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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)


und Kolossalen begnügen, von Neuem inne werdend, daß diesem Riesigen und Ungeheueren so gut ein gewisser poetischer Zauber inne wohnt, wie der mondbeglänzten Waldeinsamkeit oder der Sonnenpracht eines italienischen Sees.

Eine genaue Schätzung der jährlich in den London Commercial Sale Rooms abgeschlossenen Geschäfte hat übrigens ihre Schwierigkeiten. Die einzelnen Ansätze müssen aus den Notizen einer Menge von Betheiligten mühsam zusammengelesen werden. Doch können wir nach einer uns vorliegenden Liste mindestens den 1861 auf dem Markte von Mincing Lane bewirkten Umsatz von einigen der Hauptartikel verzeichnen. Der Leser mag daraus ersehen, ob wir Unrecht haben, wenn wir die London Commercial Sale Rooms als nicht das letzte der gegenwärtigen Weltwunder bezeichnen. Im genannten Jahre wurden in Mincing Lane in runden Zahlen versteigert: Zucker für 3 Millionen Pfund Sterling, Kaffee für 9 Mill. Pfd. Sterl., Thee für den gleichen Belauf, Reis für 800,000 Pfd. Sterl., Indigo für 3 Mill. Pfd. Sterl., Soda und Salpeter für 700,000 Pfd. Sterl., Elfenbein für 500,000 Pfd. Sterl., Cochenille für 500,000 Pfd. Sterl.

Im Jahre 1811 repräsentirte die gesammte Einfuhr nach England nur einen Werth von 26½ Mill. Pfd. Sterl.! In welchen Riesenverhältnissen ist seitdem der britische Handel gewachsen, trotz der drei furchtbaren Krisen, welche ihn im Zeitraume des letzten halben Jahrhunderts erschüttert haben!




Die Zwergmaus.[1]
Von Brehm.

So schmuck und nett alle unsere keinen Mäuse sind, so allerliebst sie sich in der Gefangenschaft betragen: das kleinste Mitglied der Familie, die Zwergmaus, übertrifft jene doch in jeder Hinsicht! Sie ist beweglicher, geschickter, munterer, kurz ein viel anmuthigeres Thierchen, als alle übrigen. Ihre Länge beträgt blos 5 Zoll, und davon kommen auch noch 21/3 Zoll auf das Schwänzchen, sodaß der eigentliche Körper nur etwa 2½ Zoll lang ist. Die Höhe am Widerrist beträgt nur einen Zoll; das Gewicht schwankt zwischen ein und zwei Quentchen. Die Zwergmaus verdient also ihren Namen; es giebt ja auch nur ein einziges Säugethier noch, die uns schon bekannte Zwergspitzmaus, welche kleiner ist als sie.

Ganz wunderbar im Verhältniß zu dieser geringen Größe ist die auffallende Verbreitung des lieblichen Thierchens. Von jeher hat die Zwergmaus den Thierkundigen viel Kopfzerbrechens gemacht. Pallas entdeckte sie in Sibirien, beschrieb sie genau, bildete sie auch ganz gut ab; aber fast jeder Forscher nach ihm, dem sie später in die Hände kam, stellte sie als eine neue Art auf, und jeder glaubte, in seinem Rechte zu sein. Allerdings wechselt die Pelzfärbung der Zwergmaus nicht unbeträchtlich ab. Gewöhnlich ist sie zweifarbig, die Oberseite des Körpers und der Schwanz gelblich braunroth, die Unterseite und die Füße scharf abgesetzt weiß; nun aber kommen dunklere und hellere, röthlichere und bräunlichere, grauere und hellere vor; die Unterseite steht nicht so scharf im Gegensatz mit der oberen; junge Thiere haben andere Körperverhältnisse als die alten und noch eine ganz andere Leibesfärbung, nämlich viel mehr Grau auf der Oberseite: kurz, diese Verschiedenheit kann den nicht sehr sorgfältig prüfenden Forscher schon verwirren. Außerdem erschien es ja auch zu wunderbar, daß ein Thier, welches in Sibirien entdeckt wurde, in Deutschland leben sollte! Aber die fortgesetzte Beobachtung ergab als unumstößliche Wahrheit, daß unser Zwerglein wirklich von Sibirien an durch ganz Rußland, Ungarn, Polen und Deutschland bis nach Frankreich, England und Italien reicht, und jetzt wird allgemein angenommen, daß sie nur ausnahmsweise in manchen Gegenden nicht vorkommt. Sie findet sich eigentlich in allen Ebenen, wo der Ackerbau blüht, und keineswegs immer auf den Feldern, sondern vorzugsweise im Schilf und im Rohr, in Sümpfen und in Binsen. In Sibirien und in den Steppen am Fuße des Kaukasus ist sie gemein, in Rußland und England, in Schleswig und Holstein wenigstens nicht selten. Aber auch in den übrigen Ländern Europa’s kann sie zuweilen häufig werden.

