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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

sind die Jungen regelmäßig ausgeschlüpft, ehe das Blätterwerk um das Nest verwelken und hierdurch eine auffällige Farbe annehmen konnte.

Man glaubt, daß jede Zwergmaus jährlich zwei bis drei Mal Junge wirft, jedesmal ihrer fünf bis neun. Aeltere Mütter bauen immer künstlichere und vollkommenere Nester, als die jüngeren, aber auch in diesen zeigt sich schon der Trieb, die Kunst der alten auszuüben; denn bereits im ersten Jahre bauen sich die kleinen Dingerchen ziemlich vollkommene Nester, um darin zu ruhen. Gewöhnlich verweilen die Jungen so lange in ihrer prächtigen Wiege, bis sie sehen können. Die Alte hat sie jedesmal warm zugedeckt, oder vielmehr die Thüre zum Neste verschlossen, wenn sie es verlassen mußte, um sich Nahrung zu holen. Sie ist inzwischen wieder mit den Männchen ihrer Art zusammengekommen und gewöhnlich bereits von Neuem trächtig, während sie ihre Kinder nach säugen muß. Kaum sind dann diese so weit, daß sie zur Noth sich ernähren können, so überläßt sie die Alte sich selbst, nachdem sie höchstens ein paar Tage lang ihnen Führer und Rathgeber gewesen ist.

Zwergmäuse.

Falls das Glück Einem wohlwill und man gerade dazukommt, wenn die Alte ihre Brut zum ersten Male ausführt, hat man Gelegenheit, sich an einem der anziehendsten Familienthierbilder aus dem Säugethierleben zu erfreuen. So geschickt die junge Schaar ist, etwas Unterricht muß ihr doch werden, und sie hängt auch noch viel zu sehr an der Mutter, als daß sie sogleich selbstständig sein und in die weite, gefährliche Welt hinausstürmen möchte. Da hängt nun eines an diesem, das andere an jenem Halme; das zirpt zu der Mutter auf, jenes verlangt noch die Mutterbrust; dieses wäscht und putzt sich, jenes hat ein Körnchen gefunden, welches es hübsch mit den Vorderfüßen hält und aufknackt; das Nesthäkchen macht sich noch im Innern des Baues zu schaffen; das beherzteste und muthigste Männchen hat sich schon am weitesten entfernt und schwimmt vielleicht bereits unten in dem Wasser herum, aus dem das Riedgras sich erhebt; kurz, die ganze Familie ist in der lebhaftesten Bewegung und die Alte gar gemüthlich da mitten drin, hier helfend, dort rufend, führend, leitend, die ganze Gesellschaft beschützend.

Man kann dieses anmuthige Treiben so recht gemächlich betrachten, wenn man sich das ganze Nest mit nach Hause nimmt und in einen enggeflochtenen Drahtbauer bringt. Mit Hanf, süßen Aepfeln, Birnen, Hafer, Fleisch und Stubenfliegen sind die Zwergmäuse leicht zu erhalten, und sie vergelten jede Mühe, welche man sich mit ihnen giebt, durch ihr angenehmes Wesen tausendfach. Ganz allerliebst sieht es aus, wenn man eine Fliege hinhält. Da fahren alle mit großen Sprüngen auf sie los, packen sie mit den Füßchen, führen sie zum Munde und tödten sie mit einer Hast und Gier, als ob ein Löwe ein Rind erwürgen wolle; dann halten sie ihre Beute allerliebst mit den Vorderpfoten und führen sie damit zum Munde. Die Jungen werden sehr bald zahm, aber mit zunehmendem Alter wieder scheuer, falls man sich nicht ganz besonders oft und fleißig mit ihnen abgiebt. Um die Zeit, wo sie sich im Freien in ihre Schlupfwinkel zurückziehen, werden sie immer sehr unruhig und suchen mit Gewalt zu entfliehen, gerade so, wie die im Käfig gehaltenen Zugvögel zu thun pflegen, wenn die Zeit der Wanderung herannaht. Auch im März zeigen sie dasselbe Gelüste, sich aus dem Käfig zu entfernen. Sonst gewöhnen sie sich bald ein und bauen auch ganz lustig an ihren Kunstnestern, nehmen Blätter und ziehen sie mit den Pfoten durch den Mund, um sie zu spalten, ordnen und verweben sie, tragen allerhand Stoff zusammen, mit einem Worte, sie suchen sich so gut als möglich einzurichten.




Drei Verbannte.

Während der großen europäischen Reactionsperiode von 1816 bis 1830 konnte man in der schweizerischen Stadt St. Gallen an jedem sonnigen Tage einen silberhaarigen Greis, der von Jahr zu Jahr zusehends schwächer und hinfälliger wurde, am zitternden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 765. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_765.jpg&oldid=- (Version vom 9.4.2017)