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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der Kurfürst und der Geldfürst.
Novelle von Louise Mühlbach.
(Fortsetzung.)

Aber schön Gudula bezeigte Allen nur eine stolze Zurückhaltung und Kälte, und keiner von den Cavalieren und reichen Herren hatte je es gewagt, zum zweiten Male die niedrige düstere Stube zu betreten, in welcher „schön Gudula, die Judenkönigin“ mit ihrem halb blinden Vater wohnte. Doch nicht blos Anbeter und Courmacher waren in das Haus gekommen, sondern auch Freier, welche schön Gudula zur Frau begehrten, und sie aus der Judenstadt hinausführen wollten in die hellen Gassen der glänzenden Reichsstadt, wenn die schöne Judenkönigin sich nur dazu entschließen wollte, eine Christin zu werden. Gudula hatte jeden solchen Vorschlag mit Entrüstung abgelehnt, und ihr Vater war ein zu strenggläubiger Jude, um ihrer Entscheidung entgegentreten zu mögen. Aber heute war es ein Anderes gewesen, heute war ein reicher jüdischer Kaufmann aus Hanau gekommen, und hatte der schönen Gudula seine Hand angetragen, und wieder hatte sie den Freier mit einem stolzen Nein abgewiesen.

Dieses Nein hatte indessen nicht die Billigung ihres Vaters gefunden, sondern seinen höchsten Zorn und seine heftigste Mißstimmung erregt. Gudula hatte die Ausbrüche derselben mit schweigender Ruhe ertragen, und ihr Haupt nur tiefer auf ihre Nätherei gesenkt, als wär’s ein Gewitter, das sie demüthiglich wollte austoben lassen.

Aber das Gewitter wollte gar nicht austoben, der Donner des väterlichen Zornes tönte immer fort, und rief endlich schwere Tropfen aus schön Gudula’s Augen hervor.

Sie ließ ihre Näharbeit in ihren Schooß gleiten und schaute mit einem flehenden Ausdruck zu ihrem Vater empor, der ihr gegenüber saß in dem alten ledernen, schwarzen Lehnstuhl.

„Vater,“ sagte sie mit flehender Stimme, „wenn Du so schiltst, so muß ich weinen, und wenn ich weine, kann ich nicht nähen. Ich muß die Arbeit aber fertig haben, denn ich muß sie heute Abend noch hinaustragen zu der Gräfin Tettenborn. Sie ist eine sehr eigene Dame, ich habe ihr versprechen müssen, die Arbeit heute noch abzuliefern, und wenn ich nicht Wort halte, wird sie mir keine Arbeit mehr geben.“

„Wenn Du den reichen Nathan genommen hättest, brauchtest Du gar nicht mehr zu arbeiten,“ schrie ihr Vater. „Hättest dann nicht mehr nötig, eine arme Nätherin zu sein, könntest in stolzen Carossen fahren und ebenso vornehm thun, wie eine Gräfin. Beim Gott meiner Väter, ich werd’ noch sterben vor Aerger über das unvernünftige dumme Ding, das nicht hat so viel Liebe zu ihrem Vater, um die Hand des reichen Mannes anzunehmen, der mein Alter weich betten, und meine letzten Tage verschönern wollt’ mit Wohlleben und Ueberfluß.“

„Vater,“ rief Gudula schmerzlich, „ich will für Dich arbeiten Nacht und Tag, ich will noch fleißiger fein, als ich bisher gewesen, es soll Dir an nichts fehlen, Du sollst Alles haben. was Du begehrst! nur fordere nicht, daß ich einen Mann heirate, den ich nicht liebe.“

„Warum liebst Du ihn nicht?“ schrie der alle Mann zornig. „Warum liebst den Baruch Nathan nicht, der doch ein reicher Mann ist, den man lieben kann? Ich will’s Dir sagen, warum Du ihn nicht liebst: weil Du den Mayer Anselm –“

„Vater, sprich nicht weiter,“ rief Gudula, mit erglühenden Wangen von ihrem Sessel emporspringend, „Du beleidigst und kränkst mich mit dem, was Du da sagen willst!“

„Ich will Dich auch beleidigen und kränken,“ sagte ihr Vater trotzig. „Ich will schlagen auf Deinen Stolz, daß er aufwach’ in Deiner Brust, ich will schlagen auf Deine unsinnige Liebe, daß sie sterb’ in Deinem Herzen. Denkst wohl, ich weiß nit, warum Du den Baruch Nathan nicht heirathen willst? Denkst wohl, ich weiß nicht, in wen Du Dich vernarrt hast? O, ich weiß Alles, denn was ich nicht kann sehen mit meinen Augen, das hör’ ich mit meinen Ohren und begreif’s mit meinem Kopf. Weiß es schon längst, daß die Gudula hat gegeben ihr Herz dahin an einen Menschen, der keine Augen hat im Kopf, um zu sehen, daß die Gudula schön ist und jung, und daß sie ihn liebt; weiß es schon längst, daß die Gudula ihre reichen Freier blos darum weiset fort von ihrer Thür, weil sie die Thür offen halten will für den armen Mayer –“

„Schweig,“ unterbrach ihn Gudula, indem sie mit einer zuckenden Bewegung ihre Hand auf den Arm ihres Vaters legte, „um Jehovah’s willen schweig; da kommt der Anselm Mayer über die Straße daher zu uns. Wenn Du aber jetzt noch willst weiter reden, wenn Du noch willst hinzufügen ein Wort, und willst beschämen Deine Tochter in seiner Gegenwart, so schwöre ich Dir beim Gott unserer Väter, daß ich hingeh, wo der Main am tiefsten ist, und mich hineinstürz’. Jetzt red’, wenn Du willst.“

Und mit fliegendem Athem, mit hocherglühten Wangen setzte sich Gudula wieder auf ihren Binsenstuhl am Fenster, und nahm ihre Näharbeit wieder zur Hand.

In demselben Moment öffnete sich die Thür, und ein junger Mann von schöner Gestalt, von jugendkräftigem, aber ernstem Angesicht trat ein.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 785. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_785.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)