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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863)

Allem was mir heilig ist auf Erden, ich schwöre es Euch, Herr Kurfürst, daß ich Euer Geld bewahren und behüten, daß, wenn es sein muß, ich es selbst mit meinem Leben vertheidigen will. Ich schwöre auch, daß ich die ganze Sache geheim halten will vor Jedermann!“

„Ich weiß, Ihr werdet Euren Schwur halten, Mayer Anselm,“ sagte der Kurfürst ernst, indem er dem Banquier seine Hand darreichte. „Und jetzt lebt wohl, Rothschild, ich muß fort. Betet für mich, daß ich meinen Verfolgern glücklich entkomme und eine Zuflucht finde, bis daß die Zeit der Rache gekommen ist, die Zeit, da Deutschlands Völker und Fürsten die Schmach und Erniedrigung vergelten und sühnen werden, unter welcher sie jetzt dahin gehen.“

Als der Kurfürst ihn verlassen hatte, verschloß Mayer Anselm die Thür seines Zimmers, und wäre Baruch Schnapper noch am Leben gewesen, und hätte er noch da gegenüber gewohnt in dem kleinen Hause, so würde er sich gewundert haben, diese ganze Nacht in dem Zimmer seines Schwiegersohnes Licht zu sehen, und seinen Schatten an den Vorhängen zu gewahren, wie er kam und ging, und wie das Licht zuweilen verschwand, und dann wieder im Erdgeschoß aufglänzte, und wie dort hinter den keinen Kellerfenstern dann auch wieder ein Schatten kam und ging, und wie das dauerte und sich immer wiederholte die ganze Nacht hindurch. Aber Baruch Schnapper war längst heimgegangen zu seinen Vätern, und nur der Diener des Banquiers wunderte sich am andern Morgen, als er die Kleider seines Herrn so beschmutzt fand mit Erde und Staub, und Spuren von Kalk und Mörtel daran entdeckte.

Mayer Anselm sprach zu Niemand über den Besuch des flüchtigen Kurfürsten, er hatte ihm ja geschworen sein Geheimniß zu bewahren, und er that es. Aber es verbreitete sich dennoch gar bald ein dunkles Gerücht davon durch ganz Frankfurt, denn die Nachbarn hatten den Wagen vor Mayer Anselm’s Thüre halten sehen und zugeschaut, mit welcher Anstrengung man die Säcke in das Haus geschafft, und die Leute, welche die Säcke getragen, erzählten mit geheimnißvoller Miene, wie ungeheuer schwer sie gewesen, und daß sicherlich in diesen Säcken kein Korn gewesen. Und man combinirte und calculirte so lange, bis man der Wahrheit so ziemlich auf die Spur kam, und überall sich die Nachricht verbreitete: der Kurfürst ist glücklich entflohen und seine Millionen hat er seinem Hofagenten, dem Mayer Anselm Rothschild, in Verwahrung gegeben. Und diese Nachricht flog weiter, von Mund zu Mund, hinaus in die Welt, den Franzosen entgegen, die jetzt von Hanau daher zogen, um Frankfurt zu erobern und aus der alten deutschen Reichsstadt die Residenzstadt eines Großherzogs von Napoleon’s Gnaden zu machen! Und ein Deutscher war’s, der diese großherzogliche Krone aus den Händen des französischen Usurpators empfangen sollte. Sonst seit Jahrhunderten bei jeder Kaiserkrönung hatte der Reichsherold gerufen. „Ist kein Dalberg da?“ Und dann war ein Dalberg gekommen und hatte sein Knie gebeugt vor dem deutschen Kaiser, um von ihm den Ritterschlag zu empfangen, und ihm den Eid unverbrüchlicher Treue zu leisten. Jetzt aber hatte der französische Kaiser den Dalberg gerufen, und der Dalberg hatte vor dem Unterdrücker Deutschlands das Knie gebeugt, und hatte ihm den Eid der Treue geleistet, und hatte sich von ihm stempeln lassen zum Großherzog von Frankfurt.

Aber bevor der neugeschaffene Großherzog einziehen konnte in seine Residenz, mußte diese Residenz doch erst ihrer alten Freiheiten und Privilegien beraubt werden, mußte ihre Verfassung verlieren und aufhören eine deutsche, freie Reichsstadt zu sein! Napoleon hatte gesagt, daß es so sein solle, und was er sagte, das war damals wie der Machtspruch einer Gottheit, dem man sich unterwerfen mußte.

Die Franzosen rückten von Hanau und Kassel in großen Colonnen heran, und was konnte Frankfurt anders thun, als sich der Uebermacht fügen, als sich unterwerfen?

Es unterwarf sich, und die Franzosen waren jetzt die Herren und Gebieter; die guten Bürger von Frankfurt, die heute Morgen als freie deutsche Männer aufgestanden waren, sahen sich am Abend in Unterthanen des Großherzogs von Napoleon’s Gnaden verwandelt.

Am Nachmittag dieses selben Tages zog eine Colonne französischen Militärs auch in die Judengasse von Frankfurt ein. Der voranschreitende Officier fragte die gaffenden Kinder, die am Thore standen und ganz verwundert darüber waren, daß so schöne und vornehme Soldaten die alte schmutzige Judenstadt besuchen wollten, ob sie vielleicht wüßten, wo der Mayer Anselm Rothschild, der Hofagent des Kurfürsten von Hessen, wohne.

