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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

ihm hin, warf ihre beiden Arme um seinen Hals und drückte einen glühenden Kuß auf seine Lippen, dann aber, wie erschrocken über die Gluth ihres eigenen Empfindens, wollte sie tief erröthend zurücktreten, aber Mayer Anselm hielt sie fest in seinem Arm.

„Was bedeutet dies?“ rief der junge Officier, dicht zu dem Paare herantretend. „Wer untersteht sich, hier auf so freche Weise wie ein Dieb einzudringen?“

„Jemand, der gekommen ist, die Gudula zu erlösen,“ erwiderte Mayer Anselm mit stolz gehobenem Haupte. „Jemand, der Gudula befreien will von dem, der auf freche Weise wie ein Räuber sie überfallen hat, Herr Landgraf Wilhelm von Hessen!“

„Unverschämter Bursche!“ schrie der Landgraf, indem er den Arm erhob, „ich werde Dich züchtigen wie – aber nein,“ unterbrach er sich selbst, „nein, selbst die Berührung meiner Faust wäre für Dich ein Ritterschlag und würde den Judenjungen in einen Cavalier verwandeln. Ich werde Dich strafen, wie Du es verdienst. Du bist als Dieb hier eingedrungen, ich werde Dich arretiren und des Diebstahls anklagen lassen!“

„Herr Landgraf, Sie werden das nicht thun,“ rief Gudula, sich von Mayer Anselm’s Arme loßreißend und zu dem jungen Fürsten hintretend, „nein, Sie werden Erbarmen haben, Sie –“

„Still, Gudula, still,“ unterbrach sie Mayer Anselm stolz, „Du sollst Dich nicht erniedrigen zu Bitten. Wir sind in unserm guten Rechte, und –“

„Recht?“ rief der Landgraf mit höhnischem Lachen, „hat denn der Jude Recht? Rufe es doch an vor dem Gericht, Jude, wage es doch, mich anzuklagen, und sieh zu, ob der Jude Recht bekommt, gegen den Landgrafen von Hanau, den zukünftigen Kurfürsten von Hessen! Ich werde Dich als Dieb dem Arm der Gerechtigkeit überliefern, und bei Gott, Du wirst die Strafe für Deinen Einbruch empfangen!“

„Und ich werde, wenn die Ungerechtigkeit der Menschen mich verdammt, sie erdulden,“ sagte Mayer Anselm ruhig, „aber ich werde Sie verklagen vor Ihrem Gewissen und vor Gott. Ich werde laut vor aller Welt meine Unschuld betheuern und ich werde Sie als Verbrecher anklagen.“

„Und Du wirst doch verurtheilt werden!“ lachte der Landgraf. „Aber wer bist Du denn eigentlich? Was für Rechte hast Du auf dies Mädchen?“

„Er ist mein Bruder, mein theurer, geliebter Bruder,“ rief Gudula. „Herr Landgraf, Sie sagen, daß Sie mich lieben. Nun wohlan, beweisen Sie es mir. Seien Sie großmüthig, vergeben Sie meinem Bruder, lassen Sie ihn frei und ungehindert von hinnen gehen! Lassen Sie mich mit ihm gehen, überwinden Sie Ihr Herz, und ich will vergessen und vergeben, ich will zu Gott beten für Ihr Glück. Lassen Sie diese finstere Stunde ein Geheimniß sein, das niemals über unsere Lippen kommen soll, löschen Sie es aus mit dem großmüthigen Wort: Gehe, Gudula, ich hindere Dich nicht!“

„Nein, nein,“ rief der junge Fürst schmerzlich, „nein, Gudula, ich kann nicht, denn ich liebe Dich wirklich und ich will Dir jetzt einen Beweis davon geben! In Gegenwart Deines Bruders wiederhole ich Dir: ich liebe Dich! Und meine Liebe ist so groß, daß sie allen Vorurtheilen Trotz bietet. Gudula, ich will Deiner Tugend, Deiner Ehre Achtung beweisen. Ich biete Dir meine Hand an. Werde Christin, und Du sollst meine Gattin werden. Ich kann Dich nicht zu meiner legitimen Gattin machen, aber Du sollst meine angetraute Frau werden, ich werde Dir Rang, Stand und Namen geben, ich werde Jedermann zwingen, Dich zu ehren als meine Frau. Werde eine Christin, ich biete Dir meine Hand!“

„Ich bleibe treu dem Gotte meiner Väter!“ sagte Gudula feierlich, „ich bin eine Jüdin und ich bleibe es!“

„Du schlägst meine Hand aus?“ fragte der Landgraf mit schmerzlichem Zorn. „Du willst also Deinen Bruder in’s Verderben stürzen?“

„Ich bin nicht Gudula’s Bruder,“ sagte Mayer Anselm, den flammenden Augen des Fürsten mit festem Blick begegnend.

