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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Seiten hin spähend, umschauend nach dem Pavillon. Ueberall nur dichtes Gebüsch, nirgends ein Gebäude.

Aber da, da blitzt es mitten durch das Gebüsch auf wie ein heller Stern. „Ein Licht! Ein Licht! Dort muß also der Pavillon liegen, und dort wacht noch Jemand, dort brennt noch Licht hinter den Fensterscheiben.“

Ein kleiner schmaler Pfad, der in das Gebüsch hineinführt, liegt vor ihm. Er rennt auf ihm vorwärts, folgt ihm in seinen schneckenartigen Windungen durch das Gebüsch, und gelangt endlich auf einen freien runden Platz.

In der Mitte erhebt sich der Pavillon, und die Fenster desselben sind hell erleuchtet. Mayer Anselm steht still, mit keuchender Brust, nach Athem ringend, die Augen mit einer flammenden Neugierde nach dem Pavillon hingerichtet, der vielleicht ihm Auskunft geben wird über das Räthsel von Gudula’s Verschwinden.

„Und wenn sie nun nicht dort ist? Wenn diese letzte Hoffnung umsonst gewesen; was dann? O mein Gott, was dann?“ Auf einmal ist es, als ob er laute streitende Stimmen vernähme, die aus dem Pavillon hervortönen.

Er zaudert nicht länger, er geht langsam vorsichtig vorwärts. Nichts regt sich um ihn her, keine Wächter behüten den Pavillon. Er kann bis dicht zu ihm heranschleichen, Niemand hält ihn auf. Die erleuchteten Fenster der untern Etage liegen freilich zu hoch, daß man von unten nicht hineinschauen kann, aber da vor dem mittelsten der drei erleuchteten Fenster ist ein Balcon, neben welchem ein paar schlanke Akazienbäume sich erheben. Mayer Anselm klettert mit der Gewandtheit eines Panthers an einem derselben empor, läßt von dort sich vorsichtig auf die Ballustrade des Balcons gleiten, und steigt auf denselben nieder.

Sein Herz klopft so stürmisch, daß er jeden einzelnen Schlag desselben auf seinen Rippen fühlt, er muß sich an dem Sims festhalten, um nicht zusammenzusinken, er muß erst sich sammeln, sich zusammenraffen, damit er den Muth gewinne ruhig, besonnen zu sein.

Die Stimmen tönen fort und fort, die Stimme eines Mannes und einer Frau, diese letztere Stimme schlägt mit bekannten, ach nur zu bekannten Tönen an sein Ohr!

Es ist Gudula’s Stimme. Sie lebt also, sie ist in seiner Nähe. Er hat sie wiedergefunden. Aber wenn sie nun nicht gezwungener Weise sich hier in dem Pavillon befände? Wenn sie nun freiwillig dem Manne gefolgt wäre, der eben zu ihr spricht mit lauter, leidenschaftlicher Stimme. Wer ist dieser Mann? Was spricht er zu ihr? Mayer Anselm muß das wissen, und wenn das Wissen für ihn auch das Verderben wäre. Leise schleicht er bis dicht zu den Fenstern heran. Der Vorhang hinter denselben ist verschoben, er sieht in ein glänzend eingerichtetes, hell erleuchtetes Gemach – aber er sieht nur Gudula, welche da mit blitzenden Augen, mit hochgerötheten Wangen in der Mitte dieses Gemaches steht, er sieht nur den jungen, schönen Mann in der goldgestickten Uniform, der vor ihr auf den Knieen liegt, und mit flehendem Ausdruck zu ihr emporschaut.

„Sie wollen mir nicht vergeben, Gudula? Sie zürnen mir immer noch?“ fragte er mit weicher, klangvoller Stimme.

„Ja,“ rief Gudula laut und heftig. „Ja, ich zürne Ihnen, und so lange ich lebe, werde ich Ihnen nicht vergeben. Was giebt Ihnen das Recht, mich hier wie in einem Gefängnisse festzuhalten, mich mit Gewalt zu verhindern, diesen Pavillon zu verlassen und zu meinem Vater zurückzukehren? Habe ich Ihnen dazu die Erlaubniß gegeben, habe ich auch nur mit einem Blick, einem Lächeln, zu solchem Frevel ermuthigt?“

„Nein, Gudula, das hast du leider nicht gethan. Aber mein Gott, du schönes, vergöttertes Kind, soll ich es Dir denn immer und immer wiederholen, daß ich dich liebe, daß ich dich anbete, daß ich sterbe, wenn du meine Liebe nicht erwiderst? Und ich liebe dich ja nicht erst heute, Gudula, es ist nicht die Caprice eines Momentes. Ich liebe dich seit Monaten, ich liebe dich von dem Augenblicke an, da ich dein Bild sah!“

„Ich verwünsche die Hand, welche mich gemalt!“ rief Gudula leidenschaftlich, „ich hasse dies Bild, welches die Ursache solcher Beschimpfung ist!“

