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verschiedene: Die Gartenlaube (1864)

und Trümmern und haben sich dahinter gestellt mit ihren Büchsen … da sind die Tiroler umgekehrt und ist kein einziger Schuß gefallen! Wir wollen’s auch so machen!“

„Bin nit dagegen,“ sagte Sabinens Vetter; „aber wundern thut’s mich doch! Hat’s doch geheißen, der Lefèvbre käm’ anmarschirt mit hunderttausend Mann, und die Tiroler wären geschlagen auf allen Seiten?“

„Und der Kaiser Franz hab’ das Tirol aufgegeben?“ fragte ein Anderer. „Und es soll doch bei Baiern bleiben?“

„Hab’s auch nit anders gehört,“ setzte ein Dritter hinzu.

„Und der Sandwirth, der in Innsbruck regiert hat wie ein König, soll flüchtig geworden und auf und davon gegangen sein?“

„Das ist Alles wahr,“ erklärte der Posthalter; „aber die Tiroler sind einmal verblendet und glauben’s nicht. Der Husarenwirth von Mittenwald hat mir Post heraus gethan; die Tiroler, die in der Scharnitz liegen, rühren sich und wollen einen Einfall zu uns machen. Er hat’s von einem Fuhrmann, den sie angehalten haben und der ihnen ausgekommen ist und ist bei der Nacht über die Grenze herüber …“

„Gut also!“ rief der Vetter wieder; „so wollen wir vorsorgen und auch einen Verhau machen. Kannst gleich auch mitgeh’n, Lipp, mit Deinem Beil!“

„Gewiß!“ erwiderte dieser, die Axt lüpfend, in rohem Ton; „sie rührt sich schon nach einem Tiroler-Schädel! Wir wollen’s ihnen machen, wie sie’s den Unsern gemacht haben … ich hab’ auch einen Bruder dabei unter denen Vierhundert, die sie am Iselberg mit den Büchsenkolben erschlagen haben, wie die wüthigen Hund’!“

„Und ich einen Buben!“ sagte der Sachenbacher grimmig.

„Es ist mein Jüngster gewesen und mein Liebster … er ist mit dem Burscheidt gewesen an der Pontlatzer-Brucken und liegt unter den Felsentrümmern begraben! Jetzt wollen wir Alten es ihnen heimzahlen und wollen ihnen zeigen, daß der baierische Bauer mit dem Stutzen gerad’ so gut umgeh’n kann, wie der Tiroler!“

„Es ist doch immer schade und ein’ Schande dazu!“ sagte der Posthalter, indem er mit den Männern den Weg waldabwärts einschlug. „Die Tiroler sind alleweil’ gute Nachbarn gewesen und sind deutsche Leut’, wie wir … ich wollt’, wir könnten einmal miteinander über die Franzosen her, anstatt daß sie uns immer übereinander bringen und hetzen!“

Die Männer gingen, und bald war es still auf der Almweide, nur von unten herauf aus weiter Entfernung dröhnten manchmal Beilhiebe und das Stürzen der Bäume, welche den Verhau bilden sollten.

Sabine stand noch eine Weile unter der Thür und sah in die Sternennacht empor, die sich kühl und klar aufgethan hatte über Bergen und Wald. Sie hatte das Vorgehende nur halb vernommen; dringendere, eigenste Sorgen lagen ihr am Herzen, und auch als sie in die Hütte zurücktrat und die Thür schloß, um das Küchen- und Milch-Geschirr am Heerde zu ordnen und zu reinigen, waren ihre Gedanken nicht bei ihrer Beschäftigung, sondern schweiften hinab in die Felsschlucht mit dem Taferl und schwebten um den Kranz an demselben und dessen räthselhaften Spender. Als sie fertig war, saß sie noch lange auf dem Heerdrande, die Hände in den Schooß gelegt, beim Scheine des erlöschenden Feuers, und selige Träume von vergangenem Liebesglück umschwebten ihre Seele.

Einmal horchte sie auf, denn es war ihr gewesen, als hätte sie Schritte nahen gehört; aber Alles blieb still, und sie versank wieder in ihre Träumerei.

So erschrak sie wirklich, als mit einmal vor der Thür eine Stimme laut wurde – eine Stimme, die ihr so bekannt war, daß sie davor erbebte, und über die sie sich nicht täuschen konnte!

Und doch – dem diese Stimme gehörte, lag ja lange zerschmettert im Grab und konnte nicht wiederkommen … Sie glaubte, geträumt zu haben … es mochte die Macht ihrer Einbildung sein, was ihr die Erinnerung als Wirklichkeit erscheinen ließ.

