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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

die Hand zum Gruße bot, „wo schall dat hüt denn noch hengahn?“[1]

Wir theilten ihm unser Anliegen mit. „Vun Harten gern, Jungens,“ entgegnete Jörn, „aberst teerst will ick een beeten eeten, und denn möt Jü ook noch eenen drinken!“[2]

Er setzte sich zu uns an den Tisch, und unter vielen Erzählungen aus den jüngst vergangenen Tagen der Friedrichsstadt verstrich uns die Zeit geschwind genug. Als ich ihm mittheilte, daß ich früher ebenfalls hätte Waidmann werden wollen, da kannte seine Freude kein Ende. Nun müsse ich jeden Tag zu ihm kommen, meinte er, um mit ihm zu jagen, sobald und so oft es nur meine Zeit erlaube.

Der Biedermann schien mich sofort in sein Herz geschlossen zu haben, und war es mir in seiner Wohnung von Anfang an ganz eigenthümlich wohl zu Muthe, so dünkte es mir jetzt doppelt gemüthlich in dem schmucklosen Stübchen.

Aus allen Schilderungen Jörn’s leuchtete die innigste Vaterlandsliebe hervor, und zu wiederholten Malen äußerte er, wenn der Feind diese Gegend besetzen würde, so verließe er sie sofort und zündete sein schwererworbenes Besitzthum lieber selber an, als daß er unter den Dänen leben möchte.

Wie das Gerücht ging, hatte er die Stellungen des Feindes gar manches Mal ausgekundschaftet und dadurch der schleswig-holsteinischen Armee wesentliche Dienste geleistet.

Darüber sprach indeß Jörn kein Wort; kam man darauf, so schwieg er still und blies die großen blauen Rauchwolken desto stärker aus seiner kurzen Pfeife. Sein Handwerk setzte ihn in den Stand, über die Stellungen des Feindes genauer unterrichtet zu sein, als jeder Andere, und dies mochte die erwähnten Vermuthungen unterhalten. Daß er für die in dortiger Gegend stehenden Schleswig-Holsteiner that was er konnte, das war im ganzen Umkreise allbekannt. Jedem, der zu „seinen braven Söhnen“ gehörte, wie er sich auszudrücken pflegte, stand sein gastfreies Haus offen, und bei dem Mangel, der im Kriege so oft das Loos des Soldaten ist, wurde diese Gastfreiheit häufig genug in Anspruch genommen.

Seit Beginn des Feldzuges von 1850 hatte Jörn wirklich eine ganz besondere Thätigkeit entwickelt. Lag es früher in seinem Interesse, das Revier möglichst zu schonen, um auch für die Zukunft seine Kunden mit Wild versorgen zu können, und hatte er in vergangenen Tagen, wenn er Morgens seine Aalkörbe, sogenannte Bungen, aufhob, stets die kleineren Exemplare der gemachten Beute der Aue zurückgegeben, damit er später einen mehr die Mühe lohnenden Fang thun könne – jetzt achtete er nicht mehr auf diese Grundregeln seiner beiden Gewerbe.

Jörn war arm. Er konnte daher seine Kinder – so nannte er alle schleswig-holsteinischen Soldaten – nicht anders unterstützen, als daß er sie mit Wild und Fischen unentgeltlich bewirthete. Darum schoß er jetzt auch Alles, was ihm auf seinem Reviere vor die Flinte kam, und warf keinen Aal, selbst nicht den kleinsten, mehr in’s Wasser zurück. „Dat is dat Letzte wat ick för Jü dohn kann,“ sagte er dabei mit ernster ahnungsvoller Miene, „denn de Krieg duhrt nich mehr lang un denn kummt de Dän wedder; mit Sleswig-Holsteen is et dann uut.“

Wohl ist er ein Patriot gewesen, warm und brav wie einer, aber weil er nur ein armer, einfacher Bauer war, steht sein Name nirgends verzeichnet!

Es war spät geworden, als wir aus dem freundlichen Jägerhause aufbrachen, um uns von Jörn über das Wasser rudern zu lassen. Stina und ihre Mutter begleiteten uns bis vor die Thür und baten mich, ja recht bald wiederzukommen, was ich von Herzen gern versprach. Jenseit des Gartens hatten wir noch eine kleine Strecke des Moors zu durchschreiten, ehe wir den Kahn besteigen konnten; dann aber ging es blitzschnell dem andern Ufer zu.

Wir sprangen an’s Land. Der Alte reichte uns die Hand und fragte mich, ob und wann er mich am andern Tage mit seinem Nachen hier erwarten könne, von wo es nur noch zehn Minuten nach Meggerdorf sei. Wir verabredeten uns auf vier Uhr Nachmittags, und mit einem freundlichen: „Goede Nacht!“ fuhr Jörn nach seiner Behausung zurück.

Ich schaute dem Schiffe noch eine Weile nach, bis mein Camerad mich mit dem prosaischen Ausrufe: „Jöttliche Aale, dahin jehen wir recht bald wieder“, dem Träumen entriß, in welches mich die eben verlebten Stunden versetzt hatten. Hurtig schritten wir nun dem Dorfe zu, und nach einer Viertelstunde meldeten wir uns bei unserm neuen Battericeommandeur.

