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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Hälsen sind gestimmt. Wie hat mir’s doch Freude gemacht, zu sehen und zu hören, wie diese rothen, runden Kühe Abends musikalisch nach Hause gingen! Eines Abends kam die ganze zahlreiche Heerde langsam aus der Ferne und Höhe thalwärts herabgeläutet. Wie sie so bedachtsam und gewählt schritten auf den Steingeröllen und auf einander warteten, sich gegenseitig Platz machten und sich in jeder Hinsicht vernünftig, freundschaftlich und rücksichtsvoll behandelten! Das Dorf ist groß und liegt meist verstreut umher. Nun war es eine Lust zu sehen, wie sicher und ruhig die große Heerde allmählich nach ihren vereinzelten Wohnungen die verschiedensten Wege einschlug und Partien von 5–6 Stück dann wieder von einander schieden, eine Strecke paarweise und dann einzeln sicher ihren Weg zur Privatwohnung schritten. Dabei bewunderte ich besonders eine rote, große Originalmilchbureauinhaberin. Sie schritt ganz allein von der Heerde ab über eine sehr schmale, gebrechliche, lange Holzbrücke über ein breit ausgewaschenes Bodethal. Mit welcher Vor- und Umsicht, aber auch wie sicher sie sich hinüber balancirte! Und dann läutete sie sich mit ihrer Glocke – dem eingestrichenen E – ganz allein durch dunkelnde Thäler und auf sichern Umwegen geradezu vor die Thür ihres versteckten Stalles und klingelte mehrmals mit zunehmender, mißbilligender Schüttelung, da man sie länger stehen ließ, als ihr lieb war.

Alle diese Respectabilität, Vernunft und Humanität unter diesen Thieren nahm mich höchlich Wunder. Schon von früher Jugend hatte ich in der Schule gelernt, daß die Thiere nicht mit Vernunft begabt seien, am wenigsten das dumme Rindvieh, am meisten aber die Menschen und ganz besonders die Berliner, wo eigentlich die „Intelligenz“ fast ausschließlich zu Hause sein soll. Als gebildeter Berliner hab’ ich das selber immer gern geglaubt. Diese schmeichelhafte Dogmatik liegt nun stark durchlöchert von mir abgestoßen. Ich weiß aus vieljähriger Erfahrung, daß die Berliner kaum einzeln, noch weniger in Gesellschaft so ruhig und respectabel und melodisch auf die Weide gehen oder davon Abends vor den vielen Bierhäusern vorbei zurückkehren. Es fallen unterwegs immer Mehrere ab, an, aus, ein, auf oder hin.

Doch wenn der Berliner wirklich witzig und dabei gutmüthig, gefällig, aufmerksam liebender Gatte, neckischer Schwager und uneigennütziger Freund ist, wie mein Mentor und Freund Lede, zieh’ ich ihn allen anderswo Gebornen vor. Man kommt mit ihm am schnellsten, heitersten und ehrlichsten durch den Harz und wohl auch durch die übrige Welt. Der Berliner kehrt der Welt immer die scharfe Seite seiner rasirmesserartigen Persönlichkeit zu und „drängelt“ sich auf diese Weise ohne viel Umstände vorwärts. Der durchschnittene Widerstand geht dann zu beiden Seiten ab und macht Platz. Diese Art des Durchkommens empfiehlt sich ganz vorzüglich kleinstädtischer Aufgeblasenheit und hohlem Dünkel gegenüber. Mit einem einzigen gradeaus treffenden Worte oder Witze machte Freund Lede auf unsern Ausflügen oft den verschrobensten Ansprüchen und Leuten ihren Standpunkt klar und befreite sie mit einem einzigen Hiebe aus ihren eigenen socialen Fesseln. Und da er sich dann im Uebrigen immer sehr gemüthlich, gesprächig und menschenfreundlich gab, begrüßten ihn die so Zurechtgesetzten und Befreiten in der Regel dankbar als ihren Befreier, und machten nicht selten von der ihnen geschenkten Freiheit den besten Gebrauch zu ihrer und unserer Freude. So gelangen alle unsere kleinen Ausflüge ganz vorzüglich, und wir genossen jede Freude doppelt, da alle, welche wir Anderen zum Besten gaben, uns größtentheils mit Zinsen zurückbezahlt wurden.