Da klopfte es fest an das kleine klirrende Fenster, und die Stimme rief so deutlich, daß kein Zweifel, keine Täuschung mehr möglich war: „Sennerin, mach’ auf …“

Halb ohnmächtig, die eine Hand auf den Heerd stützend, die andere an das hochschlagende Herz gepreßt, stand Sabine… „Alle guten Geister …“ stammelte sie mit stockendem Athem. „Wer ist draußen?“

„Einer, der den Weg verloren hat,“ klang es herein, „der nicht mehr weiter kann vor Hunger und Müdigkeit … Sennerin, mach’ auf …“

Das war deutlich Gotthard’s Stimme … konnte es eine solche Aehnlichkeit geben? Wie oft hatte sie auf diesen Ton gelauscht … wie oft hatte er ihr diese Worte scherzend zugerufen, wenn ihn der Weg Nachts aus dem Walde noch heimführte und er sich die Mühe nicht reuen ließ, ihr mindestens durch’s Fenster einen Nachtgruß zu bringen! … „Es ist schon spät,“ brachte sie endlich mühsam hervor … „ich mach’ nit mehr auf …“

„So gieb mir eine Schüssel Milch und ein Stück Brod durch’s Fenster heraus,“ rief es entgegen. „Ich will Dir’s zahlen … aber ich kann nit mehr fort vor Ermattung …“

„Wer ist’s denn nachher?“ fragte sie gefaßter und ermutigter. „Wo kommst’ her?“

„Ein Teppichhändler bin ich,“ war die Antwort, „aus dem Innthal … Ich komm’ von Walgau und hab’ einen kürzern Weg über die Berge gehen wollen und bin irr gegangen …“

Furcht und Neugier kämpften in dem Mädchen; die Furcht, noch so spät und allein einen unbekannten Menschen einzulassen, die Neugier, denjenigen von Angesicht zu sehen, dessen Stimme so sehr jener des todten Geliebten glich. Sie war noch unentschlossen, was sie thun wollte, als ihre Hand schon an den Thürriegel rührte und ihn zurückzog. Dann trat sie an den Heerd und störte die Gluth, daß sie aufflackerte.

In der Thür stand ein großer, schön gewachsener Bursche in Tirolertracht von kühnem Aussehen und einem entschlossenen Wesen, das zu dem friedlichen Handel mit Teppichen gar nicht zu passen schien, von denen er einige über den Arm hängen hatte und einen größern Pack in Riemen über den Schultern trug.

„Grüß’ Dich Gott, Sennerin,“ sagte er, „es ist woltern brav von Dir und fein, daß Du mich noch hereinlass’st – brauchst Dich aber nit zu fürchten vor mir!“

„Ich fürcht’ mich auch kein Brösel,“ erwiderte Sabine kurz, stellte Milchschüssel und Brodlaib vom Gesims auf den Heerdrand und schob das Geldstück zurück, das der Bursche dafür hinlegte.

„Steck’s ein,“ sagte sie, „wirst es etwan schon noch brauchen können – ’s ist nit der Brauch da heroben, daß man ’was nimmt von Einem, der hungrig ist …“

„Dann sag’ ich halt, ’gelt’s Gott tausendmal …“

„Gesegn’s Gott auch so viel …“

Damit war das Gespräch zu Ende; der Fremde aß, doch nicht mit jenem Eifer, der nach seinem angeblichen Hunger zu erwarten gewesen wäre: er fand immerhin Zeit, über die Schüssel weg seiner Wirthin in’s Gesicht zu blicken. Bei ihr war es die Neugierde, weshalb sie öfter auch nach ihm sah – sie mußte doch wissen, wie ein Mensch aussah, der dieselbe Stimme hatte wie Gotthard. Vieles erinnerte sie auch in der Erscheinung des Fremden an ihn: es waren zwar ganz andere Züge, und doch lag etwas in seiner Haltung und seinem ganzen Wesen, wodurch sie sich unerklärlich angezogen fühlte. Sie wandte die Augen ab oder schlug sie zu Boden, wenn sie dem forschenden Blicke desselben begegnete. Dies Anstarren war ihr zuwider und verletzend, und doch regte sich ein Zug des Wohlwollens in ihr, wegen dessen sie sich grollte und den sie nicht mehr für möglich gehalten hatte in ihrem Leben.

Sie mußte sich aufraffen und dem Ding ein Ende machen.

„Was gaffst’ mich so in einem fort an?“ sagte sie unwillig. „Hast noch nie eine Sennerin gesehn?“

„Eine solche, wie Du bist, noch nie!“ entgegnete der Fremde unbefangen und geradezu. „Du gefällst mir so viel gut – daß ich’s gar nit sagen kann. Hast schon einmal von den saligen Fräulein gehört?“

„Niemals,“ erwiderte sie mit beklommener Verwunderung.

„Das sind Weiß-Alben,“ fuhr er fort, „gute Geister, die bei mir daheim in Tirol auf den höchsten Bergen oben in den Felsen drin hausen – stille, fromme Geschöpf’, freundlich und schön wie der Mondschein. Es ist wunderselten, daß Einer sie singen hört, oder gar, daß Einer sie sitzen sieht vor ihrer Höhl’ und schaut ihr zu von fern, wie sie an einer goldenen Spindel spinnt … Wenn sie aber einen Menschen finden, der’s werth ist und der ihnen gefallt, den führen sie in den Berg hinein in ihr unterirdisches Reich, und wer einmal da drinn’ gewesen ist, der kann’s nimmer erleiden auf der Welt und kränkt sich hinunter, bis ihm die Sehnsucht das Herz abstoßt …“

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verschiedene: Die Gartenlaube (1864). Ernst Keil’s Nachfolger, Leipzig 1864, Seite 30. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1864)_030.jpg&oldid=- (Version vom 20.8.2021)