Größe, so zwar, daß der Kasten der kleinsten mit der Fläche einer Kinderhand, der größte mit dem Handteller eines Mannes zu bedecken wäre. Ein Mann bemächtigte sich einer bereit gehaltenen Guitarre, die übrigen drei ergriffen die oben geschilderten Instrumente,[1] und nun begann ein Concert, welches auf uns verwöhnte Großstädter einen kaum zu schildernden Eindruck hervorbrachte.

Wie beim echten Csikos Mann und Roß nur ein Geschöpf zu sein scheint, so deuchten uns die vier Männer mit ihren simplen Instrumenten nur eine belebende Seele zu haben. Töne von so ergreifender, weicher und doch voller Art wußten die Kinder der Haide ihren einfachen Werkzeugen zu entlocken, ein Zusammenspiel so feuriger und eigenthümlicher Art entwickelten dieselben, daß wir alle entzückt und erstaunt der wunderbaren Production zuhorchten. Nicht satt konnten wir uns hören an dem eigenthümlichen Concert, besonders der erste der Spieler entwickelte auf der kleinsten Tambura eine Kunstfertigkeit, ein Talent der Improvisation, dem die übrigen blitzschnell folgend secundirten, daß die Zeit, die wir, der märchenhaften Production horchend, zubrachten, Flügel zu haben schien. Und das ist nur in und für Sziklos berühmt, selbst in dem nahen Fünfkirchen sind die dunkelhäutigen Tamburaspieler unbekannte Größen, die kaum je über die Grenzen ihrer winzigen Welt hinaus kommen dürften! –

Keiner von unserer Reisegesellschaft, wohlhabende, gebildete Bewohner von Fünfkirchen, war früher in der Zigeunerstadt gewesen, obgleich sie alle das obere Sziklos oft besucht hatten, keiner kannte die Kunstfertigkeit des Tamburaquartetts, ein neugieriger Berliner Tourist mußte hinkommen, um die guten Leute mit dem bekannt zu machen, was vor ihrer Thüre zu finden ist.

Ueberhaupt spielt die Zigeunermusik in Ungarn eine große Rolle, und kein Fest in irgend einem Kreise ist ohne eine solche zu denken. Unvergeßlich wird mir ein Abend, oder vielmehr eine Nacht sein, die mir in dem Weinberge eines gastfreundlichen Ungars, Herrn Bedö, in der Nähe von Fünfkirchen zubrachten. Diese Weingärten, mit ihren kleinen, dazu gehörigen Häuschen, eben eingerichtet, um eine fröhliche Gesellschaft fröhlich zu empfangen und zu bewirten, bilden das Tusculum des wohlhabenden Bürgerstandes im Baranya-Comitat. In reichem Kranze unmgeben sie die Hauptstadt des Kreises, hoch und malerisch aufsteigend und ausgeschmückt mit bequemen Landhäusern, je nach Vermögen, Laune und Geschmack des Besitzers. Letztere Vorzüge waren bei unserem Wirt in glücklichster Weise vereinigt. Der Nachmittag, den wir lesend, wenn auch nicht in einem gedruckten, sondern in dem reichen Buche der Natur zugebracht, war rasch dahin geeilt, um der schnell einbrechenden Dämmerung Platz zu machen, und der aufsteigende Vollmond beleuchtete eine fröhliche, harmlose Gesellschaft, welche den guten Dingen, die Herr Bedö in ununterbrochener Reihenfolge auftischte, eben so viel Ehre anthat, als dem unverfälschten Traubensaft des Besitzers. Da ertönten die Klänge einer Zigeunerbande durch die laue Nachtluft, jauchzend empfangen von den Anwesenden! Im Nu ein Ball im Freien improvisirt; der Lieblingstanz der Magyaren, der Csardas, ausgeführt mit seinen graziösen Figuren, die dem spanischen Fandango ähneln. Der Mond goß sein klarstes Licht auf den riesigen Saal, an dessen gewaltiger Kuppe bereits die Sterne angezündet wurden, wilder und wilder das Tempo der Musikanten, das Feuer der Tanzenden, bis die letzteren endlich ermattet in’s hohe Gras hinsanken. Pause – horch, was erklingt da oben hoch auf dem Berge, wie Sphärenmusik? Der auch in weiteren Kreisen wohlbekannte, am Dom angestellte Violinvirtuose Herr Rusky, der sich unter den Gästen befand, hatte sich unbemerkt von diesen entfernt, und sandte seine Zauberklänge leise durch die Nacht in’s Thal herab. Die Wirkung war fabelhaft, die Zigeuner, von der Macht der Kunst ergriffen, starrten mit verklärten Gesichtern hinauf, während am Schluß der improvisirten Phantasie ein laut jubelndes Bravo die freundliche Absicht des Virtuosen lohnte.

„Dem Mann möchte ich die Hand küssen,“ sagte der erste Zigeuner-Violinist zu Bedö „den schätze ich höher, als den Erzbischof.“ Einen größeren Grad der Werthschätzung als den Erzbischof weiß kein Zigeuner mehr aufzufinden, es war dies der Superlativ der Hochachtung für Rusky.

Wieder begann die Bande ihre Nationalweisen, deren Wechsel ihnen von den Anwesenden zugerufen wurde: „Klapkamarsch“, „Das Vaterland“, „Hunyady Laszló“, „Ragoczy“, „Kossuthmarsch!“ Sobald das Stichwort fiel, setzten die sämmtlichen Musiker, von denen keiner auch nur eine Note kennt, augenblicklich mit richtigem Tempo mit der verlangten Melodie ein, bis die Fütterung begann. Riesige Schüsseln mit gebratenen Hühnern, mächtige Krüge und Calebassen mit Wein wurden den wackeren Fiedlern vorgesetzt, der Inhalt verschwand mit fabelhafter Schnelle. Speisen und Getränke vertilgten die braunen Burschen in Massen, ausreichend, um in meiner Heimath alle Gäste eines Geheimrathsballes mit den eingeladenen Lieutenants und Referendarien satt zu machen.

Auf den Bergen wurde indeß ein Feuerwerk improvisirt, die Raketen flogen mit den „Eljen’s“ um die Wette in die Luft, wieder begann Musik und Tanz, bis die Morgenstunde zum Aufbruch mahnte. Aber auch da verstummte die erstere nicht, die unermüdlichen Zigeuner spielten ihre Weisen fort und fort, nicht der holprige Weg, nicht der schwere Wein in den Köpfen hinderte sie an der Ausübung ihres Berufes. Die stillen Straßen der Stadt riefen sie wach mit ihren Tönen, Ständchen wurden hier und dort improvisirt, bis man das letzte Haus der Heimkehrenden erreichte, und die Unermüdlichen reich beschenkt mit „Eljen“ entlassen wurden. So lebt der Zigeuner-Musiker in Ungarn, täglich angestrengt, aber mit reichem Lohn, besser als mancher vielbezahlte Concertist in Deutschlabd, ein unentbehrliches Möbel in jeder frohen Gesellschaft.

Ich aber werde des frohen Abends eingedenk sein, als eines Lichtpunktes auf meiner Fahrt in Ungarn, und bei der Erinnerung an denselben stets leise rufen: „Eljen Bedö, Eljen Rusky!“


  1. Das Instrument heißt Tambura, und soll nach der Behauptung des sehr unterrichteten Herrn v. K. aus Spanien stammen, gegenwärtig aber nur von wenig Zigeunern, von diesen aber mit unvergleichlicher Virtuosität gespielt werden.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 730. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_730.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)