„Ich segne die Hand, welche Dich gemalt,“ sagte der junge Officier, „ich liebe das Bild, welches doch nur ein schwacher Abglanz deiner bezaubernden Schönheit ist. Seit ich es besitze, liebe ich dich, sind alle meine Gedanken darauf gerichtet gewesen, auch das wundervolle Original dieses Portraits mein eigen zu nennen. Um deinetwillen, Gudula, habe ich diese Villa gekauft, um deinetwillen eine meiner Vertrauten hier wohnen lassen. O, ich wußte wohl, daß du ebenso unschuldig als tugendhaft, ebenso streng als unerbittlich bist. Ich hatte das Alles in deinem Angesicht gelesen, ich wußte, daß ich das schüchterne Reh erst zähmen müßte, bevor es das Antlitz des kühnen Jägers sehen durfte, der ihm nachzustellen wagt. Du hast daher nur die Gräfin Tettenborn gesehen, du bist nur zu ihr gekommen, um dir von ihr Aufträge geben zu lassen; du hast nie gesehen, wie ich, während Du im Salon mit ihr sprachst, verstohlen durch die Spalte der Thür schaute, entzückt über Deine holde Einfachheit, deine bezaubernde Anmuth, Dich verschlingend mit meinen Blicken, und doch nicht wagend, mich dir zu nahen. Aber gestern ertrug ich’s nicht länger. Ich mußte einmal deine Stimme hören, mußte deinem Blicke begegnen, und als ich’s erreicht, da schwur ich mir selber, daß ich endlich die Entscheidung herbeiführen wolle.“

„Und Sie sollen jetzt die Entscheidung haben,“ sagte sie mit stolzer Ruhe, so hoheitvoll, als wäre sie wirklich eine Königin. „Ja, Sie sollen die Entscheidung haben. Ich verachte Sie, ich verwünsche die ehrlose Frau, welche Ihre Helfershelferin gewesen. Oeffnen Sie die Thür und lassen Sie mich gehen!“

Draußen auf dem Balcon kniete ein zweiter junger Mann; Thränen standen in seinen Augen, die beiden Arme hatte er zum Himmel erhoben und flüsterte zu den Sternen, zu dem Mond hinauf: „Gesegnet sei sie für dieses Wort! Danken will ich ihr, so lange ich lebe!“

Dann sprang er wieder empor, um zu horchen, um bereit zu sein, Gudula beizustehen.

Auch der junge Mann da drinnen hatte sich aufgerichtet, er stand Gudula gegenüber mit entschlossenem, flammendem Gesicht. „Nein,“ sagte er, „ich werde diese Thür nicht öffnen, ich werde Dich nicht von hier fortgehen lassen. Du bist in meiner Gewalt, und Du wirst so lange gezwungen bei mir bleiben, bis ich durch meine Liebe, meine Treue, meine Unterwürfigkeit Dein stolzes Herz besiegt und dich gezwungen habe, meine Liebe zu erwidern.“

„Nie, nie wird das geschehen!“ rief sie zornig. „Gott meiner Väter, höre meinen Schwur, niemals werde ich diesem Manne das schmachvolle Verbrechen vergeben, durch welches er mich hier in seine Gewalt bekommen hat, nie werde ich ihm den Frevel verzeihen, nie anders als mit Haß und Abscheu seiner gedenken!“

„Mädchenschwüre!“ sagte der junge Officier achselzuckend. „Gott hört zum guten Glück nicht auf solche Schwüre, am wenigsten der Deine, mein schönstes Kind, denn Dein Gott ist kein Gott der Liebe, sondern der Rache!“

„Er wird mich rächen! Ihm übergebe ich mich und meine Sache,“ rief Gudula, ihre Arme zum Himmel emporstreckend. „Zum letzten Male fordere ich jetzt von Ihnen, öffnen Sie mir die Thür. Lassen Sie mich gehen! Seit langen qualvollen Stunden halten Sie mich hier fest, martern Sie mich durch Ihre ehrlosen Anträge, die gleich sehr mein Herz und meinen Stolz verwunden. Sie sehen es wohl, Ihre Worte sind vergeblich! Lassen Sie mich also gehen, oder, bei Gott im Himmel, ich tödte mich, und Sie sind mein Mörder!“

„Ich werde dich nicht gehen lassen, und du wirst dich nicht tödten, Gudula. Jetzt zürnst du mir, aber du wirst mir verzeihen, du wirst endlich mich lieben. Du wirst die Meine werden, und dann wirst Du Dich nicht mehr verbergen, dann soll die ganze Welt unser Glück, unsere Liebe kennen. Ich werde dich umgeben mit allen Genüssen, mit allem Glanz des Lebens und –“

„Oeffnen Sie die Thür!“ unterbrach ihn Gudula gebieterisch.

„Nein, nein!“ rief er glühend. „Du bleibst bei mir. Ich banne dich an mein Herz, und da will ich Dich ewig halten, und da sollst du lernen, mich zu lieben.“

„Fort von mir!“ rief sie außer sich, mit beiden Händen seine Arme zurückdrängend, die sich nach ihr ausstreckten, „fort von mir, oder –“

Das laute Klirren einer Fensterscheibe unterbrach sie, und wie sie erschreckt sich dorthin wandte, sah sie durch die zerschlagene Fensterscheibe einen Arm sich hineinstrecken und die Wirbel des Fensters drehen. Das Fenster öffnete sich, ein junger Mann sprang in das Zimmer.

Gudula stieß einen Schrei des Entzückens aus und flog zu

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