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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Gudula erröthete, als wäre sie noch das junge Mädchen von achtzehn Jahren von damals. „Der Gott meiner Väter sei gepriesen, daß ich hab’ keine Gemeinschaft mit der armen Lady Milford, über die ich neulich so viel hab’ weinen müssen. Es ist ein gar herrliches Stück, das der Schiller da gemacht hat aus dem Kurfürsten von Hessen und seiner schlechten Wirthschaft, aber um des Schillers willen soll ihm vergeben werden, und wir wollen nicht weiter gehen mit ihm in’s Gericht. Thu’ ihm die Ehr’ an und nimm seinen Titel an, und vielleicht, wenn Du seine Millionen verwaltest, wird sich der Fluch, der an ihnen haftet, in Segen verwandeln!“

Mayer Anselm that also, was Gudula ihm erlaubt hatte, er nahm den Titel an, er ward der Hofagent des reichen Kurfürsten von Hessen-Kassel, er verwaltete mit Treue und Umsicht die ihm anvertrauten Millionen, und wie mißtrauisch und ängstlich der geizige Kurfürst auch immer sonst war, so hatte er doch zu Mayer Anselm’s Redlichkeit und Einsicht unbedingtes Vertrauen, denn er sah, wie seine Capitalien sich vermehrten und immer ungeheurer anwuchsen unter den Händen des klugen, weitschauenden Geschäftsmannes.

Aber während Mayer Anselm Rothschild in seinem kleinen, gemüthlichen Hause in der Judenstadt zu Frankfurt ein glückliches Familienleben führte, an der Börse der alten stolzen Reichsstadt ein immer angesehenerer Mann wurde, war außerhalb Frankfurts die ganze Welt in Aufruhr und Bewegung, durchhallte Kriegsgeschrei und Schlachtendonner ganz Europa, und der Name Napoleon’s, des Siegers von Marengo und Austerlitz und so vieler andern gewonnenen Schlachten, heulte wie die Windsbraut durch ganz Europa hin, und erfüllte die Herzen aller Fürsten mit Angst und Schrecken, die Herzen aller Völker mit Haß und Abscheu. Und endlich tönte er mit Donnergerolle auch hinein in die alte Reichsstadt Frankfurt, und bleich vor Entsetzen schrie Einer dem Andern entgegen: die Franzosen kommen! Sie rücken unter Mortier heran! Sie haben Hanau und Kassel und das ganze Gebiet des Kurfürsten eingenommen und besetzt, und den Kurfürsten verjagt! Und jetzt werden sie auch Frankfurt einnehmen wollen, und es ist aus mit der alten Reichsstadt, aus mit unsern Freiheiten und Rechten!

Am Abend dieses Tages der Schrecken und Aufregung, als Mayer Anselm längst sein Bureau geschlossen hatte und heimgekehrt war in sein Haus, um im stillen Gemach auszuruhen von den Anstrengungen des Tages, meldete man ihm, daß draußen ein Fremder stehe, der ihn dringend zu sprechen begehre.

„Die Sonne ist schon untergegangen,“ sagte Mayer Anselm unwillig, „und es werden heut’ keine Geschäft’ mehr gemacht.“

„Die Sonne ist untergegangen, aber sie wird auch wieder aufgehen, darauf hoffe ich,“ sagte eine ernste, traurige Stimme hinter ihm, und als Mayer Anselm sich umwandte, sah er da in der offenen Thür eine tief in einen Mantel gehüllte männliche Gestalt stehen.

„Wer seid Ihr?“ fragte Mayer Anselm, aufstehend und dem Verhüllten entgegenschreitend. „Mit welchem Rechte tretet Ihr hier ohne Zustimmung ein, und belauscht meine Worte, und –“

„Laßt den Diener hinaus gehen, Herr Hofagent, ich habe mit Euch zu reden,“ erwiderte der Fremde mit ernster, gebieterischer Stimme, indem er in das Gemach vorschritt.

Mayer Anselm mußte die Stimme wohl erkannt haben, denn er machte keine Einwendungen mehr, sondern entließ den Diener und verschloß hinter ihm die Thür.

Dann kehrte er zu dem Fremden zurück, der mit einem lauten Aechzen sich auf den Lehnstuhl des Hausherrn niedergelassen hatte.

„Ist es möglich, gnädigster Herr, Ihr seid es, und allein, zu Fuß?“ fragte Mayer Anselm mit schmerzlicher Verwunderung.

„Allein, zu Fuß und flüchtig,“ erwiderte der Fremde, indem er sein Haupt matt an die Lehne des Stuhls zurücksinken ließ. „Mich hungert, ich bin müde, ich bin den ganzen Tag zu Fuß gewesen. Gebt mir etwas zu essen, Mayer Anselm Rothschild.“

Mayer Anselm erwiderte nichts, er stürzte aus dem Zimmer, er rief sein Weib, er flüsterte ihr Etwas in’s Ohr, und dann waren sie Beide thätig und geschäftig in Küche und Keller. Mayer Anselm trug selbst, als wäre er der Diener des fremden Herrn, die Speisen und das Speisegeräth in das Zimmer des Hausherrn und servirte den Tisch, während der Fremde auf dem Lehnstuhl saß, mit geschlossenen Augen, in dämmerndem Halbschlummer.

