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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Holzschuhen war bereits mit dem Abspannen der Pferde beschäftigt. Wagen, Pferde, Geschirr, Alles war außerordentlich stattlich. Die Männer waren bereits vom Wagen gestiegen und beschäftigt, ihren Frauen und Töchtern herabzuhelfen. Alle waren im Festtagsanzug, in vollständig städtischer Kleidung; ich sah seidene, kostbare Kleider, ganz moderne Strohhüte, goldene Ketten, kleine, zierliche Damenuhren und mit edlen Steinen besetzte Armbänder. Man liebt es in Schleswig, bei Besuchen und Fahrten über Land seinen Schmuck und seine modernen Kleider, deren Schnitt sich oft keine Dame in einer großen deutschen Stadt zu schämen braucht, zu zeigen. Unter den Angekommenen waren zwei sehr hübsche Mädchen. Drei von den Bauern kannte ich bereits ihrem Namen nach als „große deutsche Männer“, wie mein Kutscher auf einer Fahrt durch Angeln zu sagen pflegte; ich hatte Empfehlungsbriefe an sie und wollte sie am andern Tage besuchen. Desto größer war meine Freude, sie unverhofft hier zu treffen. Alle schüttelten mir herzlich die Hände. Das „Unglück im Lande“ hatte uns bereits vertraut gemacht, als wir den Saal betreten hatten. Nach einer halben Stunde saßen wir sämmtlich an dem Tische, wo ich vor Kurzem erst zum zweiten Male das Mittagessen eingenommen hatte, um den Thee einzunehmen. Die Dämmerung war angebrochen, das große Zimmer wurde durch zwei prächtige Astrallampen mit milchweißen Kuppelgläsern erleuchtet, der an zwei Seiten durch Ausziehen zweier Einsätze vergrößerte Tisch war mit Theegeschirr, Tellern von seinem Porzellan, silbernen Gabeln und Messern, mit einer dampfenden großen Theemaschine und mit großen Vorräthen von Brod, Butter, Rum, Käse, Fleisch, Schinken, Würsten, Sardellen und Neunaugen bedeckt. Die Frau und die Tochter des Hofbesitzers gingen selbst ab und zu, um alles zum Thee Nöthige zu besorgen. Unsere Gäste unterhielten sich zuweilen in plattdeutscher Sprache, während sie meistens, mit mir aber immer, hochdeutsch sprachen. „Entschuldigen Sie nur,“ sagte einer der Angekommenen, „wir sind es gewöhnt, wenn wir unter uns sind, plattdeutsch zu sprechen.“

„O,“ erwiderte ich im plattdeutschen Dialekt, „sprechen wir Alle plattdeutsch. Ich spreche und verstehe es ebensogut, wie das Hochdeutsche.“

Von nun an wurde den ganzen Abend fast durchgängig plattdeutsch gesprochen. Ich glaubte oft auf der rothen Erde in meinem westphälischen Vaterlande zu sein, so sehr glichen sich die Dialekte. In Schleswig wird auch in den Städten in manchen vornehmen Häusern vielfach plattdeutsch gesprochen. Die Unterhaltung drehte sich größtentheils um europäische politische Verhältnisse. Der Bauer in Schleswig politisirt sehr gern; er hat meist immer eine allgemeine politische Bildung; es werden viel Zeitungen im Lande gelesen; auf den meisten Höfen fand ich kleine, oft recht gut sortirte Bibliotheken. In Preußen war gerade die sogenannte „neue Aera“ angebrochen; man erwartete auch für Schleswig-Holstein viel von dem liberalen Ministerium. Wie hat man sich getäuscht! „Und sollten sie uns auch jetzt nicht helfen,“ rief einer der angekommenen Hofbesitzer aus, „wir halten Stand; den Dänen weichen wir lange noch nicht. Wir leisten Widerstand, so lange der letzte Deutsche im Lande ist.“ Dann sprachen sie von den italienischen Verhältnissen, welche sie sehr interessirten. Ich mußte ihnen so viel Einzelnheiten, wie ich wußte, von Garibaldi und von Cavour erzählen. Dazwischen wurde fleißig gegessen und getrunken. Die Vorräthe auf dem Tische wurden zusehends kleiner. Endlich ging, wie immer, das Gespräch wieder auf die eigenen Verhältnisse über; die Hardesvögte, die blauen und schwarzen Gensd’armen, der dänische Sonntag, der Schulzwang, die Sprachrescripte, die Brüche, die dänischen Polizei- und Beamtenkniffe kamen an die Reihe. Ich sah manche stille Thräne, und hörte manches erbitterte Wort. Der eine von den Hofbesitzern wollte sich in den nächsten Tagen von seinem Sohne trennen und ihn in eine Erziehungsanstalt nach Kiel schicken. Eine Tochter war schon dort. Seine Frau sprach mit Thränen in den Augen von der neuen, ihr bevorstehenden Trennung. Die Stimmung wurde im Saal meines Gastfreundes allmählich recht düster und traurig. Einer erzählte einige neuerdings vorgekommene Geschichten, wie sein Pastor den Handlanger der dänischen Polizei mache. Er war ein großer, kräftiger Mann, mit breiten Schultern und breitem Rücken.

