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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Der Kurfürst und der Geldfürst.
Novelle von Louise Mühlbach.
(Fortsetzung.)

Das Fenster ward geschlossen, dann näherten sich schlürfende Schritte der Thür, sie ward geöffnet, und Baruch hieß den jungen Mann eintreten. Er folgte dem Alten schweigend in das Gemach, er schloß mit zitternder Hand hinter ihnen Beiden die Thür. Seine Augen flogen mit einem wilden, scheuen Blick durch das von einer kleinen trüben Lampe erhellte Gemach, als suchten sie da Etwas. Dann hefteten sie sich auf das Antlitz des alten Baruch, der zitternd, sprachlos ihm gegenüberstand.

„Sie ist nicht heimgekehrt?“ fragte Mayer Anselm nach einer Pause.

„Nein, sie ist nicht heimgekehrt,“ rief der Alte mit tonloser Stimme. „Ist sechs Stunden fort und noch nicht heimgekehrt!“

„Ich geh’ ihr nach, ich hol’ sie!“ sagte Mayer Anselm entschlossen. „Beschreibt mir den Weg, Vater Baruch, ich hol’ die Gudula ab.“

„Ich weiß den Weg nicht, Mayer Anselm.“

Ein Schrei, ob des Schmerzes oder des Zornes, tönte von des jungen Mannes Lippen. „Ihr wißt den Weg nicht, Baruch? Wißt nicht einmal, wohin die Gudula zu gehen hat, wenn sie in das Abenddunkel und die Nacht hinaus muß, um sich Arbeit zu holen? Ihr seid ein schlechter Vater, Baruch. Ihr mißbraucht Euer gutes schönes Kind. Für Euch arbeitet sie, für Euch müht und quält sie sich den ganzen Tag, und Ihr wißt nicht einmal, wohin sie geht!“

Er sagte das mit lauter, zorniger Stimme, und doch war sein Angesicht so bleich und traurig, und es zuckte so schmerzlich um seine Lippen.

Baruch starrte ihn an und wußte in seiner Herzensangst gar nichts zu erwidern auf die heftigen Vorwürfe des jungen Mannes.

„Sie hat mir wohl beschrieben, wo ungefähr die Villa der Gräfin Tettenborn liegt,“ begann er endlich schüchtern.

„Wo denn?“ fragte Mayer hastig. „Besinnt Euch, Baruch! Es kommt Alles darauf an, daß Ihr es wißt.“

„Die Villa liegt in den neuen Anlagen drüben am Main,“ sagte Baruch langsam, gedankenvoll, jedes Wort erwägend und in seinem Gedächtniß nachspürend. „Es sind dort seit Kurzem viel neue Villen gebaut, hat mir die Gudula gesagt, aber die Villa, in welcher die Gräfin Tettenborn wohnt, ist die größte und schönste. Es ist die letzte Villa auf der rechten Seite, hat die Gudula gesagt, sie hat ein Stockwerk mehr, als alle die übrigen Villen, und hinter derselben ist ein großer, schöner Garten, in welchem sich noch ein Pavillon befindet, der so groß ist, daß eine ganze Familie darin wohnen könnte.“

Mayer Anselm hatte ihm athemlos, mit weit geöffneten Augen, mit gespannten Mienen, zugehört. „Weiter,“ sagte er kurz, gebieterisch, als Baruch jetzt schwieg.

„Weiter weiß ich nichts, Mayer Anselm,“ erwiderte Baruch ganz kleinmüthig.

„Es ist auch genug, Vater Baruch,“ sagte Mayer entschlossen, „genug, um mich darnach zurechtzufinden. Ich kenne die neuen Anlagen, und Ihr habt mir das Haus deutlich genug beschrieben. Vergebt mir, Vater Baruch, wenn ich vorher so heftig herausfuhr. Es war nur die Angst um die Gudula. Vergebt mir!“

„Ich habe Dir nichts zu vergeben, Mayer Anselm. Bringe mir nur die Gudula lebend wieder, und Alles ist gut!“

„Lebend?“ rief Mayer Anselm entsetzt. „Wie meint Ihr das, Vater Baruch? Ihr seid doch ganz gewiß, daß sie nach der Villa der Gräfin Tettenborn gegangen ist?“

„Ich hoffe es, gewiß, ich hoffe es,“ sagte der Alte, plötzlich in lautes Schluchzen ausbrechend.

„Sie könnt’ also noch anderswohin gegangen sein?“

„Könnte! Aber ich will’s nicht fürchten! Nein, ich will’s nicht fürchten! Wir hatten einen kleinen Wortwechsel heute Abend, ehe Du kamst. Ich war böse und schalt sie, daß sie den reichem Baruch Nathan, der heute hat geworben um sie, daß sie den hat ausgeschlagen, ich schalt sie und sagte etwas, das ihr weh that und sie kränkte. Da drohte mir die Gudula, daß sie sich wollt’, wo der Main am tiefsten wär’, in’s Wasser stürzen, und sie sah dabei so traurig und ernst aus, daß ich gar nicht wieder vergessen kann das Gesicht.“

„Was konntet Ihr der Gudula sagen, was sie so kränken konnte, daß sie sich darüber das Leben nehmen wollte? Sagt es mir!“

„Nein, ich kann’s und will’s Dir nicht sagen, Mayer Anselm, denn gerad’ wenn ich’s Dir sagte, hat sie geschworen, daß sie sich tödten wollte. Aber ich habe Dir ja nichts gesagt, und sie weiß das, denn sie war ja hier und hat Alles gehört, was ich mit Dir gesprochen habe. Sie wird sich also nicht in’s Wasser gestürzt haben, nein, sie wird das nicht gethan haben, sie ist nur nach der Villa der Gräfin Tettenborn gegangen.“

„Und ich hol’ sie von dort zurück, Baruch, und ich such’ sie überall auf dem Weg, und ich kehr’ nicht ohne sie heim. Lebt wohl!“

Er nickte rasch mit dem Kopf und sprang aus dem Zimmer, stürzte hinaus auf die Straße, vorwärts, vorwärts in unaufhaltsamer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_801.jpg&oldid=- (Version vom 7.1.2019)