Sie wußten’s Alle, die gaffenden Kinder, und sie rannten diensteifrig voraus, um den französischen Soldaten den Weg zum Hause des Mayer Anselm Rothschild zu zeigen.

Mayer Anselm saß ruhig in seinem Arbeitszimmer und berechnete beim Abschluß der Woche seine Bücher, als die Thüre hastig aufgerissen ward und Gudula bleich und angstvoll hereinstürzte.

„Mayer Anselm, es sind französische Soldaten in’s Haus gedrungen! Sie haben die Straße und den Hof besetzt, sie stehen auf dem Flur und auf der Treppe. Wir sind verloren! Sie werden’s erfahren haben, daß der Kurfürst bei Dir war, daß –“

„Still, Gudula,“ unterbrach sie ihr Gatte ruhig, „siehst Du nicht, daß wir nicht allein sind?“

In der That, es befanden sich einige französische Officiere in dem Gemach, und vor der geöffneten Thür standen französische Soldaten mit geschultertem Gewehr.

Mayer Anselm schritt den Officieren ruhig entgegen und fragte nach ihrem Begehr.

„Wir sind beauftragt, von Ihnen die Millionen einzufordern, welche der vormalige Kurfürst von Hessen Ihnen anvertraut hat,“ sagte der erste der Officiere.

„Ich habe keine Millionen von dem Kurfürsten von Hessen empfangen,“ erwiderte der Banquier ruhig.

Der Officier lächelte. „Sie weigern sich die Millionen herauszugeben? Der Kaiser Napoleon hat befohlen, daß dieselben dem Großherzog von Frankfurt übergeben werden sollen. Wir haben die strengsten Ordres, von Ihnen diese Millionen einzucassiren.“

„Ich weiß von keinen Millionen,“ rief Mayer Anselm. „Der Herr Kurfürst von Hessen hat mir nichts in Verwahrung gegeben.“

„Wir wissen mit Bestimmtheit, daß der abgesetzte Kurfürst Ihnen seine Millionen anvertraut hat, leugnen Sie es also nicht. Man wird Ihr Eigenthum schonen, man will nichts rauben von Ihrem Hab’ und Gut, Sie sollen nur herausgeben, was nicht Ihnen gehört.“

„Ich weiß von keinen Millionen,“ wiederholte Mayer Anselm.

„Ich warne Sie,“ rief der Officier heftig. „Sie sehen, Ihr Haus ist besetzt, bewaffnete Soldaten stehen vor Ihrer Thür. Wir haben gemessene Ordre, und wenn Sie nicht gutwillig nachgeben, sind wir zu den strengsten Maßregeln genöthigt. Ich darf es Ihnen nicht verhehlen, Sie riskiren sogar Ihr Leben, wenn Sie beharren bei Ihrer Weigerung.“

„Er ist verloren! Sie werden ihn tödten,“ murmelte Gudula, indem sie auf ihre Kniee niedersank und ihre gefalteten Hände zum Himmel emporrang.

„Sie können mich tödten,“ sagte Mayer Anselm ruhig, „aber Sie können mich nicht zwingen zu bekennen, was ich nicht weiß.“

Der Officier winkte einige Soldaten in das Gemach. „Besetzt alle Thüren,“ befahl er ihnen, „durchsucht alle Räume vom Boden bis zum Keller, laßt Niemand aus dem Hause hinaus, und wo Ihr Widerstand findet, da macht Ihr Gebrauch von Euren Waffen. Geht! Ich mache Euch die genaueste Durchsuchung zur Pflicht!“

Man hörte das taktmäßige Abmarschiren der Soldaten, die sich nun durch alle Räume des Hauses vertheilten. Mayer Anselm stand mit bleichem, aber entschlossenem Gesicht mitten in dem Gemach und horchte aufmerksam auf das Geräusch und das Getobe der Soldaten. Gudula lag noch immer auf den Knieen und betete.

„Mein Herr,“ sagte der Officier, „ich wiederhole es Ihnen, wir haben Befehl, zu den äußersten Mitteln zu schreiten. Wenn Sie die Millionen nicht herausgeben, bin ich gezwungen, Sie als Hochverräther und Rebellen erschießen zu lassen.“

Gudula stieß einen Schrei des Entsetzens aus und sprang empor, um zu ihrem Manne hinzueilen, um ihn zu umklammern mit ihren Armen und sich fest, fest an seine Brust zu drücken.

„Mayer Anselm,“ flehte sie, „sei barmherzig gegen mich und Deine Kinder! Du darfst nicht sterben, Du mußt Dich uns erhalten! Du mußt der Gewalt weichen. Du darfst Dein Leben nicht hingeben für elendes Geld! O Gott, Gott, sie werden Dich tödten!“

„Sie werden mich tödten, aber ich werde sterben als ein ehrlicher Mann,“ sagte Mayer Anselm fest. „Geh’ zu Deinen Töchtern, Gudula! Rufe mir die Söhne hierher!“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1863).Leipzig: Ernst Keil, 1863, Seite 820. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1863)_820.jpg&oldid=- (Version vom 6.1.2019)