„Aber schlagt dem schwarzen Gensd’armen doch Arme und Beine entzwei!“ rief ich entrüstet aus.

„Ne, Hähr,“ erwiderte er, traurig den Kopf schüttelnd, „dat is nich use Ohrt.“[1]

Um neun Uhr machten sich unsere Gäste zur Abfahrt bereit. Nach einer halben Stunde war es still und einsam im „Saal“ des schleswigschen Bauern und um zehn Uhr lag ich bereits in dem weichen Bette.





Schleswig-holsteinische Gräber.

Nicht Kreuz, noch Kranz; das Unkraut wuchert tief!
Denn die der Tod bei Idstedt einst entboten,
Hier schlafen sie; und Deutschlands Ehre schlief
Hier dreizehn Jahre lang bei diesen Todten.

Und dreizehn Jahre litten Jung und Alt,
Was leben blieb, des kleinen Feindes Tücken,
Und konnten nichts, als stumm die Faust geballt
Den Schrei des Zorns in ihrer Brust ersticken.

Die Schmach ist aus! Der ehrne Würfel fällt;
Jetzt oder nie! Erfüllet sind die Zeiten;
Des Dänenkönigs Todtenglocke gellt;
Mir klinget es wie Osterglockenläuten.

Die Erde dröhnt; von Deutschland weht es her;
Mir ist, ich hör’ ein Lied im Winde klingen,
Es kommt heran schon wie ein brausend Meer,
Um endlich alle Schande zu verschlingen! – –

Thörichter Traum! Es klingt kein deutsches Lied,
Kein „Vorwärts!“ schallt von deutschen Bataillonen;
Wohl dröhnt der Grund, wohl naht es Glied an Glied;
Doch sind’s die Reiter dänischer Schwadronen.

Sie kommen nicht! Das Londoner Papier,
Es wiegt zu schwer; sie wagen’s nicht zu heben
Die Stunde drängt. – So helft, ihr Todten hier!
Ich rufe euch, und hoffe nichts vom Leben.

Wacht auf, ihr Reiter! Schüttelt ab den Sand,
Besteigt noch einmal die gestürzten Renner!
Blast, blast, ihr Jäger! Für das Vaterland
Noch einen Strauß! Wir Brauchen Männer, Männer!

Tambour, hervor aus Deinem schwarzen Schrein!
Noch einmal gilt’s das Trommelfell zu schlagen.
Soll euer Grab in deutscher Erde sein,
So müßt ihr noch ein zweites Leben wagen!

Ich ruf umsonst. Ihr ruht auf ewig aus;
Ihr wurdet eine duldsame Gemeinde.
Ich aber schrei es in die Welt hinaus:
„Die deutschen Gräber sind ein Spott der Feinde!“

Heiligenstadt, 2. December 1863.

Theodor Storm.





Bilder aus der Kinderstube.
Von Gustav Steinacker.
1.

Ein mannigfach bewegtes Wanderleben bietet – und bot auch mir häufig Gelegenheit, an verschiedenen Orten die verschiedensten Familienkreise kennen und beobachten zu lernen. Dabei hatte ich, aus angeborner Vorliebe für die Kinderwelt, die eigentümliche Gewohnheit, meinen forschenden Blick, so oft ich als Fremder in derlei Kreise eintrat, zunächst und ganz besonders auf die Kinderstube des Hauses zu richten, um auf diesem allerdings nicht gerade am leichtesten zugänglichen, aber sichersten Wege zu einer genaueren Bekanntschaft mit dem Geist, dem Charakter und den, besonders pädagogischen, Grundsätzen der Eltern zu gelangen. Vielleicht darf ich hoffen, daß es auch dem Leser nicht unangenehm ist, mich ein Weilchen auf derlei Wanderungen zu begleiten, und im Geiste mit

  1. Nein, Herr, das ist nicht unsere Art und Weise.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 813. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_813.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)