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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

zeigen, welche Raubthiere anzunehmen pflegen, die einen Theil ihres Lebens im engen Käfig verbracht haben. Sie sprang gleichsam tanzend wie rasend auf und nieder – offenbar aus reiner Angst. Die beiden Bären umgingen sich mit vielsagenden Blicken und noch mehr verrathendem Gebrumm, beschnupperten sich, brüllten und bogen beide ängstlich die Köpfe zur Seite in berechtigter Erwartung furchtbarer Ohrfeigen, welche gegenseitig ausgetheilt werden konnten. Die ursprüngliche Gebieterin des Zwingers saß oben auf dem Kletterbaume und schnappte, die Einäugige tanzte, als ob ihre Glieder aus Stahl gebaut wären und durch Dampfkraft bewegt würden, die edlen Recken fuhren in ihren gegenseitigen Prüfungen fort. Von Minute zu Minute wuchs die Aufregung; die Zwingerbärin war ganz außer sich, obwohl ihr Herr Gemahl sie wiederholt zu beruhigen versuchte, zu ihr hinaufstieg, sie beschnüffelte und dabei brummte, als wolle er ihr Muth einsprechen.

Dagegen schien auch sie ihn zum Handeln antreiben zu wollen; er zeigte aber durchaus keine Lust, mit dem anderen Kämpen anzubinden. Scheinbar in höchster Seelenruhe ging er im Zwinger auf und nieder, ohne sich um den Eindringling zu kümmern. Um so aufmerksamer bewies er sich gegen die Einäugige, gegen das Weib seines Feindes und dies in Gegenwart seiner rechtmäßigen Gemahlin! – eine Aufmerksamkeit, die sich bis zu den zärtlichsten Liebkosungen steigerte.

Diese betrübende Verirrung des einen Bären fand selbst im Herzen des anderen Wiederhall, und erregte in ihm tugendhafte Entrüstung. Eine furchtbare Ohrfeige, welche er dem Sünder verabreichte, war das Ergebniß eines länger währenden Nachdenkens über die verdammenswerthe Handlung, welche schamlos in seiner Gegenwart begangen worden war. Die Ohrfeige, welche einen Ochsen betäubt zu Boden geworfen haben würde, war das Zeichen zum Kampfe, welcher sofort in ernsthafter Weise begonnen wurde und – in Wohlgefallen sich auflöste. Die feigen Kämpen begnügten sich mit einer gegenseitigen Umarmung etwas stürmischer Art, fletschten die Zähne, schnappten, schnauften und ließen plötzlich wieder von einander ab, worauf sie, grollend zwar, aber doch unschlüssig und zwecklos im Zwinger umherliefen. Ich war empört. Jede Katze, jeder Hund, – jede Spitzmaus würde sich muthiger benommen haben! Ich verachtete die Feiglinge aus tiefster Seele.

Man begreift, daß ich wenig Vertrauen mehr hatte, an alten Bären die ihnen nachgerühmten guten Eigenschaften zu entdecken. Ich wandte mich also um so lieber zwei jungen, der Erziehung fähigen Bären zu, welche wir bald nach diesem Vorfalle erhielten. Meine Hoffnung wuchs, als sie wirklich gewissen Erwartungen zu entsprechen schienen. Ein zweites Paar, in etwa gleichem Alter, kam mir sehr erwünscht, ich hatte jetzt vier hoffnungsvolle Zöglinge.

Um der Wahrheit die Ehre zu geben, muß ich gestehen, daß sich alle vier ihres Namens durchaus würdig, d. h. als echte Bären zeigten. Höflich und artig konnte man sie nicht nennen, diese Söhne der Wildniß; man hatte vielmehr oft Gelegenheit eine große Ungeschliffenheit an ihnen zu rügen. Dabei schienen sie eine hohe Meinung von der Richtigkeit ihrer Ansichten zu besitzen; wenigstens bekundeten sie eine merkwürdige Starrköpfigkeit in der Beschäftigung, die sie sich einmal vorgenommen. Aber sie waren ganz ungemein, ich möchte sagen bestechend komisch. Ihr Auftreten hatte mit dem kleiner Buben, welche die ersten Hosen und zwar dem zarten Kindesalter entsprechend eingerichtete Hosen tragen, täuschende Ähnlichkeit; ihr Benehmen erinnerte an gewisse liebenswürdige Unarten, wie solche als Ergebnisse einer, wenn auch nicht gerade allen Ansprüchen genügenden, so doch ungebundenen Erziehung munteren Kindern anhaften. Unsere vier Bären waren, um es ungeschminkt zu sagen, vollendete Flegel.