Ein glücklicher Zufall wollte es, daß dies gerade ein Officier war, der mir früher Privatunterricht in der Mathematik ertheilt hatte. So war ich denn wenigstens nicht gänzlich fremd in meiner neuen Umgebung. „Gut, daß Sie kommen, lieber Freund,“ redete mich der Lieutenant an, „’s giebt hier eine famose Jagd, und da augenblicklich nur wenig zu thun ist, so können Sie, als guter Schütze, mich dann und wann auf meinen Pirschgängen begleiten.“

Ich erzählte hierauf meinem Vorgesetzten, daß ich soeben die Bekanntschaft Jörn Jäger’s gemacht hätte und auch von diesem zur Jagd geladen worden wäre. „Desto besser,“ entgegnete der Officier, „dann gehen wir zusammen. Der Alte ist ein braver Kerl und hat viel Muth; das ist auf unserer Jagd die Hauptsache.“ Ich sollte später den Sinn dieser Werte deutlicher verstehen lernen. Mein Quartier war ein schlichtes Bauernhaus in Meggerdorf. Schon lange pflegte sich der Preuße auf dem Lager, als ich von Johannisberg, wo mein Lieutenant lag, zurückkam. Auch ich suchte alsbald das Bett auf und entschlief rasch nach dem derben Marsche.

Am nächsten Morgen wandten sich meine ersten Gedanken dem trauten Jägerhause zu, und sobald ich meinen Dienst gethan hatte, trat ich den Weg nach dem Damme an, der von der Aue bespült wurde. Es war inzwischen vier Uhr geworden, und an der verabredeten Stelle harrte schon Jörn mit seinem Kahne, auf dessen hinterem Ende er in tiefem Sinnen saß. Unsere Begrüßung war die herzlichste, und bald hielt das kleine Fahrzeug am jenseitigen Ufer. „Mien Oolsch hätt hüt een gooden Braden moakt, un da schast Du, mien Söhn, duch eenmal recht vergnügt mit mi leben,“[3] hub der Alte fröhlich an, als der Kahn angebunden war und wir dem Hause zugingen. Er hatte mich unter den Arm gefaßt und schien so glücklich zu sein, als gälte es heute seinem eigenen Sohne ein Fest zu bereiten.

Wieder verlebte ich unter den einfachen Leuten einen gemüthlich-heitern Abend. Jörn erzählte viel von dem unglückseligen Kriege und hatte manches Zorneswort für die deutschen Regierungen, welche das theure Vaterland, für das sie zwei Jahre hindurch mitgefochten, jetzt so schmachvoll im Stiche gelassen hatten. Auch die Art der gegenwärtigen Kriegführung war gar nicht nach seinem Sinne, und mehr als einmal jammerte er über das unnütz vergossene Blut so vieler tapferen Soldaten.

Draußen tobte der Sturm und peitschte dicke Regentropfen gegen die Fenster. Schon Nachmittags hatte sich der Himmel umwölkt, und nun war das volle Unwetter hereingebrochen. Bei dem Winde war es unmöglich über das Wasser zu kommen. Was blieb also anders übrig, als bei einem recht heißen Glase Grog den Eintritt besseren Wetters zu erwarten? Aber immer wilder tobte der Sturm, und selbst die Wände des solid erbauten Jägerhauses begannen bedenklich zu wanken. Mit dem Rücken gegen den großen Kachelofen lehnend und aus einer kurzen Thonpfeife rauchend, fühlte ich mich bei dem wilden Tosen, das draußen herrschte, in der trockenen Stube nur um so behaglicher; ja ich ertappte mich auf dem stillen Wunsche, daß das Wettergraus noch recht lange anhalten möge.

Gegen elf Uhr ging Jörn hinaus, um nachzusehen, ob die Rückkehr nach Meggerdorf heute überhaupt noch möglich werden würde. Bald war er wieder bei uns, hing seinen Südwester auf und erklärte, ich müsse diese Nacht bei ihm bleiben, denn an eine Ueberfahrt sei heute nicht mehr zu denken. War mir dies nun in einer Beziehung ganz lieb, so ängstigte mich’s doch in anderer Hinsicht nicht wenig; im Falle eines nächtlichen Alarms hätte ich ja meine Batterie nicht erreichen können. Der Alte beruhigte mich jedoch darüber und versprach mir, in solchem Falle Alles zu wagen. Uebrigens, setzte er gleichzeitig in bestimmtem Tone hinzu, wäre an einen Angriff gar nicht zu denken. Er habe heute Morgen noch die Stellung des Feindes beobachten können. Der hätte sich weit zurückgezogen und die erste Feldwache fast zwei Stunden von hier aufgestellt. Ich hatte seit zehn Wochen in keinem Bette geschlafen; Stroh war das beste Nachtlager gewesen, das ich gehabt, und oft hatte die liebe Muttererde meine Matratze und die auf den Boden gestellte Pickelhaube mein Kopfkissen abgeben müssen. Auch diese Nacht gedachte ich mir im Zimmer ein Strohlager zurecht zu machen. Solche Ideen aber nahm mir Jörn schier übel.

  1. Wo soll das heute noch hingehen?
  2. Von Herzen gern, Jungens, aber erst will ich ein wenig essen, und dann müßt Ihr noch Einen trinken.
  3. Meine Frau hat heute einen guten Braten gemacht, und da sollst Du, mein Sohn, doch einmal recht vergnügt mit mir leben.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 775. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_775.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)