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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Erst die Neuzeit offenbare wieder eine frischere Strömung, die sich nach allen Seiten Bahn zu brechen suche, und erst in jüngster Vergangenheit hätten ja sogar die Fürsten ihr eigenes Werk, die deutsche Bundesverfassung, als unhaltbar verurtheilt. Aber das Einverständniß zwischen den Fürsten und dem Volke sei nöthig, wenn ein glückverheißender Abschluß erzielt werden solle.

Nachdem der Redner den anwesenden Kämpfern aus dem Freiheitskriege den Dank des jetzigen Geschlechtes dargebracht und den Vertretern des deutschen Bürgerthums die Mahnung zugerufen, mit Mannesmuth und Manneswürde dahin zu trachten, daß das jüngere Geschlecht ähnlich werde jenem aufopfernden Heldengeschlechte, dessen letzte Zeugen diese Feier verherrlichen; sowie eine Verfassung zu erstreben, welche das Vaterland einig und frei mache – wurde der Grundstein eingesenkt und erfolgten von Seite des Festredners die üblichen drei Hammerschläge mit folgenden begeisternden Worten:

Der erste Schlag gilt dem Erwachen des deutschen Volks in seinem nationalen Bewußtsein; gilt allen denen, welche dafür gekämpft, gelitten und geblutet haben!

Der zweite Schlag gilt dem treuen Ausharren in der begonnenen neuen Arbeit für die großen Endziele deutscher Nation!

Der dritte Schlag gilt dem endlichen Sieg des deutschen Volks im Ringen nach nationaler Macht und Größe, Einheit und Freiheit des heißgeliebten deutschen Vaterlandes!“

Jubelnder Beifall folgte diesen Worten, und hierauf führten noch die weihenden Hammerschläge General von Pfuel; ein österreichischer Officier; der erste preußische Freiwillige Heidemann, Baron Seidlitz und die Abgeordneten der Städte Wien, Berlin, Dresden, Hannover, Bremen, Mainz, Stuttgart und Augsburg.

Nach Absingung des Festliedes von Robert Prutz, in welches die ganze Versammlung einstimmte, brachte ein preußischer Veteran, Ingenieuroberst Mente, der Stadt Leipzig den Dank seiner Kampfgenossen dar, und hierauf setzte sich der ganze Zug wieder nach der Stadt zu in Bewegung.

Dort galt es jetzt, die Einweihung des schon von uns erwähnten Denkmales des Major Friccius zu vollziehen. Die Weihrede dabei hielt der Vorsteher des Leipziger Stadtverordneten-Collegiums, Dr. Joseph. Er feierte die Großthat der Königsberger Landwehr bei der Erstürmung des äußeren Grimmaischen Thores, das, sich einst an derselben Stelle erhebend, von diesem unsrem heutigen Bilde genau so gezeigt wird, wie es damals war. Durch diese Erstürmung war den nachrückenden Truppen der Weg in die von den Franzosen auf das Aeußerste vertheidigte Stadt gebahnt worden. Zum Schlusse drückte der Redner den Wunsch aus, es möge das gerade jetzt so ungerecht geschmähte Institut der Landwehr, welche im Befreiungskriege so Herrliches geleistet, als die kräftigste Stütze des Vaterlandes fortbestehen gegen dessen Feinde und zur Wahrung des Rechtes und der Freiheit.

Im Namen der Stadt Königsberg sprach deren Vertreter Bijork herzliche Worte des Dankes und berichtete zugleich, daß noch zwölf Veteranen vom Friccius’schen Bataillone hier beim Feste anwesend seien, die er angefordert habe, als Zeugen der ehrenden Auszeichnung ihres tapferen Anführers nach dessen Tode jetzt hier auf den Stufen dieses Denkmals zu erscheinen. Unbeschreiblich erhebend und zugleich rührend war der Auftritt, der sich nun den Anwesenden darbot. Von brausendem Jubel empfangen nahten sich die tief ergriffenen Veteranen und stellten sich bei dem Denkmal auf. Kränze und Blumen flogen ihnen von allen Seiten zu, und die greisen Veteranen vergossen Thränen der Rührung, die wohl nicht allein der ihnen bezeigten Huldigung, sondern auch dem Andenken ihres unvergeßlichen Führers galten. Von nicht geringerer Rührung zeugten die Worte des Dankes, welche am Schlusse einer der anwesenden Söhne des Major Friccius für die seinem unvergeßlichen Vater noch im Tode erwiesene Ehre aussprach.

Tief bewegt von dieser würdigen Feier trennte sich die Versammlung, und der Zug löste sich allmählich auf. Die vierte Nachmittagsstunde war bereits herangekommen, und nun versammelten sich die Ehrengäste und Festtheilnehmer in den hierzu bestimmten Sälen vier verschiedener Etablissements, weil ein einziges Local für die fast Viertausend erreichende Zahl der Theilnehmer an der Festtafel nicht wohl beschafft werden konnte. Die Veteranen wurden natürlich als Ehrengäste frei bewirthet, und an allen jenen Orten herrschte eine wahrhaft festliche Stimmung. Der Vorsitz in den vier Localen war den Bürgermeistern Berlins und Leipzigs, so wie den obersten Vertretern der Städte Wien und Stuttgart zugetheilt. Bei allen diesen festlichen Versammlungen galten die ausgebrachten Trinksprüche immer zunächst den anwesenden Zeugen jener glorreichen Zeit, den Veteranen; aber auch des Vaterlandes wurde mit treuer Liebe gedacht, und eine wahrhaft freie, glückverheißende Zukunft mit Herz und Mund gefeiert.