Unsere Ausflüge selbst waren und sind im Harze eben das Allergewöhnlichste, so daß man nicht viel Federlesens davon machen kann. Ich glaube auch, die Leser müßten’s lächerlich finden, wollt’ ich ihnen die Schönheiten dieser Ausflüge schildern. Wie viel Höheres, Schöneres, Erhabeneres, Ueberwältigenderes hat man im mittel- und hochgebirgigen Deutschland. „Ja gewiß, versteht sich!“ wie mein Freund Lede sagt. Aber wir lernten einen Rechtsanwalt im Forsthause kennen mit zwei der liebenswürdigsten, jungen Damen, die alle Drei durch ihre gediegene Bildung und Anspruchslosigkeit in uns Allen die edelsten Eindrücke zurückließen. Diese hatten alle mögliche Naturschönheiten gesehen und waren schon zum dreizehnten Male hier. Mit uns wohnte ein alter, noch ganz jugendlicher freundlicher Herr und dessen Schwester aus Hamburg im Forsthause und zwar nicht das erste, sondern das neunte Mal. Und sie wollten all ihr Lebtage jeden Sommer immer auf mehrere Wochen wieder hierher kommen und weder mit dem Rhein, noch mit der sächsischen oder wirklichen Schweiz, auch nicht mit dem Fichtel- oder Riesengebirge tauschen. Und versprachen wir nicht selber ganz begeistert der uns begleitenden Frau Oberamtmann in ihre gerührt thränenden Augen hinein und der alten händeschüttelnden 72jährigen „Fieke“ (die acht Thaler in einem Strumpfe hat, um sich damit ehrlich begraben zu lassen und nicht auf Gemeindeunkosten) obendrein, daß wir, wenn nicht durch höchst unnöthiges Sterben vorher verhindert, ebenfalls ganz sicher wiederkommen würden?

So muß wohl dieser Unterharz etwas ganz besonders Einladendes haben. Der joviale Herr Förster tractirte uns eines Morgens mit mehreren Flaschen Wasser aus einer Thalquelle des Harzes und sagte: „Wer davon getrunken, kann nicht wegbleiben und muß immer wieder kommen.“ Diese Quelle ist das Symbol der fesselnden Reize des alten Waldkaters und seines Bodethales zwischen Tanzplatz und Roßtrappe. Was ist es?

Ich denke, das Geheimniß liegt just in der verhältnißmäßigen Enge, Kleinheit und bequemen Höhe aller gleichsam zu einer Duodezausgabe verdichteten Gebirgsreize mit Ausmerzung alles zu Schroffen, Kahlen, Hohen, Weiten und deshalb Erdrückenden, über unsern Horizont und unsere Genußfähigkeit Hinausgehenden. Auf dem Hexentanzplatze, auf der Roßtrappe und unten im Bodethale hat man immer meßbare Fernen, eingerahmte Bilder, wenigstens solche, die man sich bequem abgrenzen kann. Und sie sind immer so saftig voll und duftig und kräftig und nie überladen. Die Contraste von starren Felsgebilden und üppigem, frühlingsfrischem Eichengrün dazwischen, die Farbentinten, die lustige und doch ganz respectable Bode mit dämonischem, dunkelm Rauschen und heitern, koketten, silberfüßigen Sprüngen zwischen den Felsblöcken – das sind Alles so melodische Gegensätze. Es ist kein Humbug dabei, kein theatralisches Gepränge, nein Alles so solide, so naiv würdige Arbeit der alten mitteldeutschen Natur. Und wie flüstern die alten deutschen Märchen und Großmutter- und Ammengeschichten drum herum! Durch dieses Geflüster hindurch spricht die alte deutsche Geschichte manch deutlicheres, rührenderes Wort. Hier jagte Karl der Große die „Wenden furt“. Nicht weit davon fing Heinrich der Vogelsteller seine ersten Finken und ward dann selbst gefangen von Patrioten, die ihn zum deutschen Kaiser wählten. An unzähligen Stellen stößt man sich an historische Steine oder wandelt über oder durch Burgruinen alter deutscher Ritter und berühmt oder berüchtigt gewordener Herren von Schlagetodt.

Ja und diese Gegenwart! Diese braven Leute und diese melodisch läutenden rothen Kühe! Diese reine, sauerstoffreiche, die Lebensflamme entzündende und läuternde Luft! Sie nimmt deshalb auch ziemlich mit, und Schwache werden anfangs matt und mager. Ich habe auch keine fetten Bewohner im Harze bemerkt, aber sie sind kräftig und sehnig. Deshalb kann man Personen, die fett sind oder es zu werden fürchten, wohl kaum eine erfolgreichere und angenehmere Entfettungscur raten, als die „Schurre“ zur Roßtrappe und die 1100 Stufen zum Hexentanzplatze. Statt des faulen Fettes setzen sich frische Muskeln an und freundliche Natur- und Lebensbilder. – Gottes Segen über dich und der Menschen Freude in dir, du alter Hercynia-Wald, und des Sängers Fluch über den neuen Waldkater!

H. B.



Aus dem nordamerikanischen Bürgerkriege.
Von einem deutschen Freiwilligen.

Ich sprang an’s Land – vor mir New-York. Das freie Amerika donnerte mir seine Festgrüße entgegen. Es war der 4. Juli 1860. Was mich getrieben hatte, Deutschland, mein Vaterland, Sachsen, meine Heimath, Leipzig, wo meine Wiege gestanden, wo liebe Verwandte und Freunde meiner mit Bangen gedachten, zu verlassen, „drüben“ meine Kraft zu üben, meine Kenntnisse zu bereichern, meine Anschauungen zu erweitern, zu – leben? O fragt mich nicht darum! Ich war 21 Jahre alt und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 744. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_744.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)