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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Das Octoberfest der deutschen Veteranen.


2.
Die Sonntagsfeier – Die Leiden einzelner Kämpfer – Geschichte eines Apothekers – Ein Strumpf voll Salz – Der zweite Festtag – Der Veteranenzug – Ein Stelzfuß – Louise Kowaschütz vom neunten Infanterieregiment Colberg – Koch’s Rede – Der Abchied der Veteranen – Ein Gnadenbrot für die Veteranen.

Ernst und würdig war diese Feier. Milder, heiterer Sonnenschein verklärte Alles umher, und nur zuweilen schwellte ein leichtes Lüftchen die zahllosen Fahnen und Flaggen, welche ohne Ausnahme wohl alle Häuser umher schmückten. Daß die Tribüne glänzend und ausschließlich mit den deutschen Farben und eben solchen Bannern geschmückt war, brauchen wir wohl kaum zu erwähnen. Ueberhaupt waren bei allen Decorationen die deutschen Farben vorherrschend. Auf den ausdrücklichen Befehl des Königs trugen sämmtliche Regierungsgebäude nur schwarz-roth-goldenen Fahnenschmuck, und diese Anerkennung der Wichtigkeit des Festes ist um so erfreulicher, wenn man dagegen den blinden Eifer annimmt, mit dem man in so vielen anderen Städten von Seiten der Regierungsbehörden diese äußeren Kundgebungen des nationalen Erwachens mit zopfiger Angst zu unterdrücken oder auszurotten versuchte.

Von der am selben Nachmittage auf dem Marktplatze abgehaltenen zweiten Musikaufführung mit den begeisternden Gesängen aus Körner’s „Leyer und Schwert“ haben sämmtliche deutsche Zeitungen bereits das Nähere berichtet. Es wäre daher mehr als überflüssig, hier unsern Lesern noch das Weitere davon zu erzählen. Auch die würdige Abendfeier des ersten Festtages, die rings um Leipzig auf den denkwürdigsten Punkten des Schlachtfeldes lodernden Feuer, den großartigen Fackelzug mit seinen nahe an 10,000 Theinehmern, seinen mehr als 4000 Windlichtern und über 5000 Pechfackeln und seinen ununterbrochen schmetternden Musikchören – das Alles brauchen wir nicht mehr zu schildern.

Ueberall trat das Bestreben, den alten Herren ihren Aufenthalt in Leipzig so angenehm als möglich zu machen, auf das Erfreulichste hervor. Wo sich an einem öffentlichen Vergnügungsorte oder in einem Wirthshause einer der alten Krieger zeigte, da drängten sich sogleich eine Menge Gäste herbei, um ihren Trunk mit dem würdigen Alten zu theilen. Dann aber ging es an ein Fragen und Erzählen, und die aufmerksamen Zuhörer wurden nicht müde, den Kriegsberichten zu lauschen; denn es lag doch ein ganz anderer Reiz darin, hier die noch lebenden Zeugen jener Tage erzählen zu hören, als die Beschreibung der Kämpfe aus Büchern zu lesen. Wie wunderbar waren die Schicksale Einzelner gewesen, und Mancher, der an den Tagen der Schlacht dem Tode unrettbar verfallen schien, konnte jetzt nach fünfzig Jahren den Schauplatz seiner unsäglichen Leiden wieder aufsuchen.

Aus dem Munde eines vollständig glaubwürdigen Greises, der jetzt Apotheker in einer deutschen Residenzstadt ist, erfuhren wir, daß derselbe in dem damaligen Kampfe schwer verwundet und unter unsäglichen Schmerzen zwei und dreiviertel Tag ohne Hülfe und ohne jede Nahrung unbeachtet auf dem Schlachtfelde gelegen hatte. Ein Bauer, der mit dem Verscharren der Gebliebenen beschäftigt war, kam endlich glücklicher Weise in die Nähe des schon an jeder Rettung Verzweifelnden und brachte denselben auf seinem Karren in die Stadt. Hier waren jedoch sämmtliche Lazarethe so überfüllt, daß der Verwundete überall abgewiesen wurde, und nun hatte auch das Mitleiden des Landmannes ein Ende, denn dieser lud den Unglücklichen mitten in einer Straße auf dem harten Pflaster ab und fuhr von dannen. In so furchtbarer Lage entsann sich der Verlassene eines ihm befreundeten Officiers, von dessen Regiment er Leute erblickte. Er rief mit schwacher Stimme einige mitleidige Vorübergehende an, und diese suchten den Freund auf, der vermöge seiner Stellung dem zum Tode Erschöpften ein Quartierbillet, ärztliche Hülfe und damit vollständige Rettung verschaffte.