„Gnädiger Herr, wenn es Ew. Hoheit gefällig wäre, es ist servirt“ sagte Mayer Anselm dann lächelnd, indem er den Tisch vor den Fremden hinrollte.

Dieser trank hastig ein Glas Wein und aß einige Bissen. Mayer Anselm stand ihm gegenüber, und schaute sinnend und gedankenvoll in sein trübes, bleiches Gesicht. Plötzlich hob der Fremde den Blick zu ihm empor, und die Augen der beiden Männer begegneten sich.

„Mayer Anselm,“ sagte er, „ich dachte eben an längst vergangene Zeiten.“

„Ich auch, gnädiger Herr Kurfürst,“ erwiderte Mayer Anselm sanft.

„Ich dachte daran, wie wir uns damals als Knaben zum ersten Male begegneten. Es sind jetzt dreiundfunfzig Jahre her, und doch sehe ich Euch noch ganz deutlich, wie Ihr vor mir standet mit Eurem zugleich klugen und trotzigen Gesicht, das mir, dem hochmüthigen Knaben, ein gewaltiges Aergerniß gab. Ich meine noch Eure Stimme zu hören, wie Ihr mir zum Abschied sagtet: „Ich bin der Mayer Anselm Rothschild und residire mit meiner Frau Mutter in der Judenstadt zu Frankfurt. Wenn Ihr meiner bedürft, so kommt nur zu mir.““

„Ich war ein recht unverschämter Junge damals,“ sagte der Banquier lächelnd.

„Nein, ich glaube, ich war es,“ erwiderte der Kurfürst, „und darum hat das Schicksal vielleicht gewollt, daß Euer Wort von damals sich auch erfüllen sollte. Mayer Anselm Rothschild, ich bin zu Euch gekommen, weil ich Euer bedarf.“

„Und Ew. Hoheit wissen wohl, daß Sie auf meinen Diensteifer zählen können.“

„Ich weiß, daß Ihr ein braver und rechtlicher Mann seid, und ich vertraue Euch. Seht mich an,“ fuhr der Kurfürst fort, indem er seinen Mantel zurückschlug, „ich bin als Bauer verkleidet, und nur dieser Verkleidung verdanke ich mein Leben. Die Franzosen haben mich vertrieben, haben meine Städte besetzt, meine Beamten verjagt, und Napoleon, meinen Haß gegen ihn und sein fluchwürdiges Räuberwesen kennend, hat mich meines ererbten und legitimen Thrones für verlustig erklärt. Meine Familie ist bereits glücklich nach Dänemark entkommen, ich konnte nicht sogleich mit ihnen gehen, denn ich mußte wenigstens für mein Vermögen Sorge tragen, da man mir mein Land gestohlen hat. Die sichern Geldpapiere nehme ich mit mir, aber das baare Geld, und Ihr wißt wohl, daß ich eine Freude an meinen schönen Goldrollen habe, das baare Geld kann ich nicht mit mir nehmen. Ich habe das Geld selbst in Säcke verpackt, die außerdem Korn enthalten, und ich habe die Säcke auf einem Bauerwagen, als Bauer verkleidet, hieher gebracht. Der Wagen hält vor der Thür. Mayer Anselm Rothschild, wollt Ihr mir mein Geld aufheben und behüten?“

„Ich will es, Herr Kurfürst,“ erwiderte der Banquier einfach.

„So laßt die Säcke abladen und hier hereinbringen. Beordert Eure Leute. Mein vertrauter Kammerdiener ist draußen bei dem Wagen.“

„Aber wär’s nicht besser, Hoheit, wenn ich allein die Säcke hereinschaffte?“

„Unmöglich! Sie sind zu schwer, denn es sind drei Millionen in geprägten Louisd’or und Goldbarren. Ich habe sie in zwölf Säcke vertheilt.“

„Drei Millionen!“ rief Mayer Anselm seufzend, „es wird sehr schwer sein so viel Geld sicher zu verbergen.“

„Ihr werdet es zu Stande bringen,“ sagte der Kurfürst; „eilt Euch, Rothschild, laßt die Säcke abladen, damit ich mein Geld in Eurem Besitz weiß. Dann muß ich fort.“

Eine Stunde später waren die zwölf Säcke ausgeladen, und die zwölf Fässer mit Louisd’or und Goldbarren standen in Mayer Anselm’s Zimmer.

Der Kurfürst betrachtete sie mit zärtlich traurigen Blicken, wie ein Liebender, der Abschied nimmt von seiner Geliebtesten.

„Mayer Anselm Rothschild,“ sagte er, „ich vertraue Euch dasjenige an, was auf der Welt das Höchste, Wichtigste und Nothwendigste ist, mein Geld. Ich bin ein armer, flüchtiger Mann. Ihr sollt mich davor bewahren, daß ich ein Bettler werde. Wollt Ihr es?“

Mayer Anselm Rothschild legte seine beiden Hände auf die Geldsäcke, und sagte heimlich: „Ich schwöre es Euch bei dem Allerheiligsten in unserm Tempel, bei Jehovah im Himmel und bei

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