„Nicht ihr Bruder, und wer bist Du denn?“

„Ich bin ihr Freund, ihr Bräutigam, ihr zukünftiger Mann. Komm, Gudula, lege Deine Hand in die meine und sage dem Herrn Landgrafen, daß ich ein heiliges Recht habe, hier zu stehen, daß Du mein Weib werden willst!“

Sie legte mit einem köstlichen Lächeln ihre Hand in die seinige, aber sie sprach nicht.

„Herr Landgraf,“ fuhr Mayer Anselm fort, „es ist das zweite Mal, daß wir uns begegnen. Vor zwölf Jahren kamen Sie nach der Judenstadt, um die Schmach und das Unglück unseres Volkes aus müßiger Neugierde sich anzuschauen. Damals sagte der hochmüthige Fürstenknabe zu dem trotzigen Judenjungen: „Wenn Du recht in Noth und Unglück bist, so komme zu mir nach Hanau und bitte mich um Hülfe, und sie soll Dir werden.“ Herr Landgraf, ich bin jetzt in Noth und Unglück, denn es will mir Jemand das Liebste nehmen, was ich auf der Welt habe; Herr Landgraf, ich bitte Sie, der berufen ist, ein Volk zu regieren, um Hülfe gegen den jungen Mann, der in der Blindheit der Leidenschaft sich selbst und seine Ehre beleidigen will. Herr Landgraf, Sie werden mir diese Hülfe nicht verweigern. Sie werden nicht zugeben, daß man dem armen Juden, dem die Menschen Alles genommen haben, Alles außer dem Glück des Familienlebens, daß man ihm auch das noch freventlich raubt. Sie sind ein Fürst, ein reicher Mann, Sie werden dem Juden, dem armen Mann, nicht sein einziges Gut stehlen wollen!“

„Stehlen?!“ rief der Landgraf auffahrend.

„Man nennt stehlen, was man widerrechtlich, gewaltsam dem Besitze Anderer entreißt,“ sagte der junge Mann ruhig. „Herr Landgraf, ich habe den Dieb auf der That ertappt und ich nehme ihm das unrecht erworbene Gut wieder ab. Komm, Gudula, folge mir, Dein Vater erwartet Dich. Der Herr Landgraf hat auf seltsame Weise um Deine Liebe geworben, Du hast ihn ausgeschlagen, Du hast ihm gesagt, daß Du ihn nicht liebst, er hat also kein Recht auf Dich. Komm, wir gehen fort von hier. Wenn noch ein Fünkchen von Ehre, von Stolz und Edelmuth in diesem Fürstensohne ist, so wird er uns nicht hindern. Ich habe keine Wehr und keine Waffen gegen diesen stolzen Mann, aber ich habe mein gutes Recht und sein Gewissen für mich. Komm, Gudula, wir kehren heim nach der Judenstadt.“

Er hielt Gudula’s Hand fest in der seinen, er führte sie mit langsamem ruhigem Schritt nach der Thür hin, schob den Riegel zurück, stieß die Thür auf und ging mit Gudula hinaus.

(Schluß folgt.)





Bilder aus dem Thiergarten.
Von Brehm.
1. Ein Gang durch den Thiergarten zu Hamburg.

Bevor ich beginne, Ihnen, mein lieber Keil, und den Lesern der Gartenlaube Einiges von dem Leben und Treiben der schon jetzt sehr namhaften und theilnahmswerten Gefangenen unseres Thiergartens zu erzählen, muß ich Sie wohl erst mit dem Garten selbst bekannt machen. Ich halte dies schon aus dem Grunde für nöthig, weil jede derartige Anstalt ihre Geschichte hat und ein kurzer Rückblick auf dieselbe zu Nutz und Frommen Anderer, welche sich an ähnlichen Anstalten betheiligen wollen, nicht unerwünscht sein kann.

Man rühmt den Hamburgern nach, und mit Recht, daß sie das, was sie ergreifen, mit Ernst und Eifer erfassen, und dieser Ruhm ist denn auch bei dem hiesigen Thiergarten (wie auch ich mit dem sogenannten gemeinen Manne Hamburgs anstatt „Zoologischer Garten“ sage) redlich verdient worden. Noch sind keine drei Jahre vergangen, seitdem der erste Gedanke zur Gründung gedachter Anstalt gefaßt worden war, und schon jetzt kann sie vielen anderen kühn zur Seite gestellt werden. Unser Thiergarten ist geworden, was er werden sollte, ein Lieblingsaufentalt der Bewohnerschaft Hamburgs ohne Unterschied.

Fast ergötzlich ist es, zu berichten, wie sich die herrschende

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_804.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)