Einen fast komischen Eindruck machte dagegen die Erzählung eines anderen Veteranen, welcher der Erstürmung Möckerns beigewohnt hatte. Nachdem die Franzosen endlich vollständig aus jenem Dorfe vertrieben waren, suchten preußische Krieger in den von den Einwohnern verlassenen und halb zerstörten Häusern nach Nahrungsmitteln. Der Erzähler machte hierbei einen herrlichen Fund, nämlich – einen Topf mit Salz, woran es den Soldaten immer fehlte. Der ganze Topf war freilich nicht wohl mitzunehmen, doch fand sich bald ein Auskunftsmittel, denn die fliehenden Bewohner hatten einige hinter dem Hause zum Trocknen aufgehängte Strümpfe vergessen, und in einen derselben füllte nun der erfreute Sieger seine Beute. Diesen Strumpf hatte der Mann fortan als ein Andenken des Krieges bewahrt; als jedoch jetzt die fünfzigjährige Jubelfeier herankam und jener Veteran mit anderen Kampfgenossen auch nach Leipzig zog, da nahm er wohlweislich den alten Kriegsstrumpf mit, um denselben womöglich seinen damaligen Eigenthümern oder deren Nachkommen wieder zu überliefern. Sein erster Weg am Sonntag Morgen war auch hinaus nach Möckern gewesen, doch vergebens suchte er dort das in der Erinnerung ihm noch so deutlich vorschwebende Häuschen. Mit dem Dorfe war es just wie mit der Stadt Leipzig gegangen: beide hatten sich vollständig umgestaltet und erneuert. Da nun alle Nachforschungen ohne Erfolg blieben, meinte der alte Veteran: „’s thut mir eigentlich leid, denn die armen Leute haben vielleicht später den Strumpf wer weiß wie eifrig gesucht. Aber es ist mir auch wieder lieb, daß ich ihn jetzt wohl mit mehr Recht behalten kann, denn ich hätte mich gar schwer von diesem Kriegsandenken getrennt.“

Viele der Veteranen sah man mit rührendem Eifer alle auf das Fest bezüglichen Bekanntmachungen, Programme, Texte u. s. w. sammeln, die sie als liebe Erinnerung mit heim nehmen und ihren Angehörigen oder Freunden zeigen wollten. Ein Greis, welchem vom Festausschuß eine Einlaßkarte zu der Festvorstellung zugetheilt worden war, zeigte diese Karte am nächsten Tage mit triumphirender Miene seinen Cameraden. Als diese ihn verwundert fragten, weshalb er nicht im Theater gewesen sei, antwortete Jener: „O, da wäre ich doch ein Thor gewesen, denn ich hätte ja dann müssen das Billet abgeben. Von dem Theaterstück konnte ich ja doch nichts behalten, dazu ist mein Gedächtniß zu schwach; dafür habe ich lieber hier das Billet behalten, und das soll mir, so lange ich noch lebe, ein werthes Andenken sein.“

Der zweite Festtag (Montag den 19. October) brach ebenso freundlich und wolkenlos an, als der vorhergegangene. Die frühe Morgensonne beleuchtete schon eine besondere Feierlichkeit, welche mit der Wichtigkeit dieses Tages im engeren Zusammenhange stand. Ein Verein Leipziger Bürger begeht schon seit vielen Jahren stets den 19. October festlich, weil an demselben Tage 1813 die Stadt einer gründlichen Zerstörung glücklich entging. Die wichtigsten Punkte der Umgegend wurden auf Kosten dieses Vereins bereits mit Denksteinen versehen, wie z. B. der Monarchenhügel, wo die drei verbündeten Herrscher die Nachricht des Sieges über die Franzosen empfingen; dann andere Erinnerungszeichen bei Wachau, Göhren, Liebertwolkwitz gesetzt etc. Am heutigen Tage sollte nun ein anderes einfaches Denkmal eingeweiht werden, dicht an der Stelle wo durch Sprengung der einzigen Brücke über den Elsterfluß am 19. October 1813 der Rückzug der Franzosen durch sie selbst so fürchterlich gehemmt wurde. Wie vielen Tausenden hätte damals das Leben erspart werden können, wenn nicht ein Mißverständniß oder rathlose Angst diese Brücke viel zu früh vernichten ließ!

Während jene Denkmalsweihe mehr die Form einer Separatfeierlichkeit hatte, entwickelte sich ein desto regeres Leben in der Stadt. Schon in den frühen Morgenstunden wogte es auf allen Plätzen, in allen Straßen unablässig auf und ab, denn Jedermann hatte eine Ehre dareingesetzt, den beabsichtigten großen Festzug so glänzend als möglich zu gestalten. Es sollte ein Triumphzug werden für die Braven, welche in den Zeiten blutiger Noth das Vaterland von Schmach und Knechtschaft befreit hatten.

Von allen Seiten sah man Gewerke und Genossenschaften mit Fahnen und Emblemen nach den Sammelplätzen ziehen. Wagen eilten nach allen Richtungen, um einen Theil der Veteranen aufzunehmen, während die große Mehrzahl derselben wiederum darauf bestand, sich dem Zuge zu Fuße anzuschließen. Ueberhaupt schien es, als ob in viele der würdigen Greise während dieser Festtage noch einmal die Kraft und Ausdauer der Jugend neu zurückgekehrt sei. In der That sah man unter den Veteranen auch Männer genug, deren Haltung und Lebhaftigkeit die Zahl ihrer Jahre Lügen strafte.

Die nur einigermaßen eingehende Beschreibung des Zuges

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 731. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_731.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2019)