Eine wahrhaft glänzende Illumination der Stadt schloß das schöne Fest. Es war keine „befohlene“, wie sie Napoleon den sächsischen Städten mehr als einmal geboten hatte, wenn deutsche Bruderstämme von ihm besiegt worden waren; keine directe Aufforderung hatte dazu gemahnt, der Rath vielmehr blos angezeigt, daß er die Beleuchtung der öffentlichen Gebäude und Plätze beabsichtige. Dennoch aber erglänzte am zweiten Festabende ganz Leipzig in zauberischem Feuermeere, vor Allem aber die neuem Parkanlagen, die an die Feeenwelt alter Märchen erinnerten. Rings um die Promenaden aber brannten in strahlendem Lampenlichte die Namen von 26 der hervorragendsten Männer aus den Freiheitskriegen.

Mit diesen Flammenzeichen hatte das herrliche Fest seinen Abschluß gefunden, und gewiß haben dieselben viele Herzen zu immer größerer Liebe des Vaterlandes entzündet. Am folgenden Tage zogen die Ehrengäste der Stadt voll der schönsten Erinnerungen ihrer Heimath wieder zu. Wie manchen rührenden Auftritt gab es nun, als die Veteranen der gastlichen Stadt Lebewohl sagten! Viele von ihnen nahmen von den gestrigen Blumenspenden einen Kranz oder einen schon halbwelken Strauß als Andenken mit in die ferne Heimath, doch auch manche frische Blume wurde den braven Greisen bei ihrer Abreise noch gespendet. Fast allen aber versagte vor Wehmuth die Stimme, als sie ihren freundlichen Wirten Lebewohl sagten; Thränen erstickten den Dank, den sie darbringen wollten, und doch waren gerade diese Thränen der erhabenste Ausdruck des Dankes. Die bejahrten Helden nahmen Abschied von dem Schauplatz ihrer früheren Waffenthaten, von der Stadt, die einst Zeuge ihrer Tapferkeit war und die – das sagte sich wohl so Mancher mit Wehmuth – die sie jetzt zum letzten Male gesehen hatten. Derselbe Gedanke mochte auch das jüngere Geschlecht ergreifen, welches die Veteranen zu den Bahnhöfen geleitete, denn mit Thränen reichte man den gerührten Greisen die Hand zum Lebewohl. Wir waren Zeuge, wie noch im Augenblicke der Abfahrt ein silberhaariger Veteran sich zum Wagenfenster herausbog und weinend rief. „Lebe wohl, und Gottes Segen werde dir, du gute, liebe Stadt! Du hast uns reichlich vergolten, was wir vor fünfzig Jahren gethan!“

Diesen Dank aber, so rührend er auch war, müssen wir zurückweisen und dafür an die ganze deutsche Nation die gewichtige, ernste Frage stellen: Was hast du für jene heldenmüthigen Kämpfer gethan, welche dich vom Joche fremder Unterdrückung befreiten? – Eine leider höchst traurige Antwort hat das Bild so vieler Veteranen gegeben, die der Aufforderung, sich an dem Jubelfeste des glorreichen Sieges zu betheiligen, gefolgt waren. Nur durch Unterstützungen einiger Städte oder Gemeinden war es ihnen möglich geworden, die Reise zu unternehmen, und hier erschienen sie, ein Bild der Entbehrung und Armuth. Unter den etwa 1400 Veteranen, welche nach Leipzig gekommen waren, bestand die „weit größere Hälfte“ aus Männern, die daheim den Rest ihrer Lebenstage in Kummer und Elend fristen! „Ordenszeichen“ hat ihnen wohl das dankbare Vaterland nach Recht und Gebühr verliehen, aber man hat leider vergessen, diesen ehrenden Auszeichnungen auch noch – „Brod“ hinzuzufügen. Um wie viel drückender aber muß jenen Armen ihre Noth erscheinen, wenn sie jetzt daheim wieder bei ihrem Mangel des Jubels und Ueberflusses der erhebenden Festtage gedenken! Muß sich ihnen nicht ganz von selbst die Frage aufdrängen: wenn unsere Thaten noch jetzt nach fünfzig Jahren einer solchen Verherrlichung werth maren, warum läßt man uns im Alter noch darben? Und wie viele Kämpfer jenes Freiheitskrieges giebt es nicht noch, welche an dem Siegesjubelfeste nicht Theil nehmen konnten, weil gar zu bittere Armuth sie drückte, weil sie vielleicht keinen Rock hatten, um auf demselben ihre „Ehrenzeichen“ zu befestigen, oder weil Elend und Siechtum sie daheim auf das kümmerliche Schmerzenslager fesselt?

Deutsche Männer und Frauen aller Stämme! Ihr habt ein langverjährtes Unrecht gut zu machen, indem Ihr mit allen Euch zu Gebote stehenden Kräften dahin wirkt, daß die altehrwürdigen Blutzeugen der Befreiung Deutschlands nicht hungernd und darbend in das ihnen vielleicht schon so nahe Grab sinken! Sammelt und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 734. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_734.jpg&oldid=- (Version vom 3.7.2019)