Während des Sommers findet man das schmucke Thier in Gesellschaft der Wald- und gemeinen Feldmaus in Getreidefeldern, im Winter massenweise unter Feimen oder auch in Scheunen, in welche sie mit der Frucht eingeführt wird. Wenn sie im freien Felde überwintert, bringt sie einen großen Theil der kalten Zeit zwar schlafend zu, fällt aber niemals in völlige Erstarrung und sammelt sich deshalb während des Sommers auch recht hübsche Vorräthe in ihren Höhlen ein, um davon leben zu können, wenn die Noth an die Pforte klopft. Ihre Nahrung ist die aller übrigen Mäuse, Getreide und Sämereien verschiedener Gräser, Kräuter, namentlich aber auch kleine Kerbthiere aller Art.

In ihren Bewegungen zeichnet sich die Zwergmaus vor allen anderen Arten der Familie aus. Sie läuft ungeachtet ihrer geringen Größe ungemein schnell und klettert mit größter Fertigkeit, Gewandtheit und Zierlichkeit. An den dünnsten Aesten der Gebüsche, an Grashalmen, die so schwach sind, daß sie sich mit ihr zur Erde beugen, schwebend und hängend, läuft sie empor, fast eben so schnell an Bäumen, und der dünne Schwanz wird dabei so recht geschickt als Wickelschwanz benutzt, gerade, als hätte der kleine Nager solche Künste den Brüllaffen abgestohlen. Auch im Schwimmen ist die Zwergmaus wohl erfahren, und im Tauchen sehr geschickt. So kommt es, daß sie überall wohnen und leben kann.

Ihre größte Fertigkeit entfaltet die Zwergmaus aber doch noch in etwas Anderem. Sie ist eine Künstlerin, wie es wenige giebt unter den Säugethieren, eine Künstlerin, die mit den begabtesten Vögeln zu wetteifern sucht. Sie baut ein Nest, das an Schönheit alle andern Säugethiernester weit übertrifft. Als hätte sie es einem Rohrsänger oder Stufenschwanz abgesehen, so eigenthümlich wird der niedliche Bau angelegt. Das kugelrunde Nest, welches ungefähr faustgroß ist, steht nämlich, je nach der Ortsbeschaffenheit, auf zwanzig bis dreißig Riedgrasblättern, deren Spitzen zerschlissen und so durch einander geflochten sind, daß sie das eigentliche Nest von allen Seiten umschließen, oder hängt über zwei bis drei Fuß hoch über der Erde frei an den Zweigen eines Busches, an einem Schilfstengel und dergleichen, so daß es aussieht, als schwebe es in der Luft.

In seiner Gestalt ähnelt es am meisten einem stumpfen Ei, einem rundlichen Gänseei z. B., dem es auch in der Größe ungefähr gleichkommt. Die äußere Umhüllung besteht immer aus gänzlich zerschlitzten Blättern des Rohrs oder Riedgrases, deren Stengel die Grundlage des ganzen Baues bilden. Die keine Künstlerin nimmt jedes Blättchen hübsch mit den Zehen in den Mund und zieht es mehrere Male zwischen den nadelscharfen Zahnspitzen durch, bis jedes einzelne Blatt sechs-, acht- oder zehnfach getheilt, gleichsam in mehrere besondere Fäden getrennt worden ist; dann wird das Ganze außerordentlich sorgfältig durcheinander geschlungen, gewebt und geflochten. Das Innere ist mit Rohröhren, mit Kolbenwolle, mit Kätzchen und Blüthenrispen aller Art ausgefüttert. Eine kleine Oeffnung führt von einer Seite hinein, und wenn man da hindurch in das Innere greift, fühlt sich das Ganze oben wie unten gleichmäßig geglättet und überaus weich und zart an. Die einzelnen Bestandtheile sind so dicht miteinander verfilzt und verwebt, daß das Nest einen wirklich festen Halt bekommt. Wenn man die viel weniger brauchbaren Werkzeuge dieser Mäuse mit dem geschickten Schnabel der Künstlervögel vergleicht, wird man jenen Bau nicht ohne hohe Bewunderung betrachten und muß die Arbeit der Zwergmaus gewiß über die Baukunst manches Vogels stellen, der weit besser ausgerüstet ist.

Jedes dieser Nestchen wird immer zum Haupttheil aus den Blättern derselben Pflanze gebildet, welche den netten Ball trägt. Eine nothwendige Folge hiervon ist, daß das Aeußere fast oder ganz dieselbe Farbe hat, wie der Strauch selber, an dem es hängt. Nun benutzt die Zwergmaus jeden einzelnen ihrer Paläste blos zu ihrem Wochenbette, und das dauert nur ganz kurze Zeit; so

  1. Die vorstehende Thiercharakteristik ist einem noch ungedruckten Hefte von Dr A. E. Brehm’s im Verlage des Bibliographischen Instituts zu Hildburghausen erscheinendem „Illustrirtem Thierleben“ entlehnt. Die competentesten Urtheile stimmen darin überein, daß das Buch sich durch Inhalt und Illustrationen gleich auszeichnet und durch seinen verhältnißmäßig billigen Preis auch dem minder bemittelten Naturfreunde zugänglich ist. Von der lebendigen, frischen Darstellung wird unsere Leser der hier mitgetheilte Abschnitt überzeugen.       D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 764. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_764.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)