So lange die lieben oder, wie die schönen Besucherinnen unseren Gartens sich auszudrücken pflegten, die „süßen“ Thierchen gesättigt in ihren Käfigen lagen, beschäftigten sie sich mit der anerkennenswerthen Arbeit, an ihren Vordertatzen zu saugen. Dabei ließen sie ununterbrochen ein beifälliges Gesumm – denn Gebrumm konnte man es nicht nennen – vernehmen, welches schließlich mit lautem Schmatzen beendet wurde. Hatten sie sich an dieser tiefsinnigen Beschäftigung Genüge gethan, so begannen sie zur Abwechslung eine kleine Balgerei, welche in aller Freundschaft begonnen, durch die Zauberwirkung einer unverhofft empfangenen Ohrfeige aber regelmäßig zu ernsterem Kampfe umgewandelt wurde und mit erklärtem Unfrieden endete. Grollend und mit den kleinen Schweinsaugen bösartig schielend oder dem Anderen Zornesblitze zuschleudernd, zog sich hierauf jeder wieder in seine Ecke zurück, betrachtete in wehmüthiger Erinnerung an die süße Mutterbrust seine Pranken, begann an ihnen zu saugen, begann zu summen und summte allen Zorn aus seinem Herzen. Bald regten sich der Uebermuth und die jugendliche Spiellust wieder, ein neues Kampfspiel wurde ausgeführt, von Neuem veruneinigte man sich, und wiederum mußten die Tatzen herhalten. Ich beneidete die Bären förmlich um diese Tatzen, welche so treffliche Ableiter des Unmuths zu sein schienen, weil ich bedachte, daß unsere guten Landesväter, hätten wir solche Tatzen, doch recht zufrieden, froh und glücklich sein würden.

Die Stunde des Fressens veränderte bei den jungen Bären natürlich das ganze Wesen. Sie wurde schon lange vorher durch ein höchst aufrührerisches Gebrüll als eine sehnlich erwartete verkündet. Der Magen schien sich durch Gesumme nicht einschläfern zu lassen, verlangte vielmehr sein Recht in ungestümer Weise. Mit unbeschreiblicher Gier fielen die Bären über ihr Futter her; sie zeigten sich so recht als das, was sie sind, als das Schwein unter den Raubthieren. Von anständigem Fressen, wie man es bei Katzen oder Hunden trotz alles Hungers beobachten kann, war keine Rede. Unsere Bären erstickten fast über der Arbeit und schienen richtig bei den Schweinen die Regeln des Anstandes erlernt zu haben. Sobald der Trog, welchen man ihnen bis zum Rande gefüllt hatte, geleert worden war, legten sie sich, befriedigt von den Freuden des Lebens, wiederum nieder und summten, an den Tatzen saugend, gar vergnüglich.

Wenn ich eben andeutete, daß Bären mit den Schweinen in manchen Stücken übereinstimmen, muß ich zum Ruhm der ersteren sagen, daß sie sich durch ihre Reinlichkeitsliebe von letzteren unterscheiden. So lange ein Bär Wasser zu seiner Verfügung hat, badet er sich, und in der Regel hält er sein Fell immer in Ordnung. Unsere jungen Bären konnten im engen Käfig die Wohlthat des Bades nicht empfangen; sie mußten deshalb zuweilen an das Wasser gebracht und dort gebadet werden. Das Becken, in welchem ein Seehund zwanzig Stunden des Tages verträumte, schien mir besonders geeignet, um als Badewanne zu dienen. Besagtes Becken war aber freilich einige hundert Schritte von den Käfigen meiner Zöglinge entfernt, und wir mußten also jedesmal mit ihnen einen guten Theil des Gartens durchschreiten.

So lange die Bären noch klein waren, ging die Sache vortrefflich. Die Thüren der Käfige wurden geöffnet, alle vier Insassen stürzten in’s Freie, schnaubten sich gegenseitig an, balgten sich und rannten hierauf hierher oder dorthin, in der entschiedenen Absicht, Beute zu machen. Sie stürzten sich mit Raubthiereifer auf jedes lebende Geschöpf ohne Unterschied der Größe, zeigten sich einer Taube oder einem Affen gegenüber äußerst muthig, Angesichts eines Ziegenbockes aber erbärmlich feig; sie rannten auf jedes Ding in blindem Eifer los und erschraken vor allem Ungewohnten; sie versuchten das gestern vergeblich Ausgeführte heute wieder, ohne gewitzigt zu werden; sie zeigten sich charakterlos, feig, störrisch, vergeßlich, dumm, boshaft und tückisch, vor Allem aber schweineartig gefräßig. Von den Fischkörben, den Vogel- oder Affenkäfigen im Hofe waren sie kaum wegzubringen, und wenn wir es wagten, sie mit Gewalt zu entfernen, fielen sie wüthend über uns her und bissen und kratzten gehörig. Mit Schlägen konnte man sie nicht bändigen, es gab nur ein Mittel sie zu locken, ein Mittel so abgeschmackt, wie die Bären selber. Man mußte schnell vor ihnen weglaufen, dann eilten sie ohne Besinnen nach. So wurde es möglich, sie, immer im Trabe freilich, durch den ganzen Garten zu führen.

Unsere Ausgänge waren für alle Zuschauer höchst ergötzlich. Die vier jungen Bären, welche wie Hunde hinter mir oder dem beauftragten Wärter herliefen, jedes Ding unterwegs untersuchten, die Körbe der Gartenarbeiterinnen durchwühlten, bei dem Erfrischungsgebäude auf Stühlen und Tischen herumkletterten und tausend andere Tollheiten in plump-täppischer, komisch-ernsthafter Weise trieben, mußten auch einen erklärten Murrkopf erheitern und belustigen. Ich selbst bemühte mich oft genug vergebens, den meiner Stellung würdigen Ernst zu bewahren.

In der Regel kam ich mit meinen Zöglingen ohne besondere Zwischenfälle zum Seehundsbecken. Dort wurden die Bären gepackt und in das Wasser geschleudert. Das Bad war ihnen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 